Kulturkampf gegen Fleisch - Umerziehung in der Kantine

Kantinen und Mensen hat unser Genusskolumnist früher als Form der billigen und anspruchslosen Sättigung erlebt. Vielerorts ist das Niveau deutlich besser geworden. Aber jetzt sind auch die Kantinen zum Schlachtfeld im allgemeinen Kulturkampf geworden.

Eine Kantine an einer Grundschule / picture alliance
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Vor einigen Wochen veröffentlichte der Apetito-Konzern das von ihm ermittelte Ranking der beliebtesten Gerichte in Deutschlands Betriebskantinen. Die Unternehmensgruppe aus Rheine in Nordrhein-Westfalen gehört zu den führenden Verpflegungsanbietern und Kantinenbetreibern. In die Umfrage wurden aber auch Kantinen in anderer Trägerschaft einbezogen. Bundesweit bieten rund 14.000 Betriebe mit mehr als hundert Mitarbeitern Mittagessen an. 9000 davon haben eine eigene Küche, arbeiten aber größtenteils dennoch mit Fertig- oder Halbfertigprodukten.

Laut dem Ranking gibt es in den Kantinen einen deutlichen Trend zu vegetarischen Gerichten, während Kantinen-Klassiker wie das Schnitzel und die Currywurst weiter an Boden verloren haben. Zwar liegt mit „Spaghetti Bolognese“ immer noch ein – zumindest meistens – fleischhaltiges Gericht an der Spitze, aber auf dem 2. Platz folgt dicht dahinter mit der „Cappelletti-Pesto-Pfanne“ (von der ich zuvor noch nie etwas gehört hatte) bereits ein vegetarisches Angebot. In den Top Ten konnten sich ferner „Chili sin Carne“ (also ohne Fleisch), Gemüse-Curry und Kartoffelrösti etablieren.

Currywurst auf dem Index

Vor allem der Absturz der Currywurst, die vom früheren SPD-Bundeskanzler gerne als „Kraftriegel des Arbeiters“ eingestuft wurde, scheint unaufhaltsam zu sein. Lag sie bis 2019 noch unangefochten auf dem 1. Platz, ist sie nunmehr erstmals sogar auf den 3. Platz abgerutscht. Trendsetter war dabei der VW-Konzern, der die Currywurst zum Ende der Werksferien am 20. August 2021 komplett aus dem Angebot der Hauptkantine im Wolfsburger Stammwerk entfernte und dies mit der neuen, vor allem auf Nachhaltigkeit gerichteten Unternehmenspolitik begründete. Auch andere Fleischgerichte landeten auf dem Index.

Dabei ist die „VW-Currywurst“ sogar eine eingetragene Marke. Die Herstellung erfolgt in der VW-eigenen Fleischerei, 2019 wurden dort rund sieben Millionen Currywürste produziert. Zwar gilt das Komplettverbot bislang nur für die Hauptkantine, doch das könnte sich im Rahmen der Umsetzung der „Nachhaltigkeitsstrategie“ des Konzerns bald ändern.

Die seit vielen Jahren geführten Kreuzzüge von Politikern, nachgeordneten Behörden, Umwelt- und Naturschutzverbänden und einschlägigen Lobbyverbänden scheinen also allmählich Früchte zu tragen. 

Und so geht denn eine Apetito-Sprecherin davon aus, dass die sinkende Currywurst-Nachfrage und der Vormarsch der vegetarischen und veganen Gerichte in den Kantinen vor allem mit dem „Wunsch nach einer ausgewogenen, pflanzlichen Ernährung“ tun habe.

Großer politischer Druck

Das ist allerdings – wenn überhaupt – wohl nur die halbe Wahrheit. Das legt zumindest eine Studie nahe, die der Deutsche Fachverlag auf Basis einer repräsentativen Umfrage unter Auftraggebern, Betreibern und Nutzern von Kantinen erstellt hat. Demnach drängen weniger die Firmenmitarbeiter, sondern vor allem die Manager auf vegetarische Angebote. Davon soll das Image der Firma profitieren – auch wenn die Belegschaft eher deftige Küche bevorzugt. „Die Unternehmenswerte sollen sich auf dem Teller widerspiegeln“, wird Claudia Zilz vom Fachverlag in der Welt zitiert.

 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:

 

Doch auch der politische Druck dürfte eine Rolle spielen. Das federführend vom Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) ausgearbeitete Eckpunktepapier der Bundesregierung zur Ernährungsstrategie sieht unter anderem vor, dass die Gemeinschaftsverpflegungen in öffentlicher Verantwortung deutlich fleischärmer werden. Das trifft zum Beispiel auf Behördenkantinen, Kitas, Schulen, Krankenhäuser und Heime zu.

Vegetarisches Essen als Wettbewerbsvorteil

Bei den privaten Unternehmen geht es erklärtermaßen auch um Wettbewerbsfähigkeit beim Kampf um dringend gesuchte Beschäftigte. Denn die Generation der „Currywurst-Boomer“ geht allmählich in Rente, und was da – vor allem von den Universitäten – nachkommt, ist schon gründlich umgepolt. Einer der Vorreiter ist die TU Berlin, die bereits seit 2019 über eine rein vegane Mensa verfügt. Als (Soja-)Sahnehäubchen gibt es an jedem Tag auch noch ein wechselndes „Klimaessen“ mit einer besonders guten Ökobilanz.

Natürlich ist es richtig, Massentierhaltung und übermäßigen Fleischkonsum zu thematisieren. Aber die Geschichte von der vermeintlichen „Nachhaltigkeit“ veganer Ernährung ist in großen Teilen ein Fake. Denn gerade die in diesem Bereich sehr beliebten „Fleischersatzprodukte“ sind nahezu das Gegenteil von gesunder, ausgewogener Ernährung und weisen auch keine gute Ökobilanz auf.

Auch Nestlé macht auf „Nachhaltigkeit“

Es ist wohl kein Zufall, dass die hier erwähnte Studie vom Nestlé-Konzern in Auftrag gegeben wurde, der auch nicht gerade als Leuchtturm der Nachhaltigkeit gilt. Doch der wittert in der Veggie-Welle vor allem einen neuen Wachstumsmarkt und hat eine entsprechende Marke namens „Garden Gourmet“ etabliert. Wohl auch in der Hoffnung, dass die schweren Vorwürfe, etwa in Bezug auf die Rolle von Nestlé bei der Abholzung von Regenwäldern für die Palmölproduktion und andere Grundstoffe etwas gegreenwasht werden können.

Kantinen und Mensen habe ich persönlich schon lange nicht mehr aufgesucht. Warum sollte ich auch? Aber ab und zu esse ich nach wie vor gerne eine Currywurst, und wenn ich Glück habe, schmeckt die auch richtig gut. Verboten ist das (noch) nicht. Aber allmählich wird dafür ein Klima der Ächtung geschaffen. Da kann einem schon der Appetit vergehen (nicht auf die Currywurst). 

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