Geraubte „Kronjuwelen Sachsens“ wieder aufgetaucht - Das Wunder von Dresden

Ein Großteil der im November 2019 aus Dresdens Grünem Gewölbe erbeuteten Schmuckstücke ist wieder da. Die Übergabe erfolgte in der Nacht von Freitag auf Samstag in einer Berliner Anwaltskanzlei. Die Einzelheiten des Deals zwischen dem arabischstämmigen Remmo-Clan und den Strafverfolgungsbehörden sind zwar noch unklar. Aber alles spricht dafür: Es ging um „Beute gegen Strafrabatt“. Cicero-Autor Butz Peters hat das derzeit laufende Strafverfahren von Beginn an verfolgt und kennt bisher unbekannte Details.

Ein bewaffneter Polizeibeamter im Eingang eines Wohnhauses an der Gitschiner Straße in Berlin; knapp ein Jahr nach dem Kunstdiebstahl im Dresdner Grünen Gewölbe hatte die Polizei am 27. November 2020 drei Tatverdächtige festgenommen / dpa
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Dr. Butz Peters ist Publizist und Rechtsanwalt in Dresden. Er ist einer der führenden deutschen Experten zur Geschichte der RAF und hat mehrere Bestseller zum Thema Innere Sicherheit geschrieben.

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Es ist eine Sensation. Ein Wunder. Ein Coup sondergleichen: Niemand, fast niemand, hatte damit gerechnet, dass die vor drei Jahren aus dem historischen Grünen Gewölbe gestohlenen „Kronjuwelen Sachsens“ wieder auftauchen. 21 Schmuckstücke – besetzt mit mehr als 4100 Diamanten und Brillanten. Viele gehörten einst Sachsens Sonnenkönig August dem Starken (1670-1733). Der größte Kunstdiebstahl der deutschen Nachkriegsgeschichte. Wert der Beute laut Anklage: 113 Millionen Euro. Der kulturhistorische Wert ist unbezifferbar.

Nun also: die Riesenüberraschung. Ein „erheblicher Teil“ des Diebesgutes wurde in der Nacht zu Sonnabend in Berlin „sichergestellt“, teilte die Staatsanwaltschaft Dresden mit. Wohl keiner der Prozessbeobachter in dem seit elf Monaten laufenden „Grüne Gewölbe Verfahren“ im Dresdner Hochsicherheitstrakt hätte ernsthaft mit einer freiwilligen Rückgabe gerechnet. Die sechs Angeklagten – zwischen 23 und 29, alle mit dem Nachnamen Remmo und Angehörige der „arabischstämmigen Großfamilie“ in Berlin, gaben sich unschuldig, schweigsam und cool – und vor allem: als Fehlbesetzung auf der Anklagebank. Dazu hätte nicht gepasst, wenn sie die Rückführung der Beute organisiert hätten. Ein Schuldeingeständnis wäre es gewesen. 

Hinzu trat eine allgemeine Lehre aus früheren Straftaten des Remmo-Clans: Was die Remmos erbeutet haben, rücken sie nicht wieder heraus. Und auch 1,5 Millionen Euro, die für die Wiederbeschaffung der Beute ausgelobt worden waren, brachten keine zielführenden Hinweise.

Wenig Zuversicht auf Rückgabe

Schließlich hatten auch die Ermittler die Hoffnung auf eine freiwillige Rückgabe der Beute weitgehend verloren: Je länger die Ermittlungen dauerten, desto mehr schmolz ihre Zuversicht – auch wenn sich die Polizei offiziell optimistisch zeigte: „ein wenig Flunkerei“ sei dabei gewesen, räumte jetzt ein Beamter ein. Und dann die Kunstsachverständigen: Sie nahmen an, dass die Juwelen aus den Kunstgegenständen herausgebrochen und einzeln verhökert worden seien. 

Anders nur Marion Ackermann, die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen. Sie strahlte in den vergangenen Jahren durchgängig Zuversicht aus, erklärte stets, sie rechne fest damit, „dass eines Tages die Beute zurück ins Grüne Gewölbe kommt“. Nun dürfte es bald wieder soweit sein – jedenfalls bei einem erheblichen Teil von Augusts Juwelen. 

Derweil liegen die Einzelheiten für das Wiederauftauchen der Beute in Berlin noch weitgehend im Dunkeln. Sicher ist: Die Rückführung der Juwelen erfolgte nach Gesprächen zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft im Rahmen einer „Verfahrensverständigung“. Sprich eines Deals. Seit einigen Jahren sieht die Strafprozessordnung eine derartige Verständigung ausdrücklich vor: Üblich ist, dass das Gericht für ein Geständnis oder anderes bei seinen Strafzumessungserwägungen eine Ober- und Untergrenze für die Strafe benennt. Also: Geständnis gegen Strafrabatt.

„Beute gegen Strafrabatt“

Hier dürfte Teil des Deals „Beute gegen Strafrabatt“ gewesen sein. Ein Pfund, mit dem die Täter wuchern konnten. Die Schadenswiedergutmachung oder das redliche Bemühen um sie ist ein Strafmilderungsgrund. Vorteil für die Angeklagten: Für sie standen hohe Freiheitsstrafen im Raum, nachdem infolge der Beweisaufnahme alles dafür sprach, dass sie durch einen von ihnen in einer Tiefgarage in Brand gesteckten Fluchtwagen ein Brandstiftungsdelikt mit einer Höchststrafe von 15 Jahren begangen hatten – während die Höchststrafe für den Diebstahl aus dem Grünen Gewölbe nur zehn Jahre betrug. Angesichts der Brandstiftung war der Strafrahmen für sie beängstigend hoch geworden.

Die Sicherstellung eines Großteils der Beute in der Nacht von Freitag auf Samstag war nun nicht, wie mancherorts behauptet wird, ein Fund oder das Ergebnis einer Polizeirazzia, sondern erfolgte im Rahmen einer „geordneten Übergabe“ in einer Berliner Anwaltskanzlei. Vorangegangen waren Verhandlungen zwischen Strafverfolgern und Anwälten – mit einem wechselseitigen „Geben und Nehmen“. Der Zeitpunkt für die Rückgabe, wenige Tage vor Weihnachten, scheint von den Anwälten nicht schlecht gewählt worden sein – mit Blick auf die „Milde“ des Gerichts.

Die Einzelheiten des Deals wird die Strafkammer vermutlich am kommenden Dienstag mitteilen, dem 34. Verhandlungstag. Spannend ist die Frage, ob nach der Rückführung der Beute dann auch Geständnisse folgen – das Geständnis „soll“, so sagt es die Strafprozessordnung, „Gegenstand“ der prozessualen Verständigung sein. Käme es zu Geständnissen, wäre dies ein klarer Vorteil für die drei Berufsrichter: Sie müssen in dem Indizienprozess – kein Augenzeuge konnte einen der Täter erkennen – keine revisionssichere Indizienkette schmieden und begründen, sondern könnten ihr Urteil in erster Linie auf die Geständnisse der Angeklagten stützen. Das erspart ihnen viel Arbeit. Und Geständnisse würden für die Öffentlichkeit, die das Verfahren mit großem Interesse verfolgt, vermutlich deutlich machen, wie die Tat, die von den Staatlichen Kunstsammlungen für fast unmöglich gehalten wurde, möglich war.

Brutal und rücksichtslos

Die Freude wie aber auch Verblüffung über die plötzliche Rückgabe dürfen nicht vergessen machen, dass die Täter mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit zu Werke gegangen sind – hochprofessionell wie auch extrem „spurenvermeidend“. Es handelt sich nicht um Gentlemen-Gangster, sondern um rücksichtslose Schwerkriminelle mit erheblichen Vorstrafen. Zwei der in Dresden Angeklagten wurden wegen des Diebstahls der 100 Kilogramm schweren und 3,3 Millionen teuren „Big Maple Leaf“-Goldmünze aus dem Bode-Museum in Berlin verurteilt. 

Ebenso wenig darf übersehen werden, dass ein Teil der Beute aus Dresden noch fehlt – beispielsweise die beim Diebstahl beschädigte Epaulette mit dem „Sächsischen Weißen“: das wohl wertvollste Stück aus der Beute. Allein der „Sächsische Weiße“ und ein zweiter Diamant auf diesem Schulterstück hatten damals – zwischen 1728 und 1742 – 280.000 Taler gekostet. Das entsprach dem Wert von fast drei Tonnen Gold – oder den kompletten Baukosten der seinerzeit errichteten Dresdner Frauenkirche. So ist derzeit offen, was alles noch fehlt – und natürlich auch: was damit geschah.

Überglücklich über die Rückgabe zeigten sich Marion Ackermann, die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden – das Historische Grüne Gewölbe ist eines ihrer 15 Museen. Es sei „ein riesiger Freudentaumel in den Staatlichen Kunstsammlungen ausgebrochen,“ berichtet sie, für sie ist das Ganze ein „echtes Weihnachtswunder“. In den vergangenen Monaten hatten viele die Zuversicht der Generaldirektorin belächelt. Nun haben ihr die Remmos recht gegeben.

Und auch unter einem zweiten Gesichtspunkt dürften die Staatlichen Kunstsammlungen „Gewinner“ der Rückgabe sein. In diesem Jahr hat sich die Diebstahlsvitrine im Juwelenzimmer, in der die verbliebenen Schmuckstück zu sehen waren – neben den Lücken, die die Diebe gerissen hatten – zu einem Besuchermagneten entwickelt. Und die Entwicklung dürfte noch weiter steil nach oben gehen, wenn auch die Schmuckstücke zu sehen sind, die die Remmos wieder rausrückten.

So scheint es infolge der überraschenden Rückgabe derzeit nur Gewinner zu geben. Eine echte Win-Win-Win-Win-Situation: Für die Staatlichen Kunstsammlungen, für die Öffentlichkeit, für das Gericht – und natürlich auch für die Angeklagten.

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