Grüner-Gewölbe-Strafprozess - Tag der Wahrheit?

Am morgigen Freitag geht es in Dresden um die Frage: Wie belastbar sind die Geständnisse von fünf der sechs Angeklagten im Grünes-Gewölbe-Prozess? Die Beweiserhebung hat tiefe Einblicke in das Seelenleben des Remmo-Einbruchkommandos in Dresden geliefert. 

Ein Justizbeamter bringt einen Angeklagten in den Gerichtssaal im Landgericht Dresden, während der Prozess um einen Juwelenraub im Grünen Gewölbe des Dresdner Residenzschlosses fortgesetzt wird / dpa
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Dr. Butz Peters ist Publizist und Rechtsanwalt in Dresden. Er ist einer der führenden deutschen Experten zur Geschichte der RAF und hat mehrere Bestseller zum Thema Innere Sicherheit geschrieben.

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Am Freitag kommen die Geständnisse von fünf der sechs Angeklagten im Grünes-Gewölbe-Prozess auf den juristischen Prüfstand. Mit Spannung wird erwartet, wie dies geschieht – über die Verfahrensweise war es vor einer Woche im Dresdener Hochsicherheitstrakt zum Eklat gekommen. Der Vorsitzende Andreas Ziegel wollte die Angeklagten „live“ befragen. Das lehnten die Verteidiger ab, bestanden darauf, dass er ihnen als erstes den Fragenkatalog vorlegt.

Darüber war der Richter sichtlich verärgert. Er unterbrach die Sitzung für zweieinhalb Stunden, erklärte anschließend, so kurzfristig könne er einen derartigen Katalog nicht erstellen und vertagte die Sitzung um eine Woche. Die gefühlte atmosphärische Saaltemperatur stürzte ab bis kurz vor den Nullpunkt – zum ersten Mal in dem Verfahren. Am 36. Verhandlungstag.

Im Streit steht der Teil des „Deals“, dass „Nachfragen glaubhaft beantwortet“ werden müssten. Grund dafür ist offenbar eine Art von verstecktem Dissens zwischen Gericht und Verteidigern. Zwingen jedenfalls kann das Gericht die Angeklagten nicht, in der von ihm gewünschten Art „live“-direkt zu antworten.

Zwei Töpfe, bei Woolworth gekauft

Auch ohne die Nachfragen sind die Geständnisse der fünf Angeklagten strafrechtlich ausgesprochen ergiebig, weil sie bestätigten, dass die Anklagebank richtig besetzt ist. Von einer Ausnahme abgesehen. Vier gaben zu, als Mittäter am „Jahrhundertdiebstahl“ beteiligt gewesen zu sein. Rabieh Remo (29, Nachname korrekt mit einem „m“ geschrieben) berichtete, ins Grüne Gewölbe geklettert zu sein und mit einer Axt das Vitrinenglas zertrümmert zu haben. „Ich bin der mit der Taschenlampe“ sagte er, um jedes Missverständnis auszuschließen: Auf dem Video, das die Polizei noch am Tatabend ins Netz gestellt hatte, ist zu sehen, wie einer der beiden Einbrecher im Grünen Gewölbe mit einer Lampe herumfunzelt.

Wissam Remmo (27) gestand derweil, das Pegelhaus in Brand gesteckt zu haben. Dafür habe er dort eine Benzin-Lunte aus einer Fahrradtrinkflasche gespritzt – zu zwei Töpfen, bei Woolworth gekauft und mit Benzin gefüllt. Ein Stromverteiler ging in Flammen auf, die Straßenbeleuchtung vor dem Grünen Gewölbe aus. Mohamed Remmo (23) gab zu, vor dem Pegelhaus Schmiere gestanden und die Beute mit in den Flucht-Pkw geschafft zu haben. Und Bashir Remmo (27) gestand, über die Schlossmauer gestiegen und am Einstiegsfenster die Beute in Empfang genommen zu haben.
 

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Der fünfte von der Anklagebank, Abdul-Majed Remmo (23), erklärte, dass er bei dem Einbruch zwar nicht dabei gewesen sei, aber die Äxte und andere Einbruchsutensilien in Berliner Baumärkten zusammenstibitzt habe. Strafrechtlich ist das Beihilfe. Bei dem sechsten Angeklagten, Ahmed Remmo (24), der sich nicht an dem Deal beteiligt hat, spricht nach derzeitigem Stand alles dafür, dass er freigesprochen wird. Er hat ein bislang unerschüttertes Alibi: In der Tatnacht in einem Krankenhaus in Berlin-Neukölln.

Bemerkenswert ist aber auch, wozu die Angeklagten in ihren Geständnissen nichts sagten. Kein Wort zu dem „maßgeblichen Tatplaner“, von dem einst Rabieh Remo gesprochen hatte. Nichts dazu, was mit der Beute nach der Tat geschah, wo sie gebunkert wurde. Und auch nichts zu den drei noch fehlenden Schmuckstücken. Und noch etwas ist bemerkenswert: Nach den Geständnissen wie auch Videoaufzeichnungen aus der Tatnacht gehörten dem Einbruchskommando vor Ort sechs Mitglieder an – aber nur vier von ihnen sitzen auf der Anklagebank. Fehlen noch zwei.

Folge einer Klassenfahrt

Interessant sind die fünf Geständnisse auch deshalb, weil sie – und das ist eine Rarität bei den abgeschotteten Clans – aufschlussreiche Einblicke in das Denken und das Vorgehen der Täter bieten. Unbekannt war bislang, was sie – alle lebten seinerzeit in Berlin – auf die Idee brachte, ausgerechnet in Dresden die „sächsischen Kronjuwelen“ zu stehlen. Auslöser war, wie zwei Angeklagte berichteten, ein Foto vom „Dresdner Grünen Diamanten“.

Aufgenommen hatte es ein – namentlich nicht genannter – Bekannter von Mohamed Remmo. Während einer Klassenfahrt nach Dresden. Als es auf seinem Handy ankam, meinte er „Guck, voll krass“ – und dass man sich das wertvolle Stück holen müsse: Der größte grüne Diamant, der je gefunden wurde. 41 Karat. Mit einer einzigartigen Färbung. Aber dann stellten Bekannte von ihm bei Ortsbesichtigungen in Dresden fest, dass der Diebstahl unmöglich sei, weil der Diamant im ersten Stock des Residenzschlosses im „Grünen Gewölbe“ ausgestellt war – und dort ein Einbruch nicht zu bewerkstelligen sei. So rückte das „Historische Grüne Gewölbe“ ins Visier der Täter. Eine Etage tiefer. Erdgeschoss. Dort war es einfacher.

Er war der „Meisterdieb“

Für Wissam Remmo sollte der Dresdner Bruch ein weiterer Höhepunkt seiner kriminellen Karriere werden. Er befand sich damals, 2019, bei den Vorbereitungen in einer Art Höhenrausch – weil es ihm gelungen war, die Goldmünze aus dem Bode-Museum in Berlin zu stehlen. 100 Kilo schwer und 3,3 Millionen Euro wert. „In der Öffentlichkeit wurde die Tat als Geniestreich dargestellt“, erklärte sein Anwalt dem Gericht. Gesellschaftliche Anerkennung sei für den Nobody „neu gewesen“ – Wissam war damals Anfang zwanzig und transportierte als Kurierfahrer Blut und Urin durch Berlin. Für 1000 Euro netto im Monat.

„Ich war der Meisterdieb, mit dem alle reden und feiern wollten,“ berichtet Wissam – und dazu hätte er regelmäßig stark gekokst. Vor diesem Hintergrund hätte er begonnen, sich für das Grüne Gewölbe zu interessieren. Ausgerechnet, während gegen ihn in Berlin das Strafverfahren wegen seines Goldmünzen-Diebstahls lief. Er war auf freiem Fuß – und so fuhr er mehrfach nach Dresden, um seinen nächsten Coup auszubaldowern. Und für Bashir Remmo war der Grüne-Gewölbe-Plan, wie er es formulierte, ein „Abenteuer“.

Folgt man den Geständnissen, avancierte der projektierte Dresden-Bruch in den eingeweihten Remmo-Kreisen zu einem Prestigeprojekt. Mohamed Remmo berichtete, er sei fuchsteufelswild geworden, als er mitbekommen habe, dass die Planungen hinter seinem Rücken liefen. Er befand, die anderen hätten ihm „seine Idee“ des Einbruchs „geklaut“. Vor Wut hätte er sich aufgeführt „wie ein Kind, dem das Spielzeug weggenommen wurde“. Er habe das Ganze als „Mutprobe“ verstanden – denn: in seinem Leben hätte er noch nichts so richtig auf die Reihe gebracht. Letzten Endes durfte er dann doch noch mitmachen – als Handlanger und Schmiere-Steher. Geschafft.

Das Motiv für den „Jahrhundertdiebstahl“

Und wozu das Ganze? Wozu der größte Kunstdiebstahl der deutschen Nachkriegsgeschichte? Meisterdieb-Stolz, „Mutprobe“, „Abenteuer“ – das alles spricht dafür, dass es den Tätern kriminologisch betrachtet um eine Art „Reputationsstraftat“ ging: Ein Böse-Buben-Stück, mit dem sie ihrem sozialen Umfeld zeigen wollten – sprich Clan – was sie draufhaben, wozu sie in der Lage sind. Völlig anders als beim Diebstahl der Zwei-Zentner-Münze in Berlin. Deren Gold verhökerten anschließend Remmos portionsweise.

Auch belegen die Geständnisse, und zwar in erschreckender Weise, wie einfach es für das Einbruchskommando war, an die „sächsischen Kronjuwelen“ heranzukommen. Mindestens dreimal waren Ausspäher vorher – von den Wachleuten unbemerkt – über die Schlossmauer geklettert: Dabei hatten sie schnell festgestellt, dass der elektronische Außenschutz des Museums nicht funktionierte „Wir haben mehrfach ausprobiert, ob der Scanner auslöst, ob Wachleute kommen,“ gestand Rabieh Remo. Aber: „nichts passierte.“ 

Und die vom Sicherheit-Planungsingenieur vor Gericht geäußerte Vorstellung, das massive Gitter vor den Fenstern des Grünen Gewölbes sei nur bei Verwendung einer 220-Volt-Stromleitung zu knacken, widerlegte Profieinbrecher Wissam Remmo beim Praxistest im November 2019: Mit hydraulischem Akku-Rettungswerkzeug sei der Gitterstab in „nur Sekunden“ zerschnitten gewesen, berichtete der 27-Jährige: „Wir haben Musik abgespielt, um den Lärm zu übertönen.“

So war das Gitter, durch das die Täter einstiegen, bereits fünf Nächte zuvor geknackt und mit Kreppband wieder angeklebt worden – und keiner hatte davon etwas mitbekommen. Um auf Nummer sicher zu gehen, hätten die Täter, so Wissam Remmo, „mehrfach kontrolliert, ob die Tarnung noch hält.“ Sie hielt.

Zoff bei den Remmos

Von Zoff innerhalb der Tätergruppe berichtete Abdul-Majed Remmo. In Dresden hätten ihn die anderen nicht dabeihaben wollen – sie hielten ihn für zu tollpatschig und zu verträumt. Aber er hätte den Auftrag bekommen, Tatwerkzeuge zu besorgen, weil er im Ruf gestanden hätte. „Sachen aus Baumärkten beschaffen“ zu können. Und so stahl er Einbruchsutensilien aus dem Hellweg Profi-Baumarkt und bei Obi in Berlin. Nach der Tat hätte er von seinen Komplizen etwas zu hören bekommen: dass bei den Äxten die Stile zu kurz und die Blätter zu klein gewesen seien. So hätte alles länger als gedacht gedauert. Und auch hätte er die falsche Farbe besorgt, mit der das Kreppband übermalt wurde.

Ab Freitagvormittag ist die entscheidende Frage: Werden die geständigen Angeklagten die Nachfragen aus Sicht des Gerichts „glaubhaft“ beantworten – auch, wenn das nur über ihre Verteidiger und mit deren „Formulierungshilfe“ gehen sollte, auch bei Nachfragen? Ein schriftliches und mündliches Ping-Pong-Spiel?

Unwahrscheinlich erscheint, wenn auch nicht völlig ausgeschlossen, dass jetzt der Deal noch platzt: in der dritten und letzten Phase – nachdem der überwiegende Teil der Beute wieder da ist und die Angeklagten Geständnisse abgelegt haben, mit denen sie sich selbst erheblich belastet haben. Sollte die Strafkammer in Sachen „Glaubhaftigkeit“ nicht überzeugt sein, könnte sich das auf das Strafmaß auswirken. Nach dem Deal sind zwischen 5 Jahren und 9 Monaten und 6 Jahren und 9 Monaten vereinbart, sofern nicht Jugendstrafrecht Anwendung findet. 

Zwei Jahre und noch mehr

Wenn in wenigen Wochen der Vorsitzende Andreas Ziegel das Urteil verkündet, werden nach derzeitigem Stand mindestens drei der Angeklagten auf freien Fuß kommen. Auch das ist Teil des Deals: dass gleich nach Urteilsverkündung die Untersuchungshaftbefehle außer Vollzug gesetzt werden.

Sollten die Angeklagten Revision einlegen, könnten zwei Jahre und noch mehr vergehen, bis sie die Ladung zum Antritt der Reststrafe erhalten. Als sicher gilt jedenfalls: Sollte es den einen im Raum stehenden Freispruch geben, wird der Mann nicht auf freien Fuß kommen. Denn er hat noch seine Strafe wegen des Münzdiebstahls aus dem Berliner Bode-Museum abzusitzen. 

 

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