Julia Mateus - Die Quoten-Diktatorin

Es gebe keine Themen, über die man nicht auch Witze machen könne, sagt Julia Mateus, die erste Titanic-Chefredakteurin. Aber sie wirkt vorsichtiger als ihre Vorgänger.

Die neue Titanic Chefredakteurin Julia Mateus / dpa
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Eine Frau in Chefposition löst im Jahr 2022 noch Schlagzeilen aus. Als das Satiremagazin Titanic im Oktober verkündete, dass Julia Mateus Chefredakteurin wird, war das Erstaunen groß. Weil die 38-Jährige die erste weibliche Redaktionsleitung in der 40-jährigen Geschichte dieser traditionsreichen Zeitschrift mit Wurzeln in der Frankfurter Schule ist.

Satire werde immer noch stark mit Männern assoziiert, sagt Mateus, auch wenn die Redaktionen in den vergangenen zehn Jahren weiblicher geworden seien. „Wir stellen feministische Hygieneprodukte wie Menstruations-Baggy­pants vor oder berichten aus dem Leben einer Quotenfrau – solche Themen hätten es vor zehn Jahren schwerer gehabt, ins Heft zu kommen“, sagt Mateus im Gespräch, mitten in der Produktionswoche ihrer ersten Ausgabe als Chefredakteurin. Einen grundsätzlichen Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Humor sehe sie aber nicht.

„Euer fucking Ernst, Titanic?“

Ihre Ernennung wirkt auch weniger nach Umbruch als nach Fortsetzung, schließlich gehört sie schon lange zur Titanic. Mateus, 1984 in Hannoversch Münden geboren, hat nach eigenen Angaben bereits 1995 mit Bastelschere und Pritt-Stift ihre erste Satire-Zeitschrift Unterrock (Auflage: ein Exemplar) produziert. Sie studierte Soziologie, Psychologie und Kommunikationswissenschaft, ihre Masterarbeit schrieb sie über satirische Medienkritik. Von 2020 an war sie Redakteurin bei Titanic und dort für die Rubrik „Briefe an die Leser“ zuständig.

Als Chefredakteurin wünsche sie sich mehr Mundart, Parfumproben und Adelsthemen im Heft, sagt Mateus und kündigt den intellektuellen Niedergang der Titanic an. „Ich etabliere einen autoritären Führungsstil und ein Klima der Angst.“ Sie wolle in ihrer Redaktion gläserne Decken für männliche Autoren einbauen lassen und diese künftig nur noch nach Witzen bezahlen. Allerdings hat sie bereits angekündigt, diese aus den Texten männlicher Autoren herauszustreichen und in ihre eigenen Texte zu schreiben – das Geld solle erhalten, in wessen Texten die Witze stehen.

Anders als Ex-Titanic-Chefredakteur Martin Sonneborn antwortet Mateus oft ernsthaft, im Ton spröder und auf Fragen erst einmal zögernd. Zum Beispiel beim Thema Satire im Jahr 2022. Vor einigen Wochen veröffentlichte die Titanic mal wieder einen ihrer typischen Hitler-Bil­derwitze: „Hatte Hitler ADHS?“ Daraufhin kamen Beschwerden auf Twitter, weil der Witz an ADHS erkrankte Menschen verletze und ein falsches Bild von der Krankheit zeichne, so die Vorwürfe. „Euer fucking Ernst, Titanic?“, kommentierte ein empörter Leser. 

Satire in Zeiten der Identitätspolitik

Mateus erzählt diese Anekdote mit Ratlosigkeit: „Was soll man da antworten als Satiremagazin?“ Das digitale Zeitalter ist ein Zeitalter identitätspolitischer Gereiztheit – das bekommt Satire zunehmend zu spüren. Vergangenes Jahr war es sogar so weit, dass Martin Sonneborn sich nach einem Shitstorm ausnahmsweise mal unironisch dafür entschuldigte, dass er mit einem Witz über Donald Trumps Anti-China-Parolen Menschen verletzt habe, weil er dafür asiatische Stereotype aufgegriffen hatte. Manch ein Kommentator sah das als Meilenstein für den Sieg identitätspolitischer Überempfindlichkeit über die Satire.

„Die Hemmschwelle, sich über Witze zu beschweren, ist geringer geworden“, sagt Mateus. Für Polemiken gegen Woke­ness ist sie trotzdem nicht zu haben. Die Empörung komme aus verschiedenen Richtungen, sagt sie und verweist auf den „Umweltsau-Eklat“, der von Konservativen orchestriert worden sei. Der WDR-Kinderchor hatte in einem Video den Song „Meine Oma ist ne alte Umweltsau“ gesungen. Die Entrüstung darüber ging so weit, dass Menschen vor dem WDR-Gebäude demonstrierten und sich Intendant Tom Buhrow entschuldigte. „Der Feind steht immer noch rechts“, sagte Mateus deswegen kürzlich in einem Interview.

Selbstbestätigung für Linksliberale gibt es genug; zur Titanic gehörten immer auch Witze über sie. Wie kann man diese 2022 provozieren? Witze in Richtung, dass die Grünen eine FDP mit Öko-Anstrich seien, „können auch schon witzig sein“, findet sie, originell seien sie aber nicht mehr. „Da bräuchte es mal einen neuen Aspekt.“
Wird die Titanic „woker“? Mateus, die gendert und bereits verkündete, Gender-Witze seien durch, sagt zwar, es gebe „keine Themen, bei denen ich sagen würde, darüber kann man überhaupt gar keine Witze machen“. Aber sie wirkt vorsichtiger als Satiriker in den 1990ern. Dass nicht mehr ganz so unbedarft mit Sexismus und Rassismus umgegangen wird und Satire weniger altherrenhaft ist, bedeutet nicht gleich ihren Untergang. Aber vielleicht fehlt einfach noch ein neuer Satire-Aspekt für diese Zeit identitätspolitischer Lager-Erregungen.

 

Dieser Text stammt aus der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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