Kritik an Precht und Flaßpöhler - Milieubedingte Reizwortschleuderei

Richard David Precht und Svenja Flaßpöhler stehen wegen ihrer Äußerungen in der Corona-Debatte in der Kritik. Geschossen wird aus allen Rohren, und auch der Hinweis darf nicht fehlen, dass Precht und Flaßpöhler jetzt auch irgendwie rechts seien. Eigentlich haben wir es mit einer neuen Gattung im Journalismus zu tun: dem „Plakativjournalismus“, der weder klug ist noch reflektiert, sich aber besonders gut auf Twitter zitieren lässt.

Irgendwie rechts: Richard David Precht / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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In der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung ist jüngst ein lesenswerter Beitrag erschienen. In „Sie nennen es Freiheit“ rechnet die Autorin Julia Encke mit allen ab, die aus ihrer Sicht zu kritisch auf die Corona-Maßnahmen blicken. Encke beklagt, dass die „angebliche Beschneidung von Freiheit, gesellschaftliche Zwänge und selbst auferlegte Zensur“, dass also diese „haltlosen Behauptungen der Impfskeptiker“ immer weiter vordringen in die „bürgerliche Mitte“.

Besonders angetan haben es Encke der Philosoph Richard David Precht und Svenja Flaßpöhler, die Chefredakteurin des Philosophie Magazins, die, folgt man Encke, eine unheilige Allianz bilden mit all den Corona-Delinquenten und Pandemie-Kollaborateuren da draußen, den Impfgegnern und Covid-Leugnern. Ganz konkret wirft Encke Precht und Flaßpöhler „jene polemische Behauptungskette von Freiheitsberaubung und Selbstzensur“ vor, „die man seit der Corona Pandemie vor allem im rechten Spektrum findet“. 

Die bösen Buben der Pandemie

Ihr Vorwurf an Precht und Flaßpöhler ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Erstens, weil er in einer Zeitung konservativer Prägung erscheint, von deren Autoren man erwarten würde, dass sie sorgsamer und differenzierter mit dem Begriff „rechts“ umzugehen wissen. Und zweitens, weil es eben Tatsache ist, dass wir in den vergangenen zwei Jahren die größten Freiheitseinschränkungen in Nichtkriegszeiten erleben. Und deshalb muss über Freiheit entsprechend vielschichtig diskutiert werden, auch wenn es manche, und da darf man Encke nach der Lektüre ihres Artikels besten Gewissens hinzuzählen, nicht mehr hören können oder wollen. 

Das ist es, was Precht tut, wenn er – wie  jüngst im gemeinsamen Podcast mit Markus Lanz – einerseits auf die großen Erfolge in der Impfgeschichte hinweist, andererseits aber erläutert, warum er seine Kinder nicht gegen Corona impfen lassen würde. Und das ist auch, was Flaßpöhler tut, die, obwohl geimpft, den wachsenden Druck beklagt, der auf Ungeimpfte ausgeübt wird; das also, was der Epidemiologe Ulrich Mansmann im Gespräch mit Cicero jüngst eine „Dichotomie“ nannte, „wonach die Geimpften die Guten sind und die Ungeimpften die bösen Buben in dieser Pandemie“. Eine Dichotomie übrigens, die laut Mansmann gar nicht funktioniere, weil „auch die Gruppe der Geimpften nicht unerheblich zur Infektionslast“ beiträgt.

Das Gemüse des alten weißen Mannes

Enckes Text in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ist gleichwohl nicht die einzige Abrechnung mit Precht und Flaßpöhler. Auch die Spiegel-Autorin Margarete Stokowski knöpft sich das Duo in ihrer jüngsten Kolumne („Lasst die Philosophie da raus“) vor. Was als langatmige Rückschau auf ihr eigenes Philosophiestudium beginnt, mündet irgendwann in dieser Beobachtung: „Precht und Flaßpöhler gleichen sich darin, dass sie gern populistische Meinungen vertreten, ohne sich groß um Belege zu scheren, und beide kommen bei ihren Überlegungen mit absolut präziser Treffsicherheit am rechten Rand bürgerlichen, antiemanzipatorischen Denkens raus, egal, ob es um die Pandemie geht oder um Geschlechterrollen.“

Es entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie, dass Stokowski anderen vorwirft, politische Stimmungen zu bedienen; bekanntlich ein Wesensmerkmal des Populismus. Stokowski selbst achtet nämlich penibel darauf, ihren Fans zu liefern, was diese von ihr erwarten. Mal erklärt sie den Spargel zum Gemüse des „alten, weißen Mannes“, mal weigert sie sich, in einer Buchhandlung zu lesen, weil dort auch (rechte) Bücher verkauft werden. Weniger Berührungsängste hat Stokowski bei ihren Lesungen übrigens mit der Roten Flora, bekanntlich das Vereinsheim der linksextremen Szene in Hamburg. Aber das nur am Rande.

Prechts intellektuelle Ehre

Ein ähnlicher Text wie die beiden zitierten ist in der Frankfurter Rundschau erschienen, beziehungsweise auf deren Online-Seite. Sie alle eint, dass die Vorwürfe an Precht und Flaßpöhler nicht über das übliche Gesinnungsgestempel hinausgehen. Stattdessen darf sich der geneigte Leser über eine milieubedingte Reizwortschleuderei freuen, die sich gut in 280 Zeichen auf Twitter zitieren lässt. Das scheint offenbar der Maßstab zu sein, was lustig ist, da man an Precht und Flaßpöhler gleichwohl ganz andere Maßstäbe anlegt.

Wer sich über die „intellektuelle Ehre“ eines Richard David Precht lustig macht, wie der Autor der Frankfurter Rundschau, sollte zumindest darauf achten, dass er im nächsten Satz nicht „dass“ und „das“ verwechselt. Und er sollte im gleichen Satz auch keinen Dativ setzen, wo der nicht hingehört. Das ist das eine. Das andere ist dies: Die Autoren gehen von der besonders in der Identitätspolitik beliebten, aber deshalb nicht minder wirren Annahme aus, Menschen ließen sich anhand einzelner Kriterien, wie Kritik an den Corona-Maßnahmen, gleich einer Gruppe zuordnen. In diesem Fall dem „rechten Rand“.

Das Narrativ als Selbstschutz

Der Grund dafür, dass der Begriff in diesen Texten nicht näher definiert wird, ist so simpel wie ernüchternd: Die Autoren können das nicht, weil die Debatten um die Corona-Pandemie und die Corona-Maßnahmen nicht entlang klar definierter politischer Linien verlaufen, sondern sich kreuz und quer durch die Gesellschaft ziehen. Will heißen: Selbst die Corona-Proteste sind keine NPD-Demonstration. Da läuft auch ur-grünes Milieu mit und ganz sicher auch Menschen, deren Frust man mit einem Hauch Empathie nachvollziehen könnte, weil sie, etwa als Gastwirt, um ihre Existenz fürchten. Dass man derlei Sorgen nicht hat, wenn man für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schreibt, den Spiegel oder die Frankfurter Rundschau liegt auf der Hand

Wer Kritik an den Corona-Maßnahmen der Regierung also per se als „rechts“ abkanzelt, beschreibt keine Wahrheit, sondern gibt sich einem Narrativ hin, das nur dem eigenen Selbstschutz dient. Denn wer sich nur oberflächlich oder gar nicht mit bestimmten Perspektiven befasst – also wirklich befasst, nicht nur auf den nächsten Anlass für Empörung wartet –, der läuft auch nicht Gefahr, eingestehen zu müssen, dass er gar nicht so klug ist, so reflektiert und weitsichtig, wie er immer zu sein glaubte. In Pandemie-Zeiten hat man es ja ohnehin schon schwer genug.

Bitte ein bisschen Applaus

Unterm Strich etabliert sich da gerade eine neue Gattung im Journalismus, nennen wir sie den „Plakativjournalismus“, die von einer Unterkomplexität lebt, die zuvorderst dafür da ist, sich in jeder Zeile zu vergewissern, auf der richtigen Seite zu stehen. Und weil dem so ist, tut man sich nicht besonders mit eigenen Gedanken hervor, sondern damit, die Gedanken anderer ad hominem mit Reizwörtern zu disqualifizieren. Das ist nicht nur billig, sondern dieser Corona-Debatte auch unwürdig, weil dies den Ernst der Lage nicht etwa unterstreicht, wie die Autoren wahrscheinlich meinen, sondern verkennt. Ein Tunnelblick war nie Ausdruck von Weitsicht, sondern immer von Einfalt.

Das zentrale Stilmittel dieses Plakativjournalismus ist die Aggression, die mal mehr, mal weniger klar zutage tritt. Anders als die kluge Polemik etwa, kommt sie dabei ohne jede Pointe aus, setzt gleichsam auf das gleiche selbstrefenzielle Gerede, von dem man sich auch anderswo erhofft, ein bisschen Applaus zu bekommen. Und bedient sich den gleichen Mechanismen wie die Aufmerksamkeitsökonomie in den sozialen Medien: Erfolgreich ist, was laut ist und geherzt wird. Sie nennen es Pressefreiheit.

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