Löwenalarm in Berlin - Jetzt wird ausermittelt!

Die Hauptstadt wird von einer ausgebüxten Löwin in Atem gehalten, die auch ein Wildschwein sein könnte. Was aber eigentlich völlig egal ist. Denn Deutschland zeigt sich neuerdings abwehrbereit. Die Zeitenwende gilt also auch für Tiere.

Auf Löwinnenjagd in Berlin / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Am Rathaus unseres schönen Berliner Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf hängen zwei Flaggen: eine ukrainische und eine in Regenbogenfarben. Was wahrscheinlich zum Ausdruck bringen soll, dass die Bewohner des Stadtteils (womöglich aber auch nur die Behördenmitarbeiter) gleichermaßen „solidarisch“ sind mit dem überfallenen Land einerseits sowie mit Queer-Personen auf der anderen Seite. Wir leben eben in Zeiten des allgegenwärtigen Bekenntniskitschs; ein Rathaus einfach Rathaus sein zu lassen, widerspricht offenkundig den geltenden Anstandsregeln.

Dieser gesellschaftliche Trend zur symbolhaften Zurschaustellung der eigenen Überzeugungen macht natürlich auch vor Alltagskleidung nicht halt, weswegen es nur eine Frage von Stunden war, bis erste Politiker oder andere Personen des öffentlichen Lebens ihrer ideellen Unterstützung entflohener Wildtiere (in diesem Fall mit einem T-Shirt) Ausdruck verleihen.

„Armutszeugnis für diese Stadt“

Die Rede ist natürlich von der freilaufenden Löwin, welche seit Donnerstag den südwestlichen Teil der Bundeshauptstadt sowie angrenzende Gemeinden wie etwa das beschauliche Kleinmachnow in Katastrophenstimmung versetzt. Und in der Tat: Wer jene schwerbewaffneten Sondereinsatzkräfte und kampfpanzerähnlichen Fahrzeuge sieht, die derzeit den einst bürgerlichen Kiez in einen Schauplatz verwandeln, der mehr an Landesverteidigung erinnert denn an eine Großwildjagd, muss sich eher Sorgen machen um die gesuchte Bestie, denn um die von ihr bedrohte Bevölkerung vor Ort.

Insofern war es nur konsequent, dass die bündnisgrüne „Sprecherin für Wildtierschutz“ im Berliner Abgeordnetenhaus (was es nicht alles gibt!) ihren Appell zum pfleglichen Umgang mit der Raubkatze in einem Oberteil mit aufgedrucktem Löwinnenkonterfei unters Volk brachte: Eine Tötung wäre „ein Armutszeugnis für diese Stadt“, so June Tomiak, die Löwin müsse „gesichert und in Sicherheit gebracht“ und anschließend einer „artgerechten Anschlussverwendung zugeführt“ werden.

Dass es sich bei der gesuchten Monstermieze womöglich doch nur um ein banales Wildschwein gehandelt haben könnte, ändert natürlich nichts an der Brisanz des gesamten Vorgangs. Denn die Aussage von Frau Tomiak, die Haltung von Wildtieren sei „kein Kavaliersdelikt“, und es könne ja wohl kein Zufall sein, dass ausgerechnet „Kleinmachnow als Hotspot der Reichen“ Austragungsort der aktuellen Großstadtsafari sei, gilt selbstverständlich unabhängig von den freilaufenden Gattungen.

Dramatik nicht erkannt

Ob nun Wildsauen oder Löwinnen: Der Kapitalismus setzt erbarmungslos sämtlichen Kreaturen nach, die sich partout den Domestizierungsversuchen des großen Geldes zu widersetzen versuchen. Und das Milliardärskaff Kleinmachnow steht mit seiner bekanntermaßen überdurchschnittlich hohen Haustierdichte ohnehin unter Generalverdacht – wilde Dackel, entfleuchte Kanarienvögel und freilaufende Meerschweinchen lassen grüßen.
 

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Dass sich ausgerechnet der Spross eines in Kleinmachnow ebenfalls beheimateten Gangsterclans in die Suche einmischte und den Verdacht ventilierte, seine eigene Sippe könnte die entlaufene Löwin zuvor im heimischen Gehege gehalten haben, passt zwar nicht so recht ins Weltbild grüner Wildtierschutzsprecherinnen. Es kann aber dennoch als gesichert gelten, dass sich hinter den hohen Hecken der Berliner Villenbesitzer tiefe Abgründe auftun. Weshalb es durchaus ratsam wäre, die Spezialkommandos auch für den Fall dort zu belassen, dass sich die Wildschweinthese bestätigen sollte.

Neuköllner Freibäder sind im Vergleich zu Kleinmachnower Vorgärten doch geradezu Orte des Friedens und der Völkerverständigung (beziehungsweise der Verständigung zwischen Mensch und Tier). Wenn ein Polizeigewerkschafter jetzt also den Löwen-Fehlalarm als „teuerste Safari aller Zeiten“ bezeichnet und anmahnt, das Geld für den Großeinsatz wäre „besser in die Bekämpfung der Clan-Kriminalität“ geflossen, hat er die Dramatik der gesellschaftlichen Zustände in spießigen Vororten einfach nicht erkannt.

Deutschland ist abwehrbereit

Die Berliner Löwenjagd zeigt immerhin in aller Deutlichkeit: Deutschland ist abwehrbereit. Vielleicht nicht gegen russische Invasionsarmeen (die bekämpfen wir lieber mit der Beflaggung von Bezirksrathäusern in ukrainischen Nationalfarben). Aber Löwinnen sollten allemal auf der Hut sein und sich nicht auf – im Wortsinn – wildfremdes Territorium begeben.

Wildschweine übrigens auch nicht, deren kriminelle Energie vor ein paar Jahren aktenkundig wurde, als eine widerborstige Bache einem arglosen Nacktbader im Grunewald den Laptop stibitzte. Was damals übrigens nur zu Erheiterung in den Sozialen Medien führte, jedoch keinen Einsatz mit militärischem Großgerät nach sich zog. Aber zwischenzeitlich wurde ja auch jene Zeitenwende ausgerufen, die permanente Resilienz erfordert – ob gegen wilde Horden aus dem Osten oder gegen Wildtierbefall in Berliner Einfamilienhausgegenden. Oder wie June Tomiak von den Grünen es so schön formuliert: „Illegale Wildtierhaltung muss mit Nachdruck ausermittelt werden!“

Erinnert sich eigentlich noch jemand an „Sammy“ – jenen Riesenalligator, der Mitte der 1990er Jahre unbescholtene Badegäste im Dormagener Baggersee zu zerfleischen drohte, bevor er sich als Kaiman im Westentaschenformat entpuppte? Wäre schon damals die U-Boot-Flotte zu dessen Habhaftwerdung eingesetzt worden, hätten sich heute weder Wildschweine noch Löwinnen dazu ermuntert gefühlt, einfach ohne Vorwarnung durch deutsche Sommerlöcher zu streunen. Die Tierwelt sei hiermit gewarnt: Neuerdings gelten andere Regeln! Und hinterher wird gnadenlos ausermittelt. Schönen Tag noch.

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