Kopftuch als angebliches Symbol der Freiheit - Feministische Schützenhilfe für das islamistische Regime

Die Menschen im Iran gehen unter anderem gegen den Hijab-Zwang auf die Straßen. Und es kommt, was kommen musste: Angeblich liberale Feministinnen im Westen betonen mal wieder, dass der Islamismus nichts mit dem Islam zu tun habe und dass das Kopftuchtragen in unseren Breitengraden sogar ein Ausdruck von Freiheit sei. Sie merken nicht, dass sie den mutigen Frauen im Iran damit in den Rücken fallen.

Pro-Regierungsproteste als Reaktion auf die Demonstrationen gegen das iranische Regime in Teheran / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„Aus einer westlichen Perspektive kann das sogenannte Kinderkopftuch harmlos wirken. Beschäftigt man sich jedoch genauer damit, wird deutlich, dass Mädchen durch das Tragen eines Kopftuchs in einem sehr jungen Alter lernen sollen, ihren Körper und ihre Haare vor ,fremden Blicken zu schützen‘“, heißt es in einer Aufklärungsbroschüre der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes, die sich für ein Kopftuchverbot bei Minderjährigen einsetzt. Die Feststellung, dass dem Kopftuchtragen eine im frühen Kindesalter beginnender Prozess zugrunde liegt, bei dem bereits jungen Mädchen eine womöglich verquere Definition von Sittsamkeit eingeredet wird, leuchtet jedem freien und aufgeklärten Geist selbstverständlich ein. 

Ironischerweise tun sich aber insbesondere jene, die sich selbst als liberale Feministinnen begreifen – wobei „liberal“ in diesem Zusammenhang eigentlich nur ein Euphemismus für einen naiven Wokeismus ist – schwer damit, einfache Wahrheiten in der Kopftuchdebatte anzuerkennen. Nämlich, dass es etwas anderes ist, ob Mädchen wirklich freiwillig ein Kopftuch tragen oder ob diese Freiwilligkeit nur eine Illusion ist, die von patriarchalen Familienstrukturen ab Kreißsaal anerzogen wurde. 

Werte und Werthierarchien entstehen bekanntermaßen nicht im luftleeren Raum, sondern durch Erziehung, kulturelle Prägung, das soziale Umfeld und mehr. Kinder sind besonders empfänglich für vermeintliche Wahrheiten, die ihnen vermittelt werden, und dazu gehört in gewissen Milieus eben auch die Behauptung, dass das Kopftuch kein Symbol der Unterdrückung sei, sondern ein wichtiger Bestandteil einer muslimischen Lebensweise. Eine steile Behauptung, um es vorsichtig zu formulieren. 

Koran enthält keine explizite Weisung

Ein angebliches Gebot für muslimische Frauen, ein Kopftuch zu tragen, wird von Befürwortern des Hijab und anderer Stoffstücke – die angeblich auch permanente Abwehrmechanismen gegen immergeile Herren sein sollen, ergo: gut für die Frau – mit drei Textpassagen im Koran begründet, die allerdings reichlich Interpretationsspielraum lassen. Kein Wunder, denn wer – wie der Autor dieser Zeilen – den Koran schon einmal (an-)gelesen hat, weiß, dass dieses Buch Vieles sein mag, aber sicherlich keine klar und deutlich formulierte, sagen wir, Gebrauchsanweisung für die irdische Lebensführung einer jeden gläubigen Muslima. 
 

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Näher auf genannte Suren einzugehen, würde hier den Rahmen sprengen. Daher soll an dieser Stelle das Fazit eines Papiers der Islamwissenschaftlerin und Arabistin Rotraud Wielandt zitiert werden, die dieses für die Deutsche Islam Konferenz erstellt hat. Wielandt schreibt darin: „Zusammenfassend ist festzuhalten: Die koranische Textbasis enthält keine explizite Weisung an muslimische Frauen, ihren Kopf in Gegenwart von Männern, die nicht zum Kreis ihrer rechtlich nicht heiratbaren Verwandten gehören, bedeckt zu halten.“

Anders formuliert: Wer sich beim Thema Kopftuch auf den Koran beruft, beruft sich auf nicht weniger, aber auch nicht mehr als eine individuelle Interpretation des im Koran Niedergeschriebenen. Er oder sie teilt also seinen oder ihren Standpunkt zum Thema mit, überliefert aber nicht das Wort Gottes als sakrosankte Anweisung. 

Kein religiöses Symbol

Umso überraschender ist es daher, dass das Kopftuch von vielen Menschen im Land als Bestandteil der in Deutschland glücklicherweise geltenden Religionsfreiheit gesehen wird. Denn zu Recht ließe sich fragen: Wie kann ein Stück Stoff bitte Ausdruck von Religionsfreiheit sein, wenn die Religion, auf die sich hierbei berufen wird, das Kopftuch gar nicht explizit verlangt? Eine Antwort könnte lauten: Das Kopftuch ist weniger religiöses denn kulturelles Symbol. Ausdruck eines Wertefundamentes, das, und auch das gehört zur Wahrheit dazu, sich teils schwer vereinbaren lässt mit dem, was wir in unseren Breitengraden unter westlichen Werten verstehen. Hierzu gehört auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau. 

Heißt auch: Wer das Kopftuchtragen hierzulande als Zeichen von Freiheit oder gar von Feminismus wertet, sitzt unterm Strich dem gleichen Narrativ auf, den das Regime im Iran in die Köpfe der Menschen, insbesondere in die Köpfe der Frauen hämmern will. Und bietet damit (pseudo-)feministische Schützenhilfe für das islamistische Regime, das den Hijab-Zwang notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen bereit ist, wie sich dort seit über 40 Jahren beobachten lässt. Und manchmal sterben dabei auch Frauen, wie jüngst die 22-jährige Mahsa Amini, deren Tod in Polizeigewahrsam zu jenen Protesten und Ausschreitungen führte, die sich derzeit tagtäglich in der Tagesschau verfolgen lassen. 

Der Einfluss des Patriarchats

Damit wir uns richtig verstehen: Der Autor dieser Zeilen hält ein generelles Kopftuchverbot für falsch. Denn Verbote bringen selten etwas und es wäre ein Leichtes, anhand eines solchen Verbotes in dafür empfänglichen Kreisen die Erzählung zu streuen, der Westen, in diesem Fall Deutschland, habe per se irgendetwas gegen Muslime. In der Folge würde ein Kopftuchverbot wohl eher dazu führen, dass Integration nicht besser, sondern schlechter gelingt. Freilich kann man das auch anders sehen.
 


Es geht an dieser Stelle aber ohnehin um etwas anderes als die Diskussion ums Kopftuchverbot, sondern eben um die bereits erwähnte Feststellung, dass das Kopftuch kein rein religiöses Symbol ist, sondern viel mit kultureller Prägung zu tun hat. Entsprechend sollte über dieses Stück Stoff auch diskutiert werden; nicht als Ausdruck von Religionsfreiheit, sondern als Ergebnis einer religiösen Prägung, die auf Interpretationen beruht – und dem letztlich ein Frauenbild zugrunde liegt, das nichts mit Gleichberechtigung zu tun hat. Denn sonst müsste, so einfach ist das eigentlich, auch der Mann sein Haupt bedecken. 

Es geht darum, Zusammenhänge zu erkennen. Zu hinterfragen, warum selbst junge Muslima, die sich als modern begreifen, ein Kopftuch tragen – und warum das von gewissen Milieus, die sich als besonders aufgeklärt begreifen, nicht nur kritiklos toleriert, sondern sogar explizit unterstützt wird. Etwa dann, wenn der Hijab (s. Video oben) zum feministischen Symbol umgedeutet wird. Oder eine Autorin der Süddeutschen Zeitung den Kopftuchzwang im Iran – der dort mit Gewalt, Folter und Mord durchgesetzt wird – gleichstellt mit der Ablehnung des Kopftuches als islamistisches und patriarchales Symbol, und dafür die Headline „Frei ist die Frau“ wählt. Als sei im Prinzip beides Ausdruck des gleichen antifeministischen Totalitarismus. Dass sie damit, gelinde gesagt, falsch liegt, lässt sich weiter oben nochmal nachlesen. Stichwort: Freiwilligkeit oder Illusion von Freiwilligkeit. Doch woher kommt diese Denkweise? 

Ein Gegensatz zum Westen

Wahrscheinlich hat derlei mit dem in gewissen Kreisen gängigen Narrativ zu tun, dass der Westen im Prinzip der Böse ist mit seiner kolonialistischen Vergangenheit, dem Kapitalismus und anderem. Damit, dass Weiße stets Täter, Nicht-Weiße stets Opfer sein sollen. Wer derart ablehnend bis herablassend auf die eigene Kultur und die Menschen aus dieser Kultur blickt, ist auch empfänglicher für Märchen und Halbwahrheiten, wenn diese als deutlicher Gegensatz zum Westen daherkommen. Und welcher Gegensatz könnte deutlicher sein als das Tragen eines Kopftuchs in der westlichen Hemisphäre? 

Und es hat wahrscheinlich mit der Naivität zu tun, die mit der Überzeugung einhergeht, wonach alles, was irgendwie anders und fremd ist, eine Bereicherung sein soll für unsere Gesellschaft. Dass die gleichen Leute damit den mutigen Frauen und Männern im Iran – aber auch anderswo auf der Welt, wo Menschen gegen ihre Unterdrückung durch das islamistische Patriarchat kämpfen – in den Rücken fallen, ist ihnen leider nicht bewusst. Auch nicht, dass sie damit jenen Ewiggestrigen den Weg bereiten, die Mädchen bereits im Kindergartenalter unter ein Kopftuch reden oder zwingen und sich dabei auf ihre Religion berufen. 

Kuriose Blüten

Der Wokeismus treibt dann freilich auch hier kuriose Blüten. Entscheiden sich nicht-muslimische Frauen bewusst gegen eine berufliche Karriere und für das Muttersein, gilt das in genannten Kreisen schon als Verrat an der feministischen Sache. Und wer auf Umfragen verweist, die zeigen, dass diese Frauen sich freiwillig für ihren Lebensweg entscheiden, bekommt die Antwort zu hören, die Freiwilligkeit sei nur eine Illusion, weil dahinter der große Einfluss des weißen Patriarchats stecke. Wenn sich eine junge Frau, in Deutschland geboren, aber für das Tragen eines Kopftuches entscheidet, dann will man vom Einfluss des Patriarchats plötzlich nichts mehr wissen? Der doppelte Standard, der hier gesetzt wird, ist überdeutlich. Man muss ihn nur erkennen wollen. 

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