Iran bei der Fußball-WM - Ein kleines Wunder

Frauen mussten sich im Iran bislang Bärte ankleben, um ins Fußballstadium zu kommen. Wenn ihr Team bei der Fußball-WM in Russland heute Abend gegen Spanien spielt, brauchen sie das nicht. Was ist passiert?

Die Iraner sind ihren Machthabern lange genug auf der Nase herumgetanzt, um eine Änderung zu bewirken / picture alliance
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Autoreninfo

Chiara Thies ist freie Journalistin und Vorsitzende bei next media makers.

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Stell dir vor, es ist Fußball-WM, du sollst für dein Land spielen und bekommst keine Schuhe. Tja, so kann es laufen, wenn man für Iran antritt. Doch nicht nur an den Schuhen hapert es. Die Mannschaft hat auch so wenig Trikots, dass sie geflickt werden müssen, wenn sie kaputt gehen. Nicht mal der rituelle Trikot-Tausch nach dem Spiel ist so möglich. 

Und woran liegt das? An den von US-Präsident Donald Trump erneut verhängten Sanktionen natürlich. Ein offizieller Sponsoring-Vertrag mit dem US-amerikanischen Unternehmen Nike war deswegen nicht möglich. Am Ende mussten sie die Trikots auf eigene Kosten bei Adidas kaufen. Sehr ungewöhnlich, denn normalerweise reißen sich die großen Marken um Sponsoring-Verträge zur Weltmeisterschaft. Immerhin hat die Mannschaft 70 Prozent Rabatt bekommen. Doch selbst die Nummern musste sie selbst aufnähen. Bei dem Spieler Ramin Rezaeian wurde die Ziffer zwei sogar falsch herum angebracht. Doch geschehen ist geschehen, Ersatz gibt es nicht.

Leidenschaft mit Gefängnisstrafe

Da die Trikots selbst eingekauft werden mussten, gibt es auch keine offiziellen Fan-Shirts. Eine Schande, denn die Iraner sind ein fußballbegeistertes Volk. Nicht selten kommt es vor, dass ein Fußballspiel eine  ganze Stadt lahm legt. Frauen ist es verboten, ins Stadion zu gehen. Während die Männer sich also das Spiel anschauen, arbeiten sie. Wobei von Arbeit keine Rede sein kann. Denn in den meisten Geschäften hängen Fernseher, auf denen Liveübertragungen der Spiele der iranischen Liga laufen. Einen Kaffee zu bestellen kann so gerne mal fünf Minuten dauern. Und da geht es noch nicht mal um das Bezahlen und das Warten auf den Kaffee an sich. Denn jedesmal, wenn im Stadion gejubelt wird, dreht sich die Verkäuferin nach hinten, um zu schauen, was passiert ist. Meistens nichts. Wenn sie sich dann zurück zum Kunden dreht, begrüßt sie ihn erneut und fragt, was er trinken möchte.

Bei dieser Leidenschaft ist es auch nicht verwunderlich, dass sich einige Frauen Bärte ankleben und Mützen aufsetzen, um sich auf diese Weise als Männer zu verkleiden. So schmuggeln sie sich ins Stadion, stehen dann stolz und stumm da. Mitsingen dürfen sie nicht, an den Stimmen könnte man sie erkennen. Bei der WM dürfen die Frauen in den russischen Stadien jedenfalls ganz legal mitfiebern. Die Gelegenheit nutzten aus den Iran angereiste Frauen direkt für politische Statements. Sie hatten Plakate angefertigt, mit denen sie ihr Recht auf den Stadionbesuch im Iran einfordern. Politische Statements sind während der WM eigentlich nicht erlaubt. Die Spieler dürfen zum Beispiel keine regenbogenfarbenen Armbinden tragen, um gegen Homophobie zu demonstrieren. Aber die Forderung der Iranerinnen erkannte die  Fifa als „sozialen Appell“ an und drückt deshalb ein Auge zu. Im Iran wären die Frauen allein für Anwesenheit im Stadion und den Protest sofort in einem Gefängnis verschwunden.

Alles andere als unpolitisch

Dabei sprachen sich bereits von der Präsident Hassan Rohani und sein Sportminister Masoud Soltanifar für eine Familientribüne in Stadien aus. Nur die Mullahs der geistlichen Führung schmettern die Vorschläge immer wieder ab. Ein Stadion sei kein Ort für Frauen, weil die Gesänge der Männer zu vulgär seien. Soso, in Russland singen die Frauen jedenfalls aus vollem Herzen mit. Auf den zweiten Sieg seit ihrer ersten Teilnahme bei der WM sind alle Iraner nämlich mächtig stolz, Männer genauso wie Frauen. 

Dass es sich eigentlich um ein Eigentor der Marokkaner gehandelt hat, schmälert den Beachtung für die eigene Mannschaft keineswegs. Public Viewing war im ganzen Land zwar verboten, nach dem Sieg strömten trotzdem Frauen und Männer Hand in Hand auf die Straße. Sie feierten und tanzten gemeinsam bis in die frühen Morgenstunden, manche Frauen nahmen sogar ihre Kopftücher ab und schwangen sie in der Luft herum. Dafür hätten alle Beteiligten Peitschenhiebe und Gefängnisstrafen erhalten müssen. Doch die Polizei und Sittenwächter wollten sich der Übermacht der Feierwütigen nicht stellen. 

Und so haben die Iraner in dieser Nacht ein kleines Wunder vollbracht. Beim Spiel gegen Spanien heute Abend ist erstmals Public Viewing in zwei Stadien in Teheran erlaubt – und das sogar für Frauen. Natürlich auf einer eigenen Tribüne und nur für dieses Event. Aber der Anfang ist gemacht, das totalitäre Regime hat an Macht eingebüßt. Ob die Iraner allerdings so viel zu feiern haben wie beim letzten Spiel, ist bei dem Gegner Spanien mehr als fraglich. Aber immerhin werden sie gemeinsam ihre Mannschaft anfeuern können. Im Iran zeigt sich so einmal mehr, dass Sport alles andere als unpolitisch ist.
 

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