Essen wie die alten Friesen - Queller - der Spargel aus dem Wattenmeer

Auch unser Genusskolumnist ist urlaubsreif. Wie so oft, hat es ihn auch diesmal auf eine nordfriesische Insel verschlagen. Auf Amrum schätzt er nicht nur die Ruhe, die Dünen und die schier endlosen Sandstrände. Sondern auch regionale Raritäten wie den Queller.

Queller wachsen im Schlick des Wattenmeer der Nordsee-Insel Amrum in Nordfriesland / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Endlich mal Urlaub. Und wer als stressgeplagter Großstädter dabei vor allem Ruhe, Natur und Beschaulichkeit sucht, ist auf einer der nordfriesischen Inseln ziemlich gut aufgehoben. Wenn sie nicht gerade Sylt oder Föhr heißt. Diesmal ist es wieder Amrum mit seinem legendären Kniepsand, dem faszinierenden Wattenmeer und den wilden Dünenformationen. Hier gibt es keine Partymeile und keine großen Hotelbunker, sondern fünf beschauliche Inseldörfer mit einem breit gefächerten Angebot an Ferienwohnungen und -häusern. Und die hier gepflegten „Trendsportarten“  sind Wandern und Fahrrad fahren.

Fischbrötchen sind nicht alles

Bewegung in frischer Seeluft macht bekanntlich hungrig. Wer an seiner üblichen Verköstigung festhalten will, kann das auch hier tun. Pasta, Pizza, Steaks, Schnitzel, Brathähnchen – alles da. Aber zu einem Urlaub gehört für mich das Einlassen auf die regionalen Spezialitäten, und da haben die friesischen Inseln einiges zu bieten. Bei vielen ist dieser Horizont bereits mit den allgegenwärtigen Fischbrötchen oder panierten Fischfilets mit Kartoffelsalat erreicht. Ein auch auf Amrum manchmal eher zweifelhaftes Vergnügen, denn was ich z.B. vor einigen Jahren an einem in allen Reiseführern hoch gelobten und entsprechend stark frequentierten Fischimbiss in Wittdün für nicht wenig Geld erstand, war schlicht eine multiple Scheußlichkeit aus trockenem, pompös panierten Fisch mit einer schleimigen Soße, die eher an Tapetenkleister als an Remoulade erinnerte. Was natürlich nicht heißen soll, dass es auf Amrum nicht auch ganz hervorragende Fischimbisse gibt. Wie auch gute bis sehr gute Restaurants, in denen friesische Spezialitäten angeboten werden, meistens allerdings zu recht ambitionierten Preisen.

Delikatessen vor der Haustür

Aber wer ein einigermaßen gut ausgestattetes Feriendomizil hat, kann auch selber kochen – und dabei aus dem Vollen schöpfen. An fünf Tagen in der Woche verkauft der Inselfischer Andreas Thaden in Steenodde vor allem fangfrische Krabben und alles, was sonst noch im Netz landet. Das Angebot wechselt, dabei sein können unter anderem Steinbutt, Seezunge, Wolfsbarsch, Makrele, Knurrhahn oder Scholle. Manchmal – der Klimawandel macht‘s möglich – sogar Sardinen. Ein Bauernmarkt und auch einige Geschäfte bieten regionale Produkte an. Und natürlich ist ein Urlaub in Friesland ohne den Genuss von Salzwiesenlamm quasi undenkbar.

Doch eine regionale Spezialität ist äußerst rar. Die Rede ist von Queller, ein Fuchsschwanzgewächs mit sehr speziellen Vegetationsgewohnheiten. Queller wächst in der Verlandungszone zwischen Meer und Land. Im Wattenmeer wird er also zwei Mal am Tag komplett überspült. Ab Oktober stirbt er ab, die Samen verteilen sich im Wattboden und im kommenden Frühjahr geht alles von vorne los. Dann lagert der Queller große Mengen Salz und andere Ionen in seinem Zellsaft ein, die er dann quasi durch die Wasseraufnahme verdünnt, wobei er aufquillt.

Eigentlich verboten, aber...

Natürlich unterliegt auch Queller wie alle Wildgewächse den strengen Regeln des Bundesnaturschutzgesetzes. Das heißt, seine Entnahme ist im Prinzip verboten, vor allem zu kommerziellen Zwecken. Doch es gibt eine klitzekleine Lücke. Im §39, Absatz3 heißt es: „Jeder darf (…) wild lebende Blumen, Gräser, Farne, Moose, Flechten, Früchte, Pilze, Tee- und Heilkräuter sowie Zweige wild lebender Pflanzen aus der Natur an Stellen, die keinem Betretungsverbot unterliegen, in geringen Mengen für den persönlichen Bedarf pfleglich entnehmen und sich aneignen“. Umgangssprachlich wird das die „Handstraußregel“ genannt, und auch in der Schutzstation für das nordfriesische Wattenmeer heißt es auf Nachfrage, dass man „eine Handvoll“ Queller abzupfen dürfe. Also keinesfalls die ganze Pflanze aus dem Wattboden ziehen, sondern nur die oberen Blätter.

Natürlich lassen sich einige Amrumer Gastronomen nicht die Chance entgehen, Queller als quasi „örtliche Spezialität“ anzupreisen. Aber was da dann als Salat oder als Beilage auf den Teller kommt, stammt nicht aus dem hiesiegen Wattenmeer, sondern wird von kommerzielen Betreibern von Salzwasserfarmen angeliefert. In einer Reportage der bekannten TV-Moderatorin und Tagesschauprecherin Judith Rakers über Amrum, präsentierte der Insel-Gastronom Wellem Peters, der die „Seekiste“ in Nebel betreibt, sein Rezept.

Ein ganz einfacher Salat

Die fleischig wirkenden Blätter werden geputzt und grob geschnitten. Die bei ihm übliche Soße besteht aus Sahne, Zitronensaft, und etwas Zuckersirup. Was man ganz bestimmt nicht braucht, ist Salz, denn davon hat der Queller genug intus! Mitunter findet man Queller, der auch Meeresspargel genannt wird und in Frankreich als Salicorne bekannt ist, auch als Garnitur oder kleine Beilage zu Fischgerichten in anderen Restaurants. In diesen Fällen wird er meistens zuvor blanchiert und manchmal auch angebraten.

Ich bin jedenfalls wild entschlossen, von der „Handstraußregel“ Gebrauch zu machen, und werde ein bisschen wilden Queller aus dem Wattenmeer zupfen und zubereiten. Ein Vergnügen, dass sich dann wohl erst bei meinem nächsten Aufenthalt auf dieser oder einer anderen wunderschönen Insel im Wattenmeer wiederholen lassen wird. Aber Salicorne aus der Normandie oder der Bretagne ist in gut sortierten Fischabteilungen auch andernorts erhältlich. Damit werde ich nach dem Urlaub mal ein bisschen experimentieren – und dann gibt es an dieser Stelle auch wieder ein Rezept.

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