Genuss mal anders - Nur echt in der Heimat

Eigentlich wollte sich unser Genusskolumnist anlässlich der Landtagswahlen den Spezialitäten aus Sachsen-Anhalt widmen, wurde aber nicht richtig fündig. Er ist dann weiter nach Thüringen gezogen und singt das Lob der Original Thüringer Rostbratwurst.

Thüringer Rostbratwürste liegen auf einem Holzkohlegrill in einem Garten in Weimar Foto: Hendrik Schmidt/dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Es wird nicht verborgen geblieben sein, dass in dieser Kolumne bisweilen das Bekenntnis zur regionalen Küche gepflegt wird, jenseits modernistischer Trends der Geschmacksglobalisierung. Und da durften dann natürlich auch Berliner Erbsensuppe, Königsberger Klopse oder wie neulich Labskaus nicht fehlen. Doch was macht man mit Regionen, die fast niemand auf dem Schirm hat? Genauer: Was macht man mit Sachsen-Anhalt, wo ja an diesem Wochenende eine wichtige Landtagswahl stattfindet? Was ist das überhaupt? Warum gibt es das? Und letztendlich die für diese Kolumne entscheidende Frage: Was wird dort gekocht beziehungsweise gegessen?

Merkwürdige Spezialitäten

Eine Zeitlang warb dieses Bundesland mit dem Slogan: „Sachsen-Anhalt Wir stehen früher auf“. Das spräche für eine besonders entwickelte Frühstückskultur, doch dafür ließen sich keine Hinweise finden. Ohnehin wurde diese Kampagne nach zehn Jahren 2013 wieder eingestellt. Spötter hatten die Plakate und Aufdrucke auf Ortsschildern mit der Zusatzfrage versehen: „Warum eigentlich?“

O.K., das Frühstück wird es also nicht sein. Ansonsten? Schließlich isst ja nicht nur das Auge mit, sondern auch das Ohr. Erste Recherchen zu typischen Spezialitäten ergaben Treffer wie „Klump“, „Bötel“, „Pottsuse“, „Brocke“, „Gehacktestippe“ und „Würchwitzer Milbenkäse“. Da will man vielleicht gar nicht mehr so genau wissen, was das eigentlich ist. Im Ostharz sollen die ganz vernünftig mit Wild umgehen, aber nichts Genaues weiß man nicht.

Im Mekka der Rostbratwurst

Vergessen wir also Sachsen-Anhalt und fahren von Berlin aus gleich weiter in Richtung Südwesten – nach Thüringen. Da ist man auf der sicheren Seite, denn Thüringen steht für einen der gesamtdeutschen Leichttürme der Esskultur: die Thüringer Rostbratwurst. Um sie wirklich kennen und schätzen zu lernen, muss man da unbedingt hinfahren, denn die woanders angebotenen Imitate können durchaus rufschädigend sein. Nur vor Ort kann sie roh und frisch angeboten werden, da sie laut Hygieneverordnung am Tag ihrer Herstellung verbraucht werden sollte, denn Konservierungsstoffe sind tabu. Um das zu umgehen, können die Würste auch vakuumiert werden. Oder sie werden vorgebrüht, vorgegrillt oder gar eingefroren. Doch mit sowas wollen wir uns gar nicht erst abgeben.

„Das Original“ gibt es natürlich nicht. In Ostthüringen gehört Kümmel zur Würzung, im Norden dominiert Majoran, in der Mitte schwört man auf Knoblauch, und im Süden beschränkt man sich auf Salz und Pfeffer. Doch das kann dann auch noch von Dorf zu Dorf beziehungsweise von Fleischer zu Fleischer differieren. So kommt bisweilen auch Muskatnuss, Koriander und geriebene Zitronenschale zum Einsatz. Unterschiede gibt es auch beim Brät, für das hauptsächlich Schweinefleisch, aber manchmal auch Anteile von Rind- und Kalbfleisch verarbeitet werden.

Auch die Konsistenz des Bräts ist eine Glaubensfrage: grob bis stückig, mittelfein oder fein, wobei Letzteres bei traditionsbewussten Fleischern nicht in Frage kommt. Und natürlich muss das Original mit einem Naturdarm vom Rind oder Schaf versehen sein.

Bitte nicht verkohlen oder platzen lassen

Als ich mal beruflich für ein paar Tage in der Landeshauptstadt Erfurt weilte, habe ich natürlich Einheimische nach guten Adressen gefragt. Es wurde eine beeindruckende Tour de Bratwurst, die Vorurteile angesichts der in Berlin meist angebotenen verkohlten Leichenfinger, die unverschämterweise als „Thüringer Rostbratwurst“ angeboten werden, waren verflogen. Natürlich gibt es auch hier ein paar Fleischer, die sich mit den Originalrezepturen auskennen und frische Würste anbieten. Das heißt dann allerdings Bratwurst „Thüringer Art“, da die Thüringer Bratwurst laut einer EU-Verordnung europaweit als Herkunftsbezeichnung geschützt ist.

Aber sie kommen dem Original wesentlich näher, als zweifelhafte „echte“ Thüringer, die eingeschweißt und oft auch vorgebrüht verkauft werden. Für die Zubereitung kommt eigentlich nur ein Grill infrage, wobei es nicht zwingend mit Holzkohle sein muss, obwohl der Rauchgeschmack in diesem Fall gut passt. Sie sollten nach dem Grillen braun und knusprig sein, aber nicht angekohlt oder aufgeplatzt. Das kann man verhindern, wenn man sie vor dem Grillen mit kaltem Bier bestreicht (Wasser tut‘s auch). Eine andere Methode sind kleine Einschnitte mit einem sehr scharfen Messer. Aber wie auch immer: Die wahre Pracht der Thüringer Bratwurst wird man wohl nur in ihrem Heimatland kennenlernen können.

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