Luisa Neubauer hält Fastenpredigt - Die geborene Pastorin

Luisa Neubauer hat im Berliner Dom ihre erste Predigt gehalten. Der Auftritt in der Fastenpredigtreihe hat gezeigt, woher ihre Weltverbesserungsimpulse rühren. In der protestantischen Kirche versteht man die Sprache der Aktivistin für Fridays For Future. In der Politik ist das schwieriger.

Die geborene Pastorin: Luisa Neubauaer / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Jens Nordalm leitete bis August 2020 die Ressorts Salon und Literaturen bei Cicero.

So erreichen Sie Jens Nordalm:

Anzeige

Luisa Neubauer hat eine Predigt gehalten. Ja natürlich, tut sie doch immer, mag man sagen. Nein, diesmal ist es eine richtige Predigt, gehalten im Berliner Dom, in dessen diesjähriger Fastenpredigtreihe.

Es hat dazu im Vorfeld schon, nicht überraschend, viel Erregung gegeben. Peter Hahne war empört über die Evangelische Kirche als „rot-rot-grüne NGO“ und überhaupt über evangelische wie katholische ökologische Interpretationen des Fastens in dieser Zeit. Auch aus der AfD kamen giftige Kommentare.

Weltverbesserungsimpulse

Aber die Laien-Predigt ist ein etabliertes Format in der Evangelischen Kirche, gerade zur Fastenzeit. Und gerade Politiker werden immer wieder auf die Kanzel geladen. Hinzu kommt, dass Luisa Neubauer sich hier auf durchaus vertrautem, angestammtem Terrain bewegt. Sie begann ihr Engagement in einer Hamburger Kirchengemeinde, hatte dort „eine tolle Pastorin“, wie sie dem Internet-Portal „Kirche und Leben" verriet, und als Jugendgruppenleiterin habe sie auch Konfirmanden unterrichtet.

%paywall%

Und am Ende ist, wie man am Sonntag sehen konnte, die kirchliche Rede auch die Form, in die Luisa Neubauers Aktivismus ganz natürlich gehört. Und das ist ganz ohne Sarkasmus gesagt. Jedenfalls stellt sich Luisa Neubauer mit dieser Predigt in einen sehr deutschen Resonanzraum – den protestantischen. Sie ordnet sich ein in eine sehr deutsche Form der Bewegtheit – eine Bewegtheit, die zur Umkehr aufruft.

Sie unterwirft sich gewissermaßen einer Ausdrucksform, die uns die Natur ihrer Weltverbesserungsimpulse kenntlich macht. Und sie ermöglicht so auch eine Unterscheidung, die anzuerkennen in der Debatte ums Klima helfen würde: Das eine ist der heiße und fromme Wunsch – auch dies nicht polemisch gemeint –, die Welt möge gerettet werden. Das andere ist die Politik, in der dieser Wunsch in gangbare und mehrheitsfähige Schritte zu übersetzen ist.

„Von der Sorge“

Neubauer macht das gut, in der rhetorischen Form. Sie versucht sofort, im zweiten Satz, Kritikern dieses Auftritts den Wind aus den Segeln zu nehmen. „Ich hier. Man könnte meinen, dass das eine denkbar dumme Idee ist.“ Weil es alle Vorurteile über moralische Überhebung der Aktivisten bestätigen könnte. Ihre „schlechte Laune“, die sie längst überall hintragen, „die strengen Klimakinder, die alle Welt zum Dauerverzicht zwingen wollen“. Ob sie ihren Kritikern erfolgreich den Wind aus den Segeln nahm, das muss jeder selbst entscheiden. Ich jedenfalls dachte: Ok, das ist smart, hören wir weiter.

Im Predigt-Text, Matthäus 6, heißt es eigentlich „Sorgt euch nicht“ – aber „Von der Sorge” ist das vorgegebene Thema ihrer Predigt. Und da gibt es natürlich viel aufzuzählen, von der Corona-Lage für Familie und Freunde angefangen bis zum täglichen Kampf um Lebensgrundlagen in Afrika und Indien, den wir, so Neubauer, als reiche Industrienationen einst ausgelöst haben und den wir in vollem Bewusstsein bis heute befeuern: „So groß ist unsere Schuld und unsere ignorierte Verantwortung!“ Und die Pandemie zumal: Folge unserer ökologischen Ausbeutung der Welt! Wir waren gewarnt, sagt Luisa Neubauer. Da hat sie einen Punkt gegen Angela Merkel, die in ihrer Neujahrsansprache ja tatsächlich behauptete: „2020 ist etwas über uns gekommen, womit die Welt nicht gerechnet hatte.“

Der Risiko-Planet ist schon längst Realität

„Wir haben einen Risiko-Planeten geschaffen, der für uns selbst zur Lebensgefahr wird.“ Sie sorge sich darüber nicht nur, sie trauere. Um die Welt, die wir schon verloren haben, im Artensterben, und um die, die wir verlieren werden. „Wut und Sorge machen sich breit in meiner Brust, legen sich klamm auf meine Schultern.“ So etwas ist wohl auf der Kanzel so stimmig sagbar wie kaum irgendwo sonst.

Und dann denkt sie tatsächlich sehr ernsthaft darüber nach, warum denn der Bibel-Text uns angesichts all dessen nun ausgerechnet sagt, wir sollten uns keine Sorgen machen um unser alltägliches Leben morgen. Sie nimmt die überlieferte Form der Predigt als Bibel-Arbeit an. Sie ringt im Dom mit dem Text. Sie arbeitet für sich heraus, welche Art der Sorglosigkeit uns hier angesonnen werde – und welche nicht. Es gehe um eine bestimmte Qualität der Sorgen, von denen Jesus abrate: die Sorgen, „die ins Leere führen, die Energie rauben, die Momente stehlen.“

Sorgen als Quelle der Kraft nutzen 

Aber Sorgen als Quelle der Kraft, eine bessere Welt zu gestalten: Dass der Bibeltext von diesen Sorgen abrate, will Luisa Neubauer nicht glauben. Denn im Moment häufen wir zwar Schätze an und lassen Gier und Neid regieren. Aber es könne und werde anders werden – wenn wir nur richtig und tief innehalten. Und dann können wir – wie die Vögel in diesen Matthäus-Versen – sorglos von dem leben, was uns die Erde gibt. Gott hat uns alles mitgegeben, was wir brauchen, um uns selbst zu retten. Das würden wir dann begreifen. Ein ganz neuer Blick auf die Welt sei dann möglich.

„Wir werden nicht den Glauben verlieren an eine bessere und gerechtere Welt, die möglich ist, solange wir für sie kämpfen. Sorgt euch nicht. Amen.“

Mit der Bewegtheit versöhnen

Luisa Neubauer, im Dom, eine Fastenpredigt haltend: Es war eine gute Idee. Ein Bild, das die Vorstellung, die man sich von der Natur ihrer Bewegtheit macht, einerseits bestätigt – und das zugleich mit dieser Bewegtheit versöhnt, wenn man sich darauf einlassen mag. In diesen Momenten verliert sich etwas von der Anmaßung dieser Bewegtheit, indem sie sich in die kulturelle Praxis des evangelischen Gottesdienstes rückbindet.

Luisa Neubauers Fastenpredigt war eine öffentliche Selbsteinordnung in einen uralt-bekannten Tonfall. Und die politische Arbeit ist dann etwas ganz anderes.

Anzeige