Marie-Agnes Strack-Zimmermann liest... - Das politische Buch

Reinhard Bingener und Markus Wehner haben ein Buch über die Entwicklung deutscher und russischer Außenpolitik der letzten 20 Jahre geschrieben. Eine scharfe Analyse, findet Sicherheitsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag / Pressebild
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Autoreninfo

Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist FDP-Bundestagsabgeordnete und sitzt im Bundesvorstand ihrer Partei.

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Reinhard Bingener und Markus Wehner begeben sich in ihrem Buch auf Ursachensuche für ein Problem, das viele leider erst im vergangenen Jahr beschäftigt hat: Wie konnte es so weit kommen, dass Deutschland derart abhängig von russischem Gas wurde, dass es eines riesigen Kraftakts bedurfte, um die ausbleibenden Lieferungen zu kompensieren und die Energieversorgung zu gewährleisten? 

Im Zentrum der Beobachtung steht das Duo Gerhard Schröder und Wladimir Putin. Die Autoren skizzieren, wie eine Bindung entstehen konnte, die weit über das normale Maß an Freundschaft zwischen zwei Regierungschefs hinausgeht und die die deutsche Energiepolitik bis zum Februar 2022 geprägt hat. 

Ein schreckliches Ende, das wir schon kennen

Um den Kontext für dieses komplexe Thema zu schaffen, werden die politischen und ökonomischen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland beziehungsweise der früheren Sowjetunion der vergangenen Jahrzehnte nachvollzogen. Dabei fällt auf, dass sich manche Debatten im Laufe der Zeit doch ähneln. Die Lieferung von Röhren zum Bau von Pipelines in der Sowjetunion beschäftigte schon Adenauer und 20 Jahre später Schmidt und Kohl. Auch damals wiesen die USA bereits darauf hin, dass man sich von Moskau in Energiefragen nicht abhängig machen dürfe.

Ein weiterer Schwerpunkt des Buches liegt in der Aufschlüsselung des Netzwerks von Gerhard Schröder. Wenngleich die meisten Verbindungen rund um die Hannover-Connection wohl bekannt sind, erfolgt hier eine sehr übersichtliche Darstellung des Geflechts, das noch bis in die heutige Spitzenpolitik reicht. 

Das Werk liest sich wie eine Geschichte, deren schreckliches Ende man bereits kennt. Die beiden Autoren stellen anschaulich die Handlungen Putins den Reaktionen aus Deutschland gegenüber. Sie zeigen: Man hätte es nicht nur früher wissen können, sondern müssen. Doch allzu gerne haben viele Entscheidungsträger die Ausreden und Narrative des Kremls geglaubt und weiterverbreitet. Hinzu kommt die lange aufrechterhaltene Behauptung, man dürfe Putin nur nicht provozieren, dann würde er sich anders verhalten. Schonungslos wird jeder Schritt in Putins blutigem Pfad vom Tschetschenienkrieg bis zur Invasion der Ukraine dargelegt. Demgegenüber wird eine innerdeutsche Debatte abgebildet, in der Kritik an Russland lange mit dem Label „Kalter Krieg“ versehen wurde.

Angela Merkel zu kurz beleuchtet

Die Autoren liegen richtig, wenn sie den Umgang mit Russland in den vergangenen 23 Jahren als größten außenpolitischen Fehler der Nachkriegszeit beschreiben. Es wird deutlich, dass im Mittelpunkt dieser Entwicklung zwar das Duo Putin/Schröder steht, das Problem allerdings weit über die Grenzen der Niedersachsen-SPD hinausgeht. Leider fällt das Licht immer nur kurz auf die Begebenheiten, die links und rechts des Erzählstrangs auftauchen. Insbesondere die Rolle von Angela Merkel wird zu kurz beleuchtet, um die Frage, wie es so weit kommen konnte, umfassend zu beantworten.

Denn die Putin-freundliche Außen- und Wirtschaftspolitik ist in der deutschen Gesellschaft auf fruchtbaren Boden gefallen. Für den Diktator gab es Sympathien: sei es aus Verklärung des Sozialismus, aus Festhalten an dem Glauben, dass nur so Frieden zu bewahren sei, aus Bewunderung für den chauvinistisch-nationalistischen Putin oder aus rein wirtschaftlichen Interessen. Insgesamt gelingt den beiden Autoren eine sehr anschauliche Darstellung eines komplexen Gebildes, in die immer wieder persönliche Beobachtungen einfließen. Die Stärke des Buches besteht nicht in neu aufgedeckten Informationen, sondern in der scharfen Analyse des bisher Bekannten.

Reinhard Bingener, Markus Wehner: Die Moskau-Connection. Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit. C. H. Beck, München 2023. 304 Seiten, 18 €

 

Dieser Text stammt aus der Mai-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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