Marie-Agnes Strack-Zimmermann liest... - Das politische Buch

Norbert Röttgen sammelt seit fast zehn Jahren Erfahrungen im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. In seinem neuen Buch „Nie wieder hilflos“ analysiert er die Fehler deutscher Außenpolitik. Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat es für uns gelesen.

Norbert Röttgen bei der Vorstellung seines Buchs „Nie wieder hilflos“ / dpa
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Autoreninfo

Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist FDP-Bundestagsabgeordnete und sitzt im Bundesvorstand ihrer Partei.

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Norbert Röttgen ist in der Berliner Politik kein Unbekannter. Er ist seit 1997 Mitglied des Deutschen Bundestags, war von 2009 bis 2012 Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Nach seiner Niederlage als CDU-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wurde er von der Bundeskanzlerin entlassen und wechselte anfangs ziemlich geräuschlos in die Außenpolitik.

Zwischen 2014 und 2020 war er im Bundestag Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. In dieser Rolle, die er auch in der Öffentlichkeit auszufüllen verstand, arbeitete er als Mitglied der Großen Koalition. Sein Buch mit dem Titel „Nie wieder hilflos“ darf man also im doppelten Sinn verstanden wissen: Deutschland als Staat nie wieder hilflos? Oder gar eine Bundesregierung nie wieder hilflos? 

Umso spannender, dieses Buch zur Hand zu nehmen. Die Herausforderungen werden von ihm klar skizziert: Russland im Niedergang begriffen, Putins brutale kriegerische Methoden, um den Nationalstolz der Russen wiederherzustellen, Erklärungsversuch, was das Assoziierungsabkommen Europas mit der ­Ukraine für Putin innenpolitisch bedeutet haben könnte, Lob für die Kanzlerin, dass sie nach der Annexion der Krim die Sanktionen gegen Russland eingeleitet und in der westlichen Welt die politische Führung übernommen hat.

Enttäuscht über eigene Ohnmacht

Das war es dann aber auch an Nettigkeit. In seiner Analyse distanziert er sich in aller Deutlichkeit. Er spricht zwar immer von der Bundesregierung, meint aber ohne Zweifel Angela Merkel: dass sie es zuließ, dass das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 ein Jahr nach der Annexion der Krim gestartet und bis zum Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 – erst zwei Monate vorher ging die Bundeskanzlerin in den Ruhestand – politisch von ihr angetrieben wurde.

Dass es sich bei Nord Stream 2 weder um ein Gasgeschäft noch überhaupt um ein wirtschaftliches Projekt gehandelt hat, sondern von vornherein als „politische Waffe gegen die Ukraine“ gedacht war. Für Röttgen, den Außenpolitiker, war unübersehbar, dass dieses Vorhaben, welches als rein privatwirtschaftlich beschrieben und sogar für die deutsche Gasversorgung als sehr wichtig angesehen wurde, eine bewusste Fehlschreibung der Bundesregierung gewesen sei und eine unglaubliche Provokation gegenüber den baltischen und östlichen Staaten mit den entsprechend dramatischen Folgen.

Norbert Röttgen analysiert als Außenpolitiker und als ehemaliger Umweltminister, wenn er darauf hinweist, dass die aggressive Außenpolitik Putins voranschritt und die deutsche Außen- noch Energiepolitik weder darauf reagiert, geschweige denn ein geeignetes Sicherheitskonzept entwickelt hat. Er nennt das Verhalten fatal! Röttgen erklärt, bettet ein, beschreibt Deutschlands Verhältnis zu anderen Staaten.

Die Corona-Pandemie findet auch ihren Platz. Der Untertitel „Ein Manifest in Zeiten des Krieges“ klingt dabei etwas zu ambitioniert, einen „Röttgenismus“ hat er nicht entwickelt, aber allemal lesenswert ist seine Analyse schon. Vielleicht auch, weil sich hinter jedem seiner Worte ein gewisser Frust verbirgt, diese Politik der Großen Koalition über Jahrzehnte zugelassen zu haben und sich mit seiner politischen Einschätzung möglicherweise nicht durchgesetzt haben zu können. So deutlich, laut und ehrlich fällt dann auch sein Schlusssatz beziehungsweise Fazit aus: „Es ist unsere verdammte Pflicht (…) Deutschland aus der Hilflosigkeit zu befreien.“


Norbert Röttgen: Nie wieder hilflos! Ein Manifest in Zeiten des Krieges. dtv, München 2022. 144 Seiten, 14 €

Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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