Katharina Zweig - Die KI-Versteherin

Die Informatikerin Katharina Zweig bringt Mensch und Maschine zusammen – und untersucht mit diesem Ansatz Algorithmen und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft.

Künstliche Intelligenz: Des Menschen bester Freund? / dpa
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Autoreninfo

Ilgin Seren Evisen schreibt als freiberufliche Journalistin über die politischen Entwicklungen in der Türkei und im Nahen Osten sowie über tagesaktuelle Politik in Deutschland. 

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Wenn neue Technologie auf German Angst trifft, entstehen zuweilen ­Gespensterdebatten. Das zeigt etwa die Auseinandersetzung um die künstliche Intelligenz. Von Technologien, die Angst machen, ist da immer wieder die Rede. Von Millionen Jobs, die wegrationalisiert werden könnten.

Berechtigte Vorbehalte? Die Sozioinformatikerin Katharina Zweig kann damit nur wenig anfangen. Mit dem Mythos, dass die KI unser Leben auf den Kopf stellen werde, räumt sie zwar nicht vollends auf; doch sie bleibt in ihrer Argumentation lieber sachlich und nüchtern: „Die Debatte um die KI wird zu allgemein geführt“, sagt Zweig. Und: „Welche profunden Änderungen die KI erzeugen wird, diskutiert sich einfacher, wenn man einzelne Innovationen und ihre Technikfolgen in den Blick nimmt.“ 

Der Job des „KI-Verstehers“

Also fangen wir damit an: Wird die künstliche Intelligenz in Zukunft etwa Werturteile fällen können? Wird sie aus Daten über Kriminelle Rückschlüsse darüber ziehen können, wie hoch deren Rückfallquote sein wird? Derlei Sorgen hält Zweig vor dem Hintergrund des technischen Entwicklungsstands für unbegründet. Und falls es in Zukunft doch einmal zu Werturteilen durch KI kommen sollte, so plädiert die engagierte Informatikprofessorin für neue juristische Mittel, mit denen sich die Menschen gegen derlei Urteile wehren können.

Kommen wir also zu einem anderen Thema: Wird KI Millionen Jobs wegrationalisieren? Selbst diese so scheinbar eindeutige Prophezeiung stellt Zweig infrage. Ihrer Meinung nach werde die Technik eher neue Möglichkeiten eröffnen, gerade für Ambitionierte, die verstünden, moderne Technik effizienter zu nutzen und ihren Kunden so schnellere, kreativere und bessere Ergebnisse zu liefern. „ChatGPT-Übersetzungen implizieren nicht den Wegfall von Dolmetscherjobs. Berührende Elemente der Sprache, die Poesie der Sprache, können von KI nicht wiedergegeben werden“, ist Zweig überzeugt. Sie rechnet sogar mit der Entstehung weiterer und neuer Jobs. Es werde „KI-Versteher“ brauchen, also Experten, die KI-geführte Technik bedienen und kontrollieren können. KI ersetze nicht die menschliche Intelligenz. Das ist nicht nur Zweigs eigene Überzeugung, sondern Ergebnis ihrer gesamten bisherigen Forschung zum Thema.

 

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Die akademische Laufbahn der 1976 in Hamburg geborenen Wissenschaftlerin ist von vielen Erfolgen gekrönt. So erhielt Zweig 2019 den Communicator-­Preis für ihre gelungene Kommunikationsstrategie zu politischen und sozialen Auswirkungen von Algorithmen; und neben ihrer Ernennung zur KI-Botschafterin von Rheinland-Pfalz (2020) schmücken Auszeichnungen wie der begehrte Jerusalem-Preis ihre akademische Vita. Zweig hat diverse Bücher zu KI verfasst und sich mit der Einrichtung des innovativen Studiengangs „Sozioinformatik“ an der Technischen Universität Kaiserslautern fest in der internationalen Wissenschaftswelt verankert. 

Eine gefragte Vordenkerin

Der Studiengang ist eine absolute Novität. Seine Absolventen sollen später einmal Softwaresysteme vor dem Hintergrund ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen beurteilen und verändern können. 

Wer sich als Laie über die Funktion und den Aufbau von Algorithmen oder über die Definition von künstlicher Intelligenz informieren will, tut gut daran, Zweigs Publikationen gelesen zu haben, darunter auch ihr in diesem Monat erscheinendes neues Buch „Die KI war’s. Von absurd bis tödlich: Die Tücken der künstlichen Intelligenz“: Mit einfachen Beispielen zeigt sie hierin, wie Algorithmen funktionieren, welche uns nützen und bei welchen wir lieber aufpassen sollten. 

Summa summarum sieht Zweig aber keinen Grund für Existenzängste. Im Gegenteil: „Künstliche Intelligenz kann viel mehr Daten überblicken und schon kleinere Hinweise auf Korrelationen zwischen verschiedenen Einflussfaktoren erfassen. Während wir oft monokausal kategorisieren, gelingt Maschinen die Erkennung von Kombinationen verschiedener Faktoren.“ 

Mit Zweig hat Deutschland eine KI-Kennerin, die ihr Wissen über ihre professionelle Medienarbeit und Gremienpräsenz hinaus sogar in der Enquete-­Kommission „Künstliche Intelligenz“ des Bundestags einbringt. Sie berät Abgeordnete und Minister und bereitet das Land auf die KI-basierte Wissensgesellschaft vor. Mit ihren Kontakten nach ganz oben ist sie genau die richtige Ansprechpartnerin, wenn es um die vielleicht letzte Frage zur maschinellen Zukunft der Menschheit geht: Wird die künstliche Intelligenz die Welt eines Tages möglicherweise besser regieren können als echte Politiker aus Fleisch und Blut? Zweig zuckt mit den Schultern. Vor dem aktuellen Stand der Wissenschaft jedenfalls sei das noch absolute Zukunftsmusik.

 

Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe von Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

 

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