Italo Calvino, Harald Lesch, Tutty Tran - Ungerer lauscht: Hörbuchtipps im Januar

Italo Calvino distanziert sich von der Welt, Harald Lesch stellt grenzüberschreitende Astronomen vor, und der Berliner Comedian Tutty Tran oszilliert durch alle Zäune deutscher Befindlichkeiten. Hier kommen die Hörbuchtipps im Januar.

Meteoritenschauer über der Provinz Sichuan in China / picture alliance
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Autoreninfo

Klaus Ungerer ist Autor, Schriftsteller und Mitbegründer der Buchreihe edition schelf. Jüngst erschienen seine Novellen „Das Fehlen“ und „Ich verlasse dich nicht mehr“.

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Jeden Monat stellt der Autor und Schriftsteller Klaus Ungerer für Cicero drei Hörbücher vor. 

Lob der Halbdistanz

Manchmal schadet es nicht, sich von der Welt zu distanzieren, um mit ihr wieder besser klarzukommen. Klassisches Beispiel dafür ist Italo Calvinos „Baron auf den Bäumen“: ein junger Adliger des 18. Jahrhunderts, der beim geselligen Beisammensein bemerkt, dass er für die Gesellschaft nicht geschaffen ist, und der sich ihr daraufhin enthebt. Indem er auf einen Baum klettert. Und bis ans Lebensende nicht mehr herunterkommt. Die Menschen eher beobachtet und ab und zu berät. 

Erzählerisch ist das ein maximales Problem: Jede Geschichte handelt ja vom Zusammenleben mit den Menschen in all ihrer Seltsamkeit, handelt von Liebe, Konflikt, Neurose, Gier, Eifersucht, Mord. Calvinos Baron auf den Bäumen hält eine komfortable Halbdistanz, und so fließt seine Fama im angenehmen Plauderton dahin. Einen packenden Pageturner hat das noch nie ergeben. Umso lieber lässt man sich den „Baron auf den Bäumen“ hingegen vorlesen. 

ITALO CALVINO: DER BARON AUF DEN BÄUMEN
Ungekürzte Lesung. 9 Stunden 10 Minuten. 
Der Audioverlag 2023. 15 €
 

Leschs Doppelstern

Ganz, ganz weit heraustreten, um zu verstehen: Das ist das Grundbedürfnis der Astronomie. Und die Menschheit hat noch wenig Schaden genommen, wenn Leute sich Teleskope beschafften, um den Nachthimmel zu inspizieren. „Die Entdeckung der Milchstraße“ beginnt hier mit dem deutschen Musiker, der zum englischen Astronomen wurde, Wilhelm Herschel. Und mit einer Frau, die eigentlich nur hatte singen wollen, seiner Schwester Karoline. Sie und die ihnen Nachfolgenden stellt Harald Lesch uns vor, selber gern Grenzüberschreiter: Astrophysiker ist er und TV-Kopf, seit Jahren pflegt er den Duktus eines dieser Lehrer, die viertelwitzig sind und sich aber für halbwitzig halten. 

Und er gehört zur dünnen Schicht von Naturwissenschaftlern, die auch die Idee einer Gottheit nicht völlig von der Hand weisen wollen … Nun denn, er ruht in sich, er hat die Ausstrahlung eines Doppelsterns, und am Ende kann man ihm die Anerkennung nicht versagen. Da interessiert sich einer noch dafür, dass wir nicht dümmer werden! Das gibt es ja unter Fernsehköpfen selten genug.

HARALD LESCH, CECILIA SCORZA-LESCH, ARNDT LATUßECK: DIE ENTDECKUNG DER MILCHSTRAßE
Ungekürzte Lesung mit Harald Lesch. 8 Stunden 37 Minuten. Hörverlag 2023. 22 €


LACHEN DÜRFEN

Doppelt draußen ist fast schon wieder drinnen. Der Berliner Comedian Tutty Tran sieht asiatisch aus und hat Humor. Damit oszilliert er durch alle Zäune deutscher Befindlichkeiten in einem Land, das 300 Worte für „verklemmt“ hat und wo Alltagsrassismus und neumodischer Tribalismus sich die Hände reichen. Wieso soll man keine Witze über Asiaten machen dürfen, über alle anderen aber doch? Das wäre ja rassistisch, und da macht Tutty Tran nicht mit. 

Seine liebsten Gags sind die, deren Erfolg sich als dunkles Brummeln in den Bäuchen der Zuschauer ankündigt: Sie wollen nicht lachen, da der Witz nicht politisch korrekt ist … wollen nicht lachen, wollen nicht lachen … und müssen aber. Das Lachen schmeißt sie vom hohen Ross. Tutty Tran erzählt davon, im Slalom rauscht er durch den Fackelmarsch der Bedenkenträger, und er geht als Sieger ins Ziel. Also: Kommt ein Mann auf die Bühne, macht einen Vietnamesenwitz … und damit einen über dich und mich, denn der Vietnamese ist ja auch nur ein Mensch, und ebenso ist es jeder, der lachen muss und kann.

TUTTY TRAN: WENN NICHT JETZT, WAN TAN? EINE TOLERANZ-FIBEL FÜR JEDERMANN*INNEN
5 Stunden 33 Minuten. Argon 2023, 19 €

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