Man sieht nur, was man sucht - Als sich Genossen in Gotteskrieger verwandelten

Im Westen wurde der Sieg Khomeinis im Jahr 1979 als praktische Umsetzung postkolonialer Theorie verklärt. Die Erben der einstigen Revolutionäre im Iran verfolgen heute die aufbegehrenden Frauen.

Die anonyme Straßenfotografie aus dem Jahr 1978 zeigt Mitglieder der iranischen Hisbollah, das Konterfei Khomeinis vortragend / anonyme Straßenfotografie
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Autoreninfo

Beat Wyss hat an zahlreichen internationalen Universitäten gelehrt. Er hat kontinuierlich Schriften zur Kulturkritik, Mediengeschichte und Kunst veröffentlicht. Beat Wyss ist Professor an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe.

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Auf einer Teheraner Straße haben sie sich in Pose gesetzt, die Gesichter verdeckt hinter hochgehaltenen Plakaten mit dem Konterfei von Ajatollah Khomeini. Was wie Concept Art wirkt, ist von erhabenem Ernst. Hier stehen Studenten, bekehrte Anhänger der marxistisch-leninistischen Tudeh-­Partei. Die anikonische Kultur des Islam hatte in vormoderner Zeit keine Bildwerke für volkspädagogische Zwecke eingesetzt. Wertvorstellungen und Ideale wurden über Musik und Dichtung vermittelt. Es bleibt bittere Ironie der Geschichte: Islamisten kopieren Bildstrategien, die sich im Personenkult der Stalin-Ära herausgebildet hatten. 

Nein, Beine von Frauen finden sich nicht in den Reihen, die hier als iranische Hisbollah, „Partei Gottes“, aufmarschierten. Der Dresscode der jungen Männer war unauffällige Zivilkleidung. Keine Turnschuhe! Sondern ledernes Schuhwerk oder herkömmliche Pantoffeln. Dass der zweite Gotteskämpfer von rechts genietete Jeans trägt, gar mit hochgekrempelten Hosenbeinen nach Ami-Manier, belegt die Tatsache, dass es sich um ein frühes Bilddokument der Bewegung handelt. Auch die ausladenden Trompetenhosen des benachbarten Genossen wirken zu modisch, sind nach strenger Lehre politisch unkorrekt. Hisbollahi sollen amerikanisches, westlich wirkendes Outfit tunlichst vermeiden! 

Hausgemachte Unterdrückung

Doch die Entgleisung der Anfänger sei verziehen: Die Szene illustriert buchstäblich eine geglückte Gehirnwäsche, welche Genossen in Gotteskrieger verwandelte. Statt Marx und Lenin schwebten jetzt die Lehren des Ajatollah über den Köpfen der Revolutionswächter.

Zur Zeit des Umsturzes im Iran galt Khomeini im Westen als kommunitärer Verschwörer orientalischen Zuschnitts, und der weißbärtige Prophet bediente dieses Vorurteil gern, als er unter großem Medienrummel im Januar 1979 aus dem Pariser Exil nach Teheran zurückkehrte; dem schlauen Mann Gottes war das verklärende Wohlwollen der linksliberalen und intellektuellen Öffentlichkeit im Westen Schmiermittel der Macht­übernahme. Die Begeisterung Michel Foucaults über die politreligiöse Aura, die von diesem Mann mit Turban ausging, wurde in meiner Cicero-Kolumne vom Oktober 2021 behandelt.

 

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Romantische Orientverklärung sah im Sieg Khomeinis die praktische Umsetzung postkolonialer Theorie, wonach ein entrechtetes Volk im Sinne seiner tradierten Werte eine verhasste Fremdherrschaft zu besiegen vermag. Khomeini entsprach Rousseaus Bild vom edlen Wilden, der eine ursprüngliche Würde verkörpert, unversehrt von kolonisierendem Zugriff. Gegen solche Idealisierung ist allerdings die historische Tatsache hervorzuheben, dass der Landstrich zwischen Kaspischem Meer und Persischem Golf seit der Antike nie kolonisiert worden ist, schon die Römer bissen sich am Reich der Parther die Zähne aus. Unterdrückung kam in dieser Kulturregion zu keiner Zeit von einer fremden Macht. Die Bevölkerung wurde von ihren eigenen feudalen Herrschern gegängelt und ausgebeutet. 

Unterm Schah hätte sie gelebt

Die jungen Männer, die hier demonstrativ ihre Individualität gegen das Über-Ich einer gottesfürchtigen Hisbollah getauscht haben, dürften inzwischen in Rente sein. Ihre Nachfolger in Wort und Tat finden sich heute in der Sittenpolizei, die sich das Recht anmaßte, die 22-jährige Jina Amini vorigen Herbst zu Tode zu prügeln. Während die junge Frau auf einen Studienplatz in Biologie an der Uni gewartet hatte, finanzierte ihr der Vater eine kleine Modeboutique in der Innenstadt von Saqqez in Irans kurdischem Nordwesten. Bei jenem Besuch in der Hauptstadt muss Jina einen tödlichen Fehler begangen haben. Aus ihrem Kopfhörer kam vielleicht gerade ein Song, unterlegt mit persischer Liebeslyrik, von der Setar begleitet, der langhalsigen, elektronisch verstärkt.

Vielleicht trug sie eines der glitzernden T-Shirts, die sie zu Hause in ihrem Lädchen verkaufte. Hat sie auf der Tabiat-Brücke gerade ein Selfie gemacht, mit elegant zum Hinterkopf hin verrutschtem Hidschab? Für solche Unkeuschheit reicht es im Iran zur Todesstrafe. 

Die Deutschen mögen den letzten Schah nicht. Noch immer sitzen sie dem Zerrbild auf, das die Islamisten ihm verpassten, samt missglücktem Berlinbesuch. Schah Reza Pahlavi hätte der jungen Frau auf der Tabiat-Brücke zugelächelt: Ja, das war die Jugend, die ihm mit seiner Weißen Revolution vorgeschwebt hatte. 

 

Dieser Text stammt aus der März-Ausgabe des Cicero, die Sie demnächst am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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