Heftiger Streit um „Lesbenfrühling 2021“ - Die Cancel Culture verdaut sich selbst

Über ein traditionsreiches Treffen lesbischer Frauen ist dieses Jahr heftiger Streit entbrannt: Den Organisatoren des „Lesbenfrühlings 2021“ wird vorgeworfen, ein „menschenverachtendes, rassistisches und transfeindliches“ Programm auf die Beine gestellt zu haben. Die Begründung klingt bizarr.

Übergangsweise bunt: Zebrastreifen in Regenbogenfarben / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Viel ist dieser Tage immer wieder von einer identitätspolitisch motivierten „Cancel Culture“ die Rede. Auch deshalb gründete sich vor einigen Monaten das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“, dem inzwischen fast 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler angehören. Sie sehen die Freiheit der Wissenschaft in Gefahr, weil sie von Aktivisten „zunehmend unter moralischen und politischen Vorbehalt gestellt“ werde.

In einem Streitgespräch mit dem Historiker Andreas Frings betonte die Sprecherin des Netzwerkes und Migrationsforscherin Sandra Kostner, dass sich die „Cancel Culture“ schleichend vorarbeite: erst seien Konservative an der Reihe, dann Liberale und schließlich sogar Linke. Da in der Wahrnehmung des Netzwerkes die „Cancel Culture“ vor allem von links betrieben wird, müsste ihre dritte Stufe folglich in einem Akt linker Selbstzerfleischung enden.

Dass an dieser Vermutung etwas dran sein könnte, zeigt der „Lesbenfrühling 2021“. Bereits seit dem Jahre 1974 wird das Treffen organisiert. Diesjähriger Veranstaltungsort sollte vom 21. bis 23. Mai 2021 ausgerechnet die Freie Hansestadt Bremen sein. Hansestädte waren einmal für ihre Toleranz und Weltoffenheit berühmt. Der Veranstaltungsort bleibt angesichts der Corona-Pandemie aber eine eher symbolische Tatsache. Das Festival muss erstmals rein digital stattfinden.

Allerdings ist ein erbitterter Streit unter Deutschlands Lesben entbrannt. Den Organisatoren des Lesbenfrühlings wird vorgeworfen, ein „menschenverachtendes, rassistisches und trans*feindliches“ Programm auf die Beine gestellt zu haben. So jedenfalls sieht es der mit Bundesmitteln geförderte Lesbenring e.V., der eigentlich Mitveranstalter des Lesbenfrühlings sein wollte und sich nun unter Protest zurückgezogen hat.

Die Hirschfeld-Stiftung ist empört

Auch die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, einer der Förderer des Lesbenfrühlings, zeigt sich entsetzt. Das Programm sei nicht nur „trans*feindlich“, sondern beinhalte sogar einen Workshop über „Genderideologie“. Für die Hirschfeld-Stiftung ist das inakzeptabel: „Dieser Begriff wird vornehmlich in antifeministischen, rechten und populistischen Bewegungen genutzt, um Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsarbeit zu diffamieren.“ Hätte das Programm rechtzeitig vorgelegen, wäre eine Förderung durch die Stiftung selbstverständlich nicht in Frage gekommen.

Diese beiden Stellungnahmen haben in der lesbischen Community einen Shitstorm ausgelöst. Das Arsenal reicht von empörten Reaktionen bis zu regelrechten Boykottaufrufen. Hiervon zeigte sich auch die Politik nicht unbeeindruckt. Claudia Bernhard (Die Linke), Bremer Senatorin für Gesundheit, Verbraucherschutz und Frauen, hat nicht nur aus Protest die Schirmherrschaft niedergelegt, sondern nach Angaben der Organisatorinnen auch versucht, den Fördermittelbescheid ihrer Behörde widerrufen zu lassen. Seitdem sammelt der Lesbenfrühling 2021 noch eifriger Spenden.

Fragt man die Veranstalter des Lesbenfrühlings nach dem Grund für die Debatte, erntet man nahezu ängstliche Reaktionen. Für Gabi, die ihren richtigen Namen nicht veröffentlicht wissen will, weil sie Racheaktionen fürchtet, ist die Sache klar: „Es geht hier um einen ideologischen Grundsatzkonflikt. Seit ungefähr zehn Jahren war das Thema Trans*Gender auf dem Lesbenfrühling breit vertreten. Diesmal wollen wir bewusst zu den Ursprüngen der Lesbenbewegung zurück. Es geht dabei auch um die Grundsatzfrage, ob das biologische Geschlecht eine Tatsache ist oder nicht. Trans*Gender-Personen müssen das in aller Regel bestreiten, aber wir Lesben sind auch biologisch Frauen und wollen uns dazu ohne Scham bekennen können.“

Das Geschlecht wird beliebig

Besonderer Stein des Anstoßes ist dabei ein Vortrag von Gunda Schumann. Für sie ist „Genderidentität“ ein „trojanisches Pferd für die Frauen“. Würde der auch biologische Unterschied zwischen Mann und Frau ins „Fluide“ aufgelöst, hätten „Geschlechtergerechtigkeit und der Kampf der Lesben um eine autonome sexuelle Identität keinen Platz mehr“.

Wenn das Geschlecht eine rein soziale Konstruktion sein soll, so das Argument der kritischen Lesben, könnte jeder täglich beliebig oft seine Geschlechteridentität wechseln. Der Kampf gegen die gesellschaftliche Benachteiligung bestimmter Gruppen löste sich so in Luft auf, weil diese nur noch fiktional wären.

Die Kritiker des Lesbenfrühling 2021 nehmen dessen Organisatorinnen auch übel, Trans*Frauen nicht ausdrücklich zu der Veranstaltung eingeladen zu haben. Zu ihnen gehört Marion Lüttig vom Vorstand des Lesbenring e. V. Sie sei „erschüttert“ und „sehr enttäuscht“ vom „trans*feindlichen Programm“ des diesjährigen Lesbenfrühling. Am Vorwurf, das Programm trage außerdem „rassistische“ Züge, hält Lüttig auch auf Nachfrage unbeirrt fest.

Allerdings müsse man schon „genau hinschauen“, um den Rassismus auch erkennen zu können. Sie stört sich zum Beispiel daran, dass auf dem Festival „für Lesben aus dem globalen Süden extra Schutzräume“ angeboten würden. Offenbar erkennt Lüttig hierin Nachwehen einer gönnerhaften kolonialistischen Perspektive. Als weiteren Beleg für eine rassistische Grundierung des Veranstaltungsprogramms sieht sie außerdem die Tatsache an, dass eine schwarze Referentin als „Beleg für die Diversität des Programms“ herhalten müsse. Demnach gilt es also als Akt des Rassismus, wenn Weiße Schwarzen die Möglichkeit des gleichberechtigten Sprechens einräumen.

Was jedenfalls gar nicht gehe, so Lüttig, sei die Tatsache, dass die derzeitige Debatte „nicht fair und zum Teil auch gewaltvoll, unwahrhaft und beleidigend geführt“ werde. Das richtet sich offenbar an die Veranstalter des Lesbenfrühlings und müsse nun „ein Ende haben“. Ihren eigenen Rassismus-Vorwurf sieht sie indes nicht als Bestandteil des von ihr kritisierten beleidigenden Diskurses.

Erfahrungen als „Detrans-Lesbe“

Aber Trans*Frauen sind nicht nur nicht eigens zur Veranstaltung eingeladen, stattdessen werden „detransitionierte Lesben“ ausdrücklich hervorgehoben. Gemeint sind damit Frauen, die aufgrund eines Konfliktes um die eigene geschlechtliche Identität eine operative Umwandlung zum Mann vollzogen haben, darunter aber leiden und zur biologischen Identität „Frau“ zurückkehren wollen. Eingeladen zu einem Vortrag mit Gespräch ist Sabet, eine 27-Jährige Studentin der Elektrotechnik, die sich mit 24 Jahren ihre Brüste operativ entfernen ließ. Sie will auf dem Festival auch über ihre Erfahrungen als „Detrans-Lesbe“ berichten.

Für die Trans*Gender-community gilt das als Provokation. „Sie will nicht wahrhaben, dass das biologische Geschlecht eine Realität mit mächtiger Wirkung für die eigene Identität ist“, so die Lesben-Aktivistin Gabi. Infolge der Genderideologie ließen Menschen ihre Körper verstümmeln und stürzten sich hierdurch häufig in tiefe Leidensprozesse. „Wir leben in einer Zeit, in der die eigenen Beschränkungen, die eigene Verletztlichkeit, die Grenzen der eigenen Sehnsüchte nicht mehr akzeptiert werden. Viele glauben, der Mensch sei mit den Mitteln der modernen Medizin und Pharmaindustrie beliebig manipulierbar. Aber dieser Traum vom ‚neuen Menschen‘ ist nur Ausdruck eines irrigen narzistischen Syndroms. Im Dienste eines Gutsprech und Richtigdenk sollen menschliche Körper in bloßes Material zur Bestätigung einer Ideologie umfunktioniert werden. Es wird so lange geschnitten und modelliert, bis der Körper zu einer falschen Ideologie passt, die die betroffenen Menschen aber oft ins Unglück stürzt, wenn sie merken, dass die Anpassung nicht das Problem löst. Darüber müssen wir auf dem Lesbenfrühling offen sprechen können“, fordert Gabi.

Feindschaftlicher Ton in der Community

Mahide Lein ist 71 Jahre alt, Gründerin des ersten Lesbenzentrums in Frankfurt am Main und Mitglied des Orga-Teams des Lesbenfrühlings. Sie ist zugleich eine seiner drei Moderatorinnen. Lein zeigt sich ebenfalls „erschüttert“ von den jüngsten Ereignissen und der Kritik an ihrer Arbeit. Die erhobenen Vorwürfe seien haltlos, betont sie. Der Lesbenfrühling wolle ganz bewusst unterschiedlichen Positionen Raum geben. Besonders enttäuscht zeigt sie sich vom unerbittlichen, feindschaftlichen Ton innerhalb der lesbischen Community, der sich dieser Tage vor allem im Internet ausbreitet. 

Auf der Internetseite queer.de werfen Szene-Mitglieder den Organisatoren des Lesbenfrühlings gar „Faschosprech“ vor. Für Lein ist das alles, in der Sache, nicht wirklich ernstzunehmen: „Ich empfinde meine eigene Szene als Mitläufer. Sie plappern das nach, ohne es zu hinterfragen und sich selbst mit dem Festival auseinanderzusetzen. Es ist wie stille Post. (…) Man kann ja einen Workshop kritisieren. Aber nicht mit dieser vernichtenden Art: ‚Kauft keine Tickets!‘ und Hassreden, als wären wir im schlimmsten Krieg. Das macht mich wahnsinnig traurig.“ 

Die „Cancel Culture“ scheint in ihr drittes Stadium eingetreten zu sein: in die Selbstverdauung linker Identitätspolitik.

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