Jugendwort des Jahres - Sagt man das?

Der Pons-Verlag hat das Jugendwort des Jahres gekürt. Zum ersten Mal scheint es sich um ein Wort zu handeln, das Jugendliche auch tatsächlich benutzen. Dabei hätte der Begriff auch das Potential, in den allgemeinen Sprachgebrauch aufgenommen zu werden.

Was als „Jugendsprache" gilt, entscheiden Jugendliche oft nicht selbst / dpa
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Autoreninfo

Johanna Jürgens hospitiert bei Cicero. Sie studiert Publizistik und Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Zuvor arbeitete sie als Redaktionsassistenz beim Inforadio des RBB.

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Das mit der Jugendsprache ist so eine Sache. Besonders im Land der Dichter und Denker, in dem sogar Gendersternchen Grundsatzdebatten auslösen können, wird jedes „Alter“, jedes „chill mal“  und jedes angehängte „ey“ gerne als Anzeichen für den Untergang der deutschen Sprache gewertet. Ich kann an dieser Stelle beruhigen: Das wächst sich aus. Umso überraschender ist der Wirbel um den pubertären Sprachgebrauch, den wir alljährlich zur Auszeichnung des Jugendwortes machen.

Jugendwort? Welche Jugend denn?

Ich war gerade 13, als ich mein erstes Lexikon der Jugendsprache in den Händen hielt. Ein Verlegenheitsgeschenk einer entfernten Verwandten, die einfach nicht mehr wusste, „was man in dem Alter so schenkt.“

Beim Durchblättern fielen mir drei Begriffe ins Auge, die bei mir noch heute für Gänsehaut sorgen: „Gammelfleischparty“ (Feier für über 30-jährige), „guttenbergen“ (abschreiben), „unterhopft“ sein (Lust auf ein Bier haben). Es war das Lexikon eines Verlages, der einfach nicht (mehr) wusste, „was man in dem Alter so sagt“. Ich klappte das Heft zu, bedankte mich höflich und schwor mir, nie wieder einen Blick dort hineinzuwerfen. Bis heute ist die einzige mir bekannte Person, die das Wort „Arschfax“ benutzt, meine Mutter: Als charmante Umschreibung dafür, dass jemandem das Etikett hinten aus der Hose heraushängt. 

Boomer-Neologismen statt Jugendslang

Genau das ist das Problem. Was auch immer der Langenscheidt-Verlag da in den vergangenen 12 Jahren auf seine Liste gesetzt hat, gehörte nie zum aktiven Wortschatz sprachverdrossener Teenager, sondern stets zum Repertoire von Mittvierzigern, die sich nochmal so richtig hip fühlen möchten. „Wollen wir später noch ein paar Körbe werfen, Champ?“

Diese spaßigen Wortneuschöpfungen sind nur richtig cringe („zum Fremdschämen“, Platz 2 in diesem Jahr) – sie vermitteln außerdem ein völlig verzerrtes Bild des Sprach- und Denkniveaus von Jugendlichen. 

Dazu passt, dass sich die Jury die Wörter, die sie nominiert, gerne auch mal selbst ausdenkt: Das 2015 gekürte Jugendwort „Smombie“ hatte vor den ersten Jury-Sitzungen noch niemand öffentlich benutzt. Das Kofferwort aus „Smartphone“ und „Zombie“ soll Menschen beschreiben, die von ihrer Umgebung nichts mehr mitbekommen, weil sie nur noch auf ihr Handy starren. 

Es ist ein Marketing-Gag, auf den wir jedes Jahr aufs Neue hereinfallen: Die stets medieninszenierte Wahl des Jugendwortes dient nicht der Sozialforschung dessen, was Jugendliche sagen und denken. Sie soll weder neue sprachliche Phänomene aufzeigen noch überforderten Eltern als Übersetzungshilfe dienen. In erster Linie geht es darum, einen Dialog anzustoßen, der Aufmerksamkeit für Verlagsprodukte schafft – und immer wieder sind wir dafür zu haben, mit unserer gespielten Überraschung darüber, dass wir noch nie etwas von „Niveaulimbo“, „Bildschirmbräune“ und „rumoxidieren“ gehört haben. 

Die Rache der missverstandenen Teenager

Doch in diesem Jahr scheint alles anders zu sein. Zum ersten Mal durften Jugendliche nicht nur Vorschläge einreichen, die dann durch Boomer-Wortneuschöpfungen aus dem Rennen gedrängt werden, sondern auch selbst online abstimmen. Es war die Gelegenheit, sich gegen all die realitätsfernen Ausdrücke zu wehren, die Langenscheidt jungen Leuten all die Jahre unterzujubeln versucht hat: Einige Reddit-Nutzer erklärten sich zum Ziel, das Wort „Hurensohn“ auf die Liste zu bringen, programmierten sogar eigens Bots dafür, die alle fünf Sekunden für das Schimpfwort abstimmten, bis Langenscheidt es schließlich disqualifizierte. 

Durchgesetzt hat sich schließlich „Lost“, das ahnungsloses und unsicheres Verhalten beschreibt: „Er/Sie/Es ist total lost.“

(K)ein tieferer Sinn?

Das könnte man jetzt ziemlich traurig finden, muss man aber nicht. Sich ab und zu mal ein bisschen verloren zu fühlen, gehört schließlich zum Erwachsenwerden dazu. 

Umso pathetischer klingen diejenigen, die das Jugendwort jetzt als Beweis dafür werten wollen, dass sich die „Generation Corona“ im Stich gelassen fühlt – wird der Begriff doch eher dazu genutzt, seinen Gemütszustand im Mathe-Unterricht zu beschreiben, als die Hilfspakete anzuprangern, die die Politik angesichts der Corona-Krise schnürt. 

Und wer weiß, vielleicht schafft es das diesjährige Jugendwort ja tatsächlich in den allgemeinen Sprachgebrauch. Schließlich kann „ahnungsloses und unsicheres Verhalten“ in diesem Jahr generationsübergreifend attestiert werden: Das haben nicht zuletzt die Hamsterkäufe und Hygienedemos eindrücklich gezeigt. 

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