Genderdysphorie bei Kindern und Jugendlichen - „Kein Mann wird wirklich zur Frau. Und keine Frau wird wirklich zum Mann“

Die Zahl der Menschen, die unter Genderdysphorie leiden, ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Eine neue Patientengruppe trägt maßgeblich dazu bei: Kinder und Jugendliche, die plötzlich trans sein sollen. Bernd Ahrbeck und Marion Felder haben ein Buch zum Thema veröffentlicht. Im Gespräch kritisieren sie den großen Einfluss der Trans-Verbände, eine viel zu affirmative Haltung gegenüber jungen Patienten und das von der Ampel-Regierung geplante „Selbstbestimmungsgesetz“.

Die Engländerin Keira Bell begann mit 16 Jahren eine Hormontherapie, um ein Junge zu werden – und zog Jahre später gegen die Verantwortlichen vor Gericht / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Bernd Ahrbeck ist Professor für Psychologische Pädagogik an der International Psychoanalytic University Berlin. Marion Felder ist Professorin an der Hochschule Koblenz im Fachbereich Soizalwissenschaften, Schwerpunkte Inklusion und Rehabilitation. Jüngst ist im Verlag W. Kohlhammer ihr Buch (Hrsg.) „Geboren im falschen Körper – Genderdysphorie bei Kindern und Jugendlichen“ erschienen.

Herr Ahrbeck, Frau Felder, der erste dezidierte Queer-Beauftragte einer Bundesregierung, der Grünen-Politiker Sven Lehmann, sagte jüngst: „Welches Geschlecht ein Mensch hat, kann kein Arzt von außen attestieren.“ Lassen Sie es uns zu Beginn dieses Gesprächs dennoch versuchen: Woran erkenne ich im Jahr 2022 noch, ob mir gegenüber ein Mann oder eine Frau sitzt?

Marion Felder: Es gibt sicherlich bestimmte Marker, wo es offensichtlich ist, dass es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. Zum Beispiel die Stimmlage und die körperliche Statur, auch wenn es große Unterschiede innerhalb der Geschlechter gibt. In den allermeisten Fällen kann man klar erkennen, ob das Gegenüber ein Mann oder eine Frau ist.

Gibt es auch psychische Unterschiede? 

Bernd Ahrbeck: Die gibt es. Zum Beispiel infolge der Körperlichkeit und beim Bedürfnis, sich in Bezug auf andere zu definieren. Ich bin jedenfalls fasziniert von Frauen und immer auf der Suche: Wo sind die Differenzen zwischen Männern und Frauen? Was ist das Charmante an Frauen? Was unterscheidet sie von Männern? Bei aller Angleichung sind Männer und Frauen eben nie völlig gleich geworden. Und das ist auch gut so.

Wir sprechen heute über Ihr Buch „Geboren im falschen Körper – Genderdysphorie bei Kindern und Jugendlichen“. Lassen Sie uns erstmal den Begriff klären: Was ist Genderdysphorie?

Ahrbeck: Genderdysphorie beginnt zunächst mit einer Irritation über den eigenen Körper, die dann in einem zweiten Schritt zu dem Wunsch führt, sich umzuwandeln, also eine Transition durchzuführen. Allerdings ist es ganz schwer zu unterscheiden, was vorübergehende Irritationen sind, etwa in der Pubertätszeit, und was wirklich ein genuines Missempfinden ist am eigenen Körper, das zu anhaltenden und subjektiv unerträglichen Zuständen führt.

Was nehmen diese Menschen als irritierend bis unerträglich wahr? 

Ahrbeck: Der Körper wird als nicht zur Person passend erlebt, als unangenehm, quälend, mitunter eklig. Und dann entsteht die Fantasie, dass im Gegengeschlecht in irgendeiner Weise eine Erlösung steckt.

Die Statistik zeigt, dass die Fälle von Genderdysphorie bei Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Jahren rapide zugenommen haben. In der Tavistock-Klinik in Großbritannien zum Beispiel hat sich die Zahl der Kinder unter zehn Jahren, die eine Transgender-Behandlung suchen, in den vergangenen fünf Jahren vervierfacht. In anderen Kliniken sind Steigungsraten von bis zu 1500 Prozent für Menschen jeglichen Alters dokumentiert. Was sind die Gründe?

Felder: Abschließend ist das noch nicht geklärt. Aber es gibt mittlerweile ganz wichtige Studien, wie die von Lisa Littman (amerikanische Ärztin, Forscherin und Hochschulprofessorin an der School of Public Health der Brown University; Anm. d. Red.), die den Begriff „Rapid onset gender dysphoria (ROGD)“ geprägt hat. Damit ist eine neue Version der Genderdysphorie gemeint, die bei Jugendlichen unvermittelt auftaucht. Bei Kindern, 13 oder 14 Jahre alt, die vorher keinerlei Anzeichen gezeigt haben, dass sie in irgendeiner Weise mit ihrem Geburtsgeschlecht nicht übereinstimmen. Das sind jene Kinder und Jugendlichen, bei denen wir diesen rasanten Zuwachs sehen. Meistens sind es Mädchen.

Was stellt Littman fest?

Felder: Die Studien, die bis dato gemacht wurden, wurden in der Regel mit Kindern und Jugendlichen durchgeführt, die schon sehr früh eine Geschlechtsdysphorie aufwiesen. Es gab also bereits klare Anzeichen im frühen Kindesalter. Solche Menschen hat es immer schon gegeben, und die Gruppe der Betroffenen ist sehr klein. Littmans Studie zeigt nun, dass all diese Jugendlichen, die ihre Eltern heute plötzlich damit konfrontieren, im falschen Körper zu sein, zuvor sehr viel im Internet unterwegs waren. Parallel dazu tritt eine Genderdysphorie auffällig gehäuft in bestimmten Schulklassen auf. Littmans Theorie ist die einer „sozialen Ansteckung“.

Gibt es weitere Theorien?

Felder: Verfechter des affirmativen, die Kinder bestätigenden Modells sagen zum Beispiel, dass die Gesellschaft liberaler geworden ist und sich deshalb viel mehr Jugendliche trauen, ihre Transidentität anzunehmen. Diese These ist für mich aber nicht nachvollziehbar, weil sich damit der kurzfristige rapide Anstieg nicht wirklich erklären lässt.

Ahrbeck: Im Internet finden sich Menschen mit alle möglichen Sorgen und Nöten zusammen. Auch diejenigen, die mit ihrem Geschlecht ein Problem haben. An dieser Stelle setzt der erhebliche Einfluss der Trans-Bewegung ein, die zwar Kindern helfen will, sich aber auch propagandistisch für den Trans-Weg einsetzt. Gesellschaftlich spielt eine gewisse Machbarkeitsvorstellung eine große Rolle, wonach alles im Leben möglich ist und die Freiheit des Menschen grenzenlos. Das ist zu einer gesellschaftlichen Leitlinie geworden. Dazu gehört, dass das Konservative, das Bewahrende als etwas Böses gilt. Das erklärt unter anderem auch, warum es relativ wenig Widerstand gegen den Einfluss der Trans-Bewegung auf Kinder und Jugendliche gibt. 

Felder: Eine Anmerkung noch: Die allermeisten Kinder und Jugendlichen, die heute die Diagnose Genderdysphorie bekommen, haben auch andere Störungen, etwa Angststörungen und Depressionen. In der von Ihnen eingangs erwähnten Tavistock-Klinik wurden sehr viele Kinder und Jugendliche behandelt, die eine diagnostizierte Autismus-Spektrumsstörung hatten. Das ist ein entscheidender Unterschied zu der ursprünglichen Gruppe, wo sich kaum solche komorbiden Störungen feststellen ließen. Hinzu kommt, was auch eine zentrale These im Buch von Alice Schwarzer ist: Nämlich, dass die mediale Darstellung von Frauen und Mädchen sich wieder extrem verändert hat, auch durch die ganze Pornokultur. Dass Frauen wieder stärker auf ihr Äußerliches reduziert werden, was Mädchen und junge Frauen stark überfordern kann. Deshalb muss man genau hingucken: Was sind eigentlich die Ursachen für Genderdysphorie? Statt sich nur auf eine Selbstdiagnose von Jugendlichen zu verlassen.

Der britische Autor Douglas Murray – den Sie in Ihrem Buch auch zitieren – schreibt, dass die Idee, eine Neunjährige verfüge bereits über eine sexuelle Identität, grotesk sei. Ich meine, Freud hätte etwas anderes gesagt, oder?

Ahrbeck: Ich bin Psychoanalytiker, also sind Sie da bei mir an der richtigen Adresse. Es ist so, dass sich selbst kleine Kinder dem einen oder anderen Geschlecht zugehörig fühlen. Bin ich ein Junge? Oder bin ich ein Mädchen? Sobald die Kinder körperliche Unterschiede erkennen, identifizieren sie sich mit dem einen oder dem anderen Geschlecht. Was Douglas Murray meint, aber auch Experten wie Alexander Korte (Leitender Oberarzt in der Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie am Klinikum der Universität München; Anm. d. Red.), ist, dass eine Neunjährige nicht in der Lage ist, sich wirklich vorzustellen, wie sie später als Erwachsene sein wird, etwa was die eigene Sexualität betrifft. Aber dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Das führt dann zu der Diskussion darüber, wie lange man warten sollte, damit Kinder mit Geschlechtsirritationen überhaupt ein richtiges Gefühl dafür bekommen können, was es wirklich bedeutet, ein Mädchen oder ein Junge, eine Frau oder ein Mann zu sein. Fatal ist es, wenn eine solche Entwicklung bereits frühzeitig abgeschnitten und Kinder mit Genderdysphorie rein affirmativ behandelt werden.

Jetzt ist es wohl das eine, als Junge ein Mädchen kopieren zu wollen, etwa indem ein Neunjähriger ein Kleid trägt. Etwas anderes ist es, selbst in der Lage zu sein, in Gänze nachvollziehen zu können, wann ein Mann ein Mann und wann eine Frau eine Frau ist. Kinder sind dazu nicht in der Lage, sagen Sie?

Ahrbeck: Mit Sicherheit nicht.

Felder: Natürlich spielen Kinder mit unterschiedlichen Rollen. Und das ist das Gefährliche an der Sache: Wenn ein vierjähriger Junge gerne die Kleider seiner Schwester anzieht oder im Kindergarten bevorzugt mit Puppen und Mädchen spielt, dann besteht angesichts des herrschenden trans-affirmativen Klimas die Gefahr, dass daraus geschlossen wird, er müsse eigentlich ein Mädchen sein. Wir beobachten mit Sorge, dass es derzeit eine Entwicklung gibt, dass selbst kleine Kinder schon mit einer Transidentität gesehen werden. Ich bin überzeugt davon – und das sieht auch Korte so –, dass die Frage, ob ein Jugendlicher wirklich einen transsexuellen Weg einschlägt, in den allermeisten Fällen erst beantwortet werden kann, wenn dieser zumindest die Pubertät durchlaufen hat. Denn da verändert sich noch einmal sehr viel.

Wenn bestimmte Verhaltensweisen, wie das Kopieren von Mädchen durch Jungen, direkt als Transidentität interpretiert werden: Ist das dann nicht ein zivilisatorischer Rückschritt? Der Feminismus hat doch jahrzehntelang dafür gekämpft, dass solche Rollenmuster aus den Köpfen verschwinden; dass ein femininer Junge nicht gleich ein Mädchen ist und ein burschikoses Mädchen nicht gleich ein Junge.

Ahrbeck: Das ist wahr. Das binäre Prinzip – das schreibt auch Christoph Türcke in seinem philosophischen Beitrag „Im Falschen Körper“ in unserem Buch – wird dadurch noch einmal akzentuiert und viel weniger aufgelockert, als wir es ursprünglich einmal hatten.
 

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Sie sagten bereits, dass bei dieser neuen Gruppe Kinder mit Genderdysphorie häufig andere Störungen festgestellt werden, dass es unterm Strich nicht klar ist, ob Genderdysphorie die Grunderkrankung oder nur ein Symptom ist. Mal provokant gefragt: Ist Genderdysphorie nicht immer eine Störung?

Ahrbeck: Die internationale Entwicklung geht eher dahin, Transsexualität als Krankheitsbegriff aus den Klassifikationssystemen rauszunehmen. Das ist nicht völlig unproblematisch. Sicherlich gibt es psychisch gesunde Personen, die sich eine Umwandlung wünschen, aber auch andere, die sehr belastet sind. Und es gibt eine weitere bedenkliche Vorstellung: nämlich, dass es hierbei um ein Menschenrecht auf Selbstbestimmung geht, nicht um eine hochkomplexe biologische-psychosoziale Konstellation. Die Vorsicht, die Sie anmahnen, teile ich. Man muss genau hinschauen, was da eigentlich los ist und ob der genuine Wunsch wirklich so groß ist, dass ein Mensch in seinem biologischen Geschlecht nicht mehr leben kann. Psychiatrisch und psychotherapeutisch genau hinzusehen, dieser Weg wird durch die neue Entwicklung bedroht. Das halte ich für verhängnisvoll.

Felder: Die Empirie zeigt etwa, dass circa 80 Prozent derjenigen Kinder und Jugendlichen mit Genderdysphorie, die keine Pubertätsblocker bekamen, nach dem Ende der Pubertät mit ihrem Geburtsgeschlecht übereinstimmen. Bei jenen, die Pubertätsblocker bekamen, sind die Zahlen umgekehrt. Zwischen 80 bis 90 Prozent dieser Kinder und Jugendlichen gehen dann über zu Cross-Sex-Hormonen, also Testosteron und Östrogenen, und bis hin zum operativen Weg.

Aber woran erkennen Experten denn, zu welcher Gruppe ein Kind gehört; also ob es nur eine Phase ist oder ein „genuines Missempfinden“, wie Sie es nennen?

Felder: Das zu erkennen ist sehr schwierig. Es gibt keine gesicherten Indikatoren dafür, wenn selbst Zehn- oder Elfjährige mit dieser Selbstdiagnose kommen. Die Folge ist, dass falsche Diagnosen getroffen werden können, die sich, wenn erste Maßnahmen bereits eingeleitet wurden, nur noch schwer rückgängig machen lassen. Durch den Einsatz von Pubertätsblockern zum Beispiel. Auch soziale Transitionen sind nicht so unproblematisch, wie sie häufig dargestellt werden. Ein Problem dabei ist, dass der Überzeugung und dem Wunsch des Kindes gar nicht mehr widersprochen werden soll. Eltern und Lehrer, die nicht sofort affirmativ auf eine Genderdysphorie bei Kindern reagieren, werden stattdessen als „transphob“ bezeichnet.

Der Begriff „Pubertätsblocker“ ist jetzt schon mehrfach gefallen. Können Sie ihn kurz erläutern?

Felder: Dabei handelt es sich vereinfacht um einen Oberbegriff für unterschiedliche Medikamente, die Einfluss auf die Bildung von Östrogenen und Testosteron haben. Einige wurden ursprünglich für Kinder entwickelt, die infolge einer hormonellen Störung sehr früh in die Pubertät kommen, also im Alter von acht Jahren oder noch früher. Ein zu früher Eintritt in die Pubertät sollte verhindert werden. Diese Pubertätsblocker werden nunmehr bei Genderdysphorie eingesetzt, wenn es zum Beispiel Mädchen als unerträglich empfinden, dass sich ihre Brüste entwickeln.

Was halten Sie davon?

Felder: Die Folgen der Verabreichung von Pubertätsblockern bei Genderdysphorie sind noch gar nicht ausreichend erforscht. Es gibt Studien, die besagen, dass diese Pubertätsblocker risikobehaftet sind, etwa zu einer verminderten Knochendichte oder Beeinträchtigungen bei der kognitiven Entwicklung führen. Die Pubertätsblocker werden dann auch irgendwann durch Cross-Sex-Hormone ersetzt. Aber auch die Langzeitwirkung dieser Kombination ist noch nicht erforscht. Das wird aber kaum dargestellt, auch in Berichten über Transsexualität in den Medien nicht. Nehmen Sie erstmal nur die Stimme oder den Haarwuchs. Selbst nach einer relativen kurzen Zeit mit Testosteron oder Östrogenen stellen sich irreversible Veränderungen ein. Das ist alles nicht so einfach, wie gerne getan wird.

Ahrbeck: Diese Menschen werden ihr Leben lang medikamentöse Unterstützung brauchen. Da sind wir bei dem Punkt, dass es keinen vollständigen Wechsel vom einen ins andere Geschlecht gibt; dass es so einfach nicht ist mit der Umwandlung. Daher bedarf es einer gewissen psychischen Reife, um für sich selbst eine solche Entscheidung treffen zu können. Diese Menschen nehmen einen schwerwiegenden und irreversiblen Eingriff in einen gesunden Körper vor.

„Geboren im falschen Körper“, Kohlhammer, 34 Euro

Ein Begriff, von dem ich in dem Zusammenhang immer häufiger höre, ist die „Detransition“, also die mehr oder weniger operative Rückkehr zum Status quo ante nach einer Transition. Wie oft treten solche Fälle auf?

Felder: Das Thema der Detransition ist in den letzten Jahren stark aufgekommen, besonders durch den Fall Keira Bell in Großbritannien (die wegen einer Hormontherapie gegen die Tavistock-Klinik geklagt hatte; Anm. d. Red.). Wie viele dieser Fälle es tatsächlich gibt, ist aber nicht bekannt. Das liegt auch daran, dass Studien meist auf diejenigen eingehen, die mit ihrer Transition eher gut zurechtkommen. Menschen, die ihre Transition bereuen oder sie gar rückgängig machen wollen, werden oft gar nicht mehr erreicht. Da gibt es eine erhebliche Dunkelziffer.

Welche Zahlen kursieren bei der Detransition denn?

Felder: Von einigen Wissenschaftlern wird eine sehr geringe Zahl zwischen einem und drei Prozent angegeben. Aber diese Zahlen müssen mit großer Vorsicht betrachtet werden. Auch weil die Zeiträume, in denen diese Menschen befragt werden, oft relativ kurz sind. Innerhalb von drei bis fünf Jahren nach einer Transition zum Beispiel. Aber ob eine 16-Jährige, die sich die Brüste amputieren lässt, das mit 30 immer noch für richtig hält, ist nochmal etwas ganz anderes. Uns fehlen leider die Langzeitstudien.

Ahrbeck: Wirklich belastbare Zahlen haben wir derzeit keine, nur Aussagen und Berichte. Aber die Behauptung mancher Transverbände, die Zahl der Detransitioner liege um die Null-Komma-Null-Irgendwas-Prozent halte ich in Abgleich mit der Lebensrealität für relativ unwahrscheinlich. Klar ist: Detransition kommt sehr viel mehr in die Diskussion, weil sich sehr viel mehr Menschen, die dieses Schicksal teilen und sich rückoperieren lassen, auch zu Wort melden.

Was macht das mit einem, wenn man eine radikale Entscheidung trifft und die später revidiert, indem man nochmal eine radikale Entscheidung trifft?

Felder: Das ist für die Betroffenen ein sehr schwieriger Prozess. Eine Detransition bedeutet häufig auch einen Bruch mit der Community. Denn Aktivisten nehmen derlei natürlich nicht gut auf. Aber es ist auch nicht einfach, sich einzugestehen, dass es ein Fehler war, sich die Gebärmutter und die Eierstöcke entfernen zu lassen oder Hoden und Penis.

Ahrbeck: Damit geht dann auch ein breiter Strauß an Affekten einher: Schuldgefühle, Schamgefühle, Verzweiflung, Selbstvorwürfe und Fremdvorwürfe. Diese Menschen brauchen häufig eine lange Beratung und Therapie. Das gilt übrigens auch für jene, für die sich eine Transition als richtige Entscheidung herausstellt.

Nun könnte die Ampel-Regierung ja das „Transsexuellengesetz“ abschaffen und durch ein sogenanntes „Selbstbestimmungsgesetz“ ersetzen. Das würde wohl unter anderem vorsehen, dass Kinder bereits im Alter von 14 Jahren ihr Geschlecht frei wählen dürfen. Außerdem würden die Hürden für eine Transition deutlich gesenkt werden. Wie beurteilen Sie ein solches Vorhaben?

Ahrbeck: Ein Geschlechtswechsel auf dem Standesamt hat schon als soziale Transition weitreichende Folgen, hormonelle und chirurgische Eingriffe sind noch viel gravierender. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Kind oder ein Jugendlicher unter 16 Jahren, der auf sich allein gestellt ist, über die nötige Reife für eine solche Entscheidung verfügt. Da mag es Ausnahmen geben, die Regel ist es nicht. Wie sagt unser Autor Alfred Walter: Es braucht eine Klarheit darüber, dass es eine Geschlechtsumwandlung im engeren Sinne nicht gibt. Kein Mann wird wirklich zur Frau. Und keine Frau wird wirklich zum Mann. Es gibt nur eine Annäherung mit vielen Komplikationen. Um darüber schon bei Kindern Klarheit zu schaffen, reichen zwei, drei Stunden transaffirmative Beratung nicht aus. Dafür braucht es einen langen Prozess. Leider wird das oft als starke Kränkung empfunden. Es geht also, um es klar zu sagen, um ein hochheikles Thema. Mit der Folge, dass, wer solche Wünsche hat, sich auch mit sich selbst auseinandersetzen muss. Und natürlich: Für einige Menschen ist die Transition der richtige Weg, daran sollte es keinen Zweifel geben.

Würden Sie denn so weit gehen und sagen: Wenn wir da jetzt nicht gegensteuern und ein solches Gesetz kommt, dann überlassen wir hunderte, vielleicht tausende Jugendliche schutzlos sich selbst und lösen eine große Tragödie aus, die wir noch bereuen werden?

Ahrbeck: Ja, das würde ich so unterschreiben. Wenn dieses Gesetz kommt und sich auch an anderen Stellen diese affirmative Haltung weiter durchsetzt, wird das sehr viel Unglück produzieren. Da bin ich ganz sicher.

Felder: Ich auch. Man muss sich die gravierendsten Folgen vor Augen führen. Wir sprechen hier von Sterilisationen, vom Verlust des sexuellen Empfindens bei Jugendlichen, die ein solches vielleicht noch nie erlebt hatten. Selbst einige transsexuelle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schlagen mittlerweile Alarm, weil sie sehen, dass sich da gerade ein Trend entwickelt, der viel zu weit geht. 

Das Gespräch führte Ben Krischke.  

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