Hungern für die Selbstfindung - Fasten zwischen Religion und Lifestyle

Unser Genusskolumnist kann dem Fasten nichts abgewinnen. Als Agnostiker hat er keinerlei Bezug zu entsprechenden religiösen Bräuchen, und auch weltlichen Varianten steht er eher skeptisch gegenüber.

Ein reichlich gedeckter Tisch zeigt: Das Iftar ist vorbereitet / picture alliance
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Christen und Muslime haben bekanntlich einiges gemeinsam. Sie folgen einer monotheistischen Weltanschauung, deren Leitsätze in Standardwerken niedergelegt sind. Und sowohl die Bibel als auch der Koran gebieten den Gläubigen eine Fastenzeit, in der mittels Verzichts auf leibliche und andere weltliche Genüsse die innere Einkehr mit dem Ziel der engeren Verbindung zum jeweiligen Gott befördert werden soll.

Die Auslegungen dieses vermeintlich göttlichen Gebots variieren erheblich. Während Protestanten die Fastenzeit nicht als Gebot, sondern als Empfehlung ansehen, ist Katholiken an allen Fastentagen der Konsum von Fleisch, Eiern und Milchprodukten verboten, an strengen Fastentagen auch Fisch, Wein und Öl. Deutlich rigider sind die Regeln beim Islam. Während der als Ramadan bekannten Fastenperiode dürfen gläubige Muslime von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang weder essen noch trinken. Das gemeinsame Fastenbrechen nach Sonnenuntergang gehört genauso zum Ritual, wie die ganz große Sause am Ende der Fastenzeit, die als „Zuckerfest“ zu den wichtigsten muslimischen Feiertagen gehört. Und die Christen lassen es nach Karfreitag ja auch ordentlich krachen.

Die Propheten haben es vorgemacht

Allerdings gibt es Ausnahmen: Vom islamischen Fastengebot ausgenommen sind Kinder bis zum 14. Lebensjahr, schwangere, menstruierende und stillende Frauen, Kranke, Gebrechliche, Reisende, sowie Soldaten im Krieg. Für weitere Ausnahmen, etwa bei Leistungssportlern, bedarf er der Genehmigung zum Fastenbrechen durch einen Imam, verbunden mit der Verpflichtung, das Fasten zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen oder einer angemessenen Geldspende für die Lebensmittelversorgung armer Muslime irgendwo in der Welt. Auch ältere Schüler und Studenten können – etwa in Prüfungsphasen – derartige Befreiungen in Anspruch nehmen.

 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:

 

Bei Christen hat die 40-tägige Fastenzeit, die stets am Karsamstag endet, gleich mehrere Bezugspunkte: Moses stieg auf den Berg Sinai und fastete 40 Tage, bevor er Gottes Wort empfing. Jesus ging 40 Tage zum Fasten und Beten in die Wüste, bevor er seine öffentliche Verkündigungsarbeit startete. Ferner geht es um die Leidenszeit von Jesus bis zu seiner Kreuzigung am Karfreitag. Bei den Muslimen bezieht man sich auf den Propheten Mohammed, der eine komplette Mondphase fastete, bevor ihm der Koran offenbart wurde.

Mediziner warnen vor Risiken

Zwar lösen besonders die rigiden Fastenregeln der Muslime bei Medizinern und Ernährungswissenschaftlern einiges Stirnrunzeln aus, vor allem wenn auch Heranwachsende betroffen sind. Aber Religionsfreiheit gehört nun mal zum Grundgerüst einigermaßen zivilisierter Gesellschaften.  Die christliche Fastenzeit ist – zumindest in größeren Städten – in der Öffentlichkeit ohnehin kaum wahrnehmbar, und wird wohl auch nur selten streng eingehalten. 

Beim Ramadan sieht das etwas anders aus. Dessen Regeln werden laut Untersuchungen von knapp 60 Prozent aller Muslime in Deutschland befolgt. Außerdem gibt es schon seit vielen Jahrhunderten eine quasi säkularisierte Fastenkultur, auf naturheilkundlicher oder esoterischer Basis. In postmodernen Zeiten treibt das mitunter skurrile Blüten, und Fasten ist fester Bestandteil der Selbstoptimierungsideologie.

Ernährungssoziologe befürwortet „temporäre Askese“

Der Ernährungssoziologe Daniel Kofahl meint allerdings, Fasten als „temporäre Askese“ sei „für jeden Genießer absolut unvermeidbar“. Unendlich großer Appetit bei gleichbleibendem Lustempfinden „entspricht nicht der Realität“. Das Genussempfinden derartig orientierter Menschen sei „extrem reduziert und abgestumpft“. Man müsse „einfach mal pausieren, innehalten, Distanz schaffen, sozial, körperlich, geistig - und kann sich dann um so mehr wieder lustvoll in den Genuss stürzen“.  Aber keinesfalls sollte man „wegen profaner weltlicher Ziele wie einem absurd niedrigen Body Mass Index oder eines völlig aus dem Ruder gelaufenen „Bikini-Figur-Ideals“ im Fastenmodus –  also einer Dauerdiät – steckenbleiben“.

In Hinblick auf dauerhafte Gewichtsreduktion ist Fasten sicherlich ungeeignet, wenn es nicht mit einer Ernährungsumstellung nebst mehr Bewegung verbunden wird. Aber weitgehend unbestritten ist, dass sorgfältig vorbereitetes und durchgeführtes Fasten positive Auswirkungen haben kann. Es trainiert den Stoffwechsel, und wenn der Körper kaum verdauen muss, können Zellreinigungsprozesse in Gang gesetzt werden. Fasten bringt sozusagen die körpereigene Müllabfuhr auf Trab, was auch die Immunabwehr stärkt. Doch nicht selten wird dies durch unkontrolliertes „Zuschlagen“ nach Ende der Fastentage schlagartig zunichte gemacht. Ärzte warnen eindringlich vor den Gefahren brachialer Fastenkuren, vor allem für Menschen mit Risikofaktoren.

Fasten als Lifestyle

Fasten ist aber längst zu einem lukrativen Geschäftsfeld geworden. Und das nicht nur für Quacksalber und Scharlatane aller Couleur, sondern auch in der Tourismusbranche. Viele Veranstalter bieten besonders im Frühling Komplettpakete rund ums Fasten an. So offeriert ein Hotel in der Lüneburger Heide u.a. ein „Basenfastenwanderwoche in Bio-Qualität“ und „Yoga & Fasten Retreats“. Wem Niedersachsen zu popelig ist, der kann auch zum „alpinen Detox“ in die Dolomiten in ein Hotel mit dem wunderschönen Namen „Engel Ayurpura“ fahren, das unter anderem „7-Tage Basenfasten“ inklusive „Infinity Pool und Panorama-Sauna“ anbietet.

Eher was für Masochisten sind dagegen die Angebote für „Heilfasten“ an der bretonischen Küste. Eine Woche nur Saft, Tee und Gemüsebrühe, während vor der Tür an jeder Ecke Austern, Langusten, Seebarsch sowie feinste Freiland-Poularden offeriert werden, ist – jedenfalls für mich – eine äußerst bedrückende Vorstellung.

Soll jeder glauben, was er will und auch fasten, wann und wie er will. Ich versuche ohne religiösen Glauben und auch ohne Fasten mit einigermaßen gesundem Menschenverstand und einer ausgewogenen, aber dennoch genussvollen Ernährung durchs Leben zu kommen. Ist mir bisher ganz gut gelungen. In diesem Sinne wünsche ich allen gläubigen Christen und Muslimen eine glückliche Fastenzeit. Und den Heil- und Basenfastenden in den Dolomiten und an der bretonischen Küste auch.

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