Krisenjournalismus - Die kleinen Tintenstrolche und der Krieg

Es waren die Medien, die lautstark die Lieferung von Panzern an die Ukraine forderten, als die Bundesregierung noch zögerte. Dass ihnen ein ganz ähnliches Verhalten während der Corona-Krise jetzt allmählich auf die Füße fällt, scheint viele Journalisten nicht zu stören.

Haben Medien ein zu gelassenes Verhältnis zum Krieg? Stefan Raab auf einem Panzer / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

So erreichen Sie Ralf Hanselle:

Anzeige

Journalisten sind von Haus aus Besserwisser. In dieser Kategorie überrunden sie selbst noch Lehrer. Schon Karl Kraus hat von diesem verhängnisvollen Laster gewusst: Der Historiker sei nicht immer ein rückwärtsgekehrter Prophet, so der österreichische Publizist und Dramatiker in einer berühmt gewordenen Spitze aus dem Jahr 1924, „aber der Journalist ist immer einer, der nachher alles vorher gewusst hat“.  

Nun ist die herzliche Abneigung des Herrn Kraus gegen jegliche Form von „Tintenstrolchen“ natürlich legendär. Das heißt aber nicht, dass er in diesem Fall nicht recht gehabt hätte. Mittlerweile hat es sich ja sogar so ergeben, dass die Vertreter der „Pressmafia“ schon weit vorher alles vorher wissen – oft sogar weit vor den eigentlichen Experten. Und vor dem Lauf der Dinge sowieso.

Vielleicht hat das mit diesem unerbittlichen Drang zu tun, der Zeit selbst noch ein Schnippchen schlagen zu müssen. Denn wenn das so weitergeht mit den ganzen Live-Schalten und den Echtzeit-Kommentierungen, dann werden die längst röchelnden Online-Reporter eines Tages den Augenblick selbst überrundet haben.

Damit man bei all den Wurmlöchern durchs Gebälk der Zeit aber nicht irgendwann auf der schiefen Bahn der Faktenfälscher und Gonzo-Macher landet, hat man sich in den enddigitalisierten Redaktionsstuben vor Jahren bereits einen irren Handgriff draufgeschafft: Man macht die Politik jetzt einfach immer mehr selbst; zumindest setzt man alles daran, dem Lauf der Dinge ordentlich Beine zu machen. Dann weiß man nämlich oft vorher schon um das Hinterher. Und die Nachricht von morgen gibt’s manchmal schon gestern. 

Den Dreck machen die anderen

Gedacht, getan! Aber man stelle sich das bitte nicht so banal und betrügerisch vor wie in dem alten Bond-Film „Der Morgen stirbt nie“. Da nämlich hat ein völlig ausgebuffter Medienmogul namens Elliot Carver die ganzen Sauereien, die so täglich auf der Welt passieren, allmorgens immer selbst erledigt – nur um anschließend in den Hauptnachrichten kleine Newsfeeds über sie zu bringen. Nein, auch im Jahr 2023 gilt die schon von Karl Marx beschriebene Organisationform Arbeitsteilung: Die Politik erledigt den Drecksjob, und die Journalisten sagen vorher, wie sie es gerne hätten. Das aber tun sie derart laut und vor allem lange, dass sich selbst der letzte Hinterbänkler mittlerweile wie Odysseus die Ohren zuhalten muss, nur um den eigenen Kompass noch wahrzunehmen.

 

Das könnte Sie auch interessieren:

 

Denken Sie nur an die leidigen deutschen Panzer-Debatten: „Wir brauchen den Leopard 2 für den Frieden in Europa“, titelte da bereits Anfang Januar die Tageszeitung Die Welt. Ein erste Schussabgabe, hinter der man beim Konkurrenten Spiegel nicht zurückbleiben konnte. Nachdem sich die Bundesregierung Anfang des Jahres schon durchgerungen hatte, wenigstens Offensivpanzer wie den Marder in die Ukraine zu schicken, rief Sebastian Fischer, Leiter des Hauptstadtbüros des Hamburger Nachrichtenmagazins, wie ein gierender Gast am Ende eines viel zu mageren Entrées: „Und jetzt der Leopard!“. Bei der Welt wiederum folgte darauf ein poetischer Parallelismus: „Panzer liefern, Panzer nachbestellen“. Und als es dann endlich soweit war und der Kanzler in der medialen „Leopard-Zange“ (Klaus Geiger) nicht mehr zögern und zucken konnte, schickte Fabian Reinhold auf dem Online-Portal der Zeit noch ein schnippisches „Geht doch“ hinterher.

Die Politik liefert

So geht Agenda-Setting in Zeiten des „Scholzens“. Die Presse bestellt, die Politik liefert. Auch wenn klar sein dürfte, dass das Copyright von so manch einem journalistischen Zwischenruf am Ende wohl doch im Feld des Politischen zu suchen sein muss. Denn natürlich, schon immer waren Medien Testlabore für die Grenzverschiebung des Sagbaren. Eine ganz neue Dimension aber dürfte das während der zurückliegenden Corona-Krise bekommen haben.

Wie johlende Gören am Autoscooter forderten damals hysterisch gewordene Journalisten einen Lockdown nach dem nächsten: Tempo! Tempo! Tempo! Die nächste Fahrt geht rückwärts! Soviel Stimmungsmache lässt, um noch einmal Karl Kraus zu zitieren, die Herzen höher schlagen und macht die Hirne gähnen. Und damit man bei all dem selbstbesoffenen Fordern und Verlangen nicht doch noch unerwartet aus der Kurve fliegt, hat man jene leisen Stimmen, die dem eigenen Ansinnen zuwiderliefen, vorsichtshalber noch  etwas leiser gedimmt.

Das Problem nur: Jetzt, nach drei Jahren Eiszeit, taut der tiefgefrorene Diskurs ganz plötzlich wieder auf. Wie Urmel aus dem Eis tritt nun zutage, wie sehr man sich bei zu vielen Dingen doch erheblich geirrt hat. Und wie das immer so ist bei Tauwetter: Am Ende versinken selbst die gutgemeinten Dinge im braunen Matsch. Da ist die von Journalisten lauthals geforderte Maskenpflicht, die zur Eindämmung der Pandemien möglicherweise nur wenig gebracht hat. 

Da sind die Schulschließungen – von der Presse gewollt und von Kindern erlitten. Die Kita-Schließungen. Die herbeigeschriebene Impfpflicht. Der Brückenlockdown. Der Wellenbrecherlockdown. Und nicht zu vergessen Zero-Covid. Wie viel Tinte ist geflossen, um besonders zweifelnde Politiker endlich, endlich zum Handeln zu treiben? „Die Medien haben eine Mitschuld, und das ist etwas, was sie partout nicht bereit sind zu konzedieren“, so der Medienforscher Stephan Ruß-Mohl bereits im Juli 2021 bei Cicero.

So also kann es aussehen, wenn die Tintenstrolche es  besser, weil eben vorher schon wissen. Es ist vielleicht nicht sonderlich neu, dass das politische System, wie es der Politologe Thomas Meyer einmal formuliert hat, durch das Mediensystem „kolonisiert“ wird. Doch die Folgen der Aufpudler in den Redaktionen könnten von Mal zu Mal gravierender werden. Bleibt zu hoffen, dass uns das bei der Ukraine-Debatte erspart bleibt.

Anzeige