Lob der kleinen Freuden - Musik und Wein im Geiste Epikurs

Unser Genusskolumnist hat sich seine Fähigkeit bewahrt, scheinbar Alltägliches als berührende Glücksmomente zu erleben. So widerfuhr es ihm neulich nach einer zufällig aufgeschnappten Musiksendung, die zum Auslöser für einen sorgfältig geplanten Genussabend wurde.

Strand auf Epikurs Geburtsinsel Samos / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

So erreichen Sie Rainer Balcerowiak:

Anzeige

Es gibt Genussreisen, Genussfestivals, Genusskonzerte, Genussmassagen, hier und da „das besondere Genusserlebnis“, natürlich „Genuss ohne Reue“, und das eine oder andere Medium leistet sich sogar einen „Genusskolumnisten“. Ziemlich viel Gedöns um eine eigentlich recht einfache Sache.  

Denn Genuss ist nüchtern betrachtet schlicht eine positive Sinnesempfindung, die mit körperlichem und/oder geistigem Wohlbehagen verbunden ist. Beim Genießen wird mindestens ein Sinnesorgan stimuliert. Was als Genuss empfunden wird, ist individuell höchst verschieden. Voraussetzung ist natürlich eine gewisse Genussfähigkeit und Offenheit für derartige Empfindungen.

Von Epikur lernen

Die ollen Griechen haben das alles philosophisch intensiv durchleuchtet, und ein gewisser Epikur hat daraus eine prägende Denkschule entwickelt, den Epikureismus. Der Meister vertrat unter anderem die sehr modern anmutende Auffassung, dass es zwar Götter gibt, aber keine göttliche Vorsehung und auch keine Unsterblichkeit. Alles hat demnach ausschließlich natürliche Ursachen und Abläufe, und das gilt auch für den Tod, nach dem dann einfach nichts mehr kommt. Deswegen solle man – salopp formuliert – in seiner irdischen Zeit genussmäßig ruhig auf die Pauke hauen.

Als eine Art Gegenmodell gilt die Askese, zu der in manchen Denkschulen auch der Verzicht auf irdische Genüsse zwecks Erreichung „höherwertiger“ Ziele gehört. In der modernen Konsumgesellschaft ist Genuss oftmals materiell konnotiert. Man leistet sich etwas „Besonderes“ als „Belohnung“ für was auch immer. Also nix wie ab ins Luxus-Spa für eine Wellness-Woche, ins Sterne-Restaurant oder eine Kiste Jahrgangschampagner bestellen. Kann man natürlich machen, wenn man über die entsprechenden Ressourcen verfügt. Aber es geht – nicht weniger genussvoll – auch etliche Nummern kleiner.

Inspiration beim Radiohören

Das alles ging mir neulich durch den Kopf, als ich mir abends eine CD anhörte. Das klingt nun arg profan, aber diese Genuss-Geschichte hat natürlich einen Vorlauf. Manchmal höre ich vor dem Einschlafen noch in einen der zahlreichen ARD-Kultursender rein. Alleine deren Existenz ist ein guter Grund, das System der Rundfunkgebühren zu unterstützen, aber das nur nebenbei. Jedenfalls landete ich bei einer Sendung über Alte Musik, in der gleichermaßen kenntnisreich und unaufgeregt moderiert eine CD vorgestellt wurde. Doch zunächst war da nur die Musik: Beschwingte spätbarocke Klänge in kleiner Besetzung. Ein mir bislang unbekanntes Werk, aber irgendwie dennoch vertraut – Übervater Johann Sebastian Bach ließ ein bisschen grüßen.

 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:

 

Schließlich erfuhr ich, dass es sich um die Triosonate in d-moll von Johann Philipp Kirnberger handelte, gespielt vom Ensemble Diderot. Von beiden hatte ich noch nie etwas gehört. Und auf der CD gab es weitere Stücke – alles Triosonaten – von mir unbekannten Komponisten, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im höfischen Umfeld des preußischen Königs Friedrich II. (der „Alte Fritz“) zugange waren. Die immer drängendere Müdigkeit nötigte mich schließlich zum Ausschalten des Radios. Klar war, dass ich es nicht dabei belassen würde, denn dass sich quasi vor meiner Haustür so etwas wie eine spätbarocke „Berliner Schule“ etabliert hatte, war mir neu und interessierte mich.

Einfach reinfließen lassen

Am nächsten Tag also die CD bestellt, die auch zwei Tage später im Briefkasten lag. Aber so einen erkenntnisschwangeren Tonträger legt man nicht einfach nebenbei in den Player. Ich wollte es zelebrieren, als ganz besonderen Genussmoment. Das Wochenende verbrachte ich im Garten und am Montag war es dann soweit. Tagsüber gearbeitet, dann noch einen Rotwein besorgt, der zu dieser Musik passen könnte. Eine Kleinigkeit gegessen, und dann war es soweit.

Wein entkorkt, ein bisschen im – sehr informativen – CD-Booklet gestöbert, auf die Couch im Wohnzimmer gesetzt und die CD gestartet. Dann fasziniert diesem Füllhorn unbekannter Triosonaten nebst einer Fuge der Königsschwester Anna-Amalia gelauscht, sie in mich reinfließen lassen, ab und zu einen Schluck von dem hervorragend passenden Rotwein genossen und nach dem Ende der Musik noch ein bisschen entspannt vor mich hin sinniert. Der alte Grieche Epikur hätte wohl seine helle Freude an mir gehabt. Denn diese Stunde war schlicht ein großartiges Genusserlebnis.

 

Die Musik:

Ensemble Diderot: The Berlin Album
Werke von J.G. Graun, J.P. Kirnberger, G.A. Benda u.a.

Der Wein:
2019 Istein Kirchberg Spätburgunder trocken
Markgräfler Winzer eG
 

 

Anzeige