Eigentlich ist es ganz simpel, seinen kulinarischen und genusskulturellen Horizont stetig zu erweitern. Man sollte einfach alles probieren, was einem irgendwo begegnet. Nun ja, „Alles“ ist vielleicht übertrieben, denn z.B. unbekannte Pilze zweifelhafter Herkunft oder sensorisch erkennbar eklige Produkte sollte man dann doch lieber meiden. So kann mich wirklich nichts und niemand dazu motivieren, den berüchtigten schwedischen Gammelfisch Surströmming zu probieren. Doch ansonsten gilt: Erst testen und dann entscheiden, ob es vielleicht das letzte Mal war.
Obwohl ich seit vielen Jahren dieser Maxime folge und vor allem in Asien viele merkwürdige Dinge probiert habe (bei denen ich teilweise nicht mal wusste, um was es sich handelt, was vermutlich auch besser war), begegnen mir auch im heimischen Berlin mitunter Lebensmittel, die ich bisher nicht kannte. Bei Obst und Gemüse sind das vor allem saisonale Produkte, von denen es im Herbst sehr viele gibt. Und so fiel mein Blick neulich auf zwei Angebote in der stets gut sortierten Obst- und Gemüseauslage eines großen türkischen Supermarktes in meiner Gegend: Mispeln und Cherimoya.
Misslungener Mispel-Versuch
Von Mispeln hatte ich irgendwie schon mal gehört, mehr aber auch nicht. Besonders appetitlich sehen reife Mispeln nun wirklich nicht aus. In der Regel sind die Früchte aufgeplatzt und haben fleckige gelb-braune Schalen. Vor einem Kauf habe ich mich lieber mal schlau gemacht. Ursprünglich stammen Mispeln wohl aus Westasien (Iran, Irak, Türkei), sind aber seit langer Zeit auch im Kaukasus, auf dem Balkan und in Italien weit verbreitet. Auch in Mitteleuropa, hat das Rosengewächs, das wenig Ansprüche an das Klima und die Böden stellt und weitgehend schädlingsresistent ist, ein paar Refugien gefunden, etwa in England und in der Schweiz. Im Mittelalter spielte die Mispel in ganz Europa eine wichtige Rolle, wurde dann aber von „edleren“ Kernobstfrüchten weitgehend verdrängt. Doch auch hierzulande findet man gelegentlich wilde Mispelbäume, habe ich mir sagen lassen.
Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:
Na dann mal ran an die Mispel. Was allerdings ein veritabler Reinfall war, denn das Fruchtfleisch unter der Schale war hart, trocken und kräftig adstringierend. Der in Büchern beschriebene „angenehm süß-säuerliche, nussige Geschmack“ war bestenfalls zu erahnen. Inzwischen weiß ich, dass Mispeln ihren Geschmack und ihre weiche Konsistenz erst nach den ersten Frösten so richtig entfalten – mir wurde offenbar „Vor-Frost-Ware“ angedreht. Man kann aber nachhelfen, und die Früchte ein paar Stunden ins Gefrierfach legen und danach an einem trockenen Ort etwas nachreifen lassen – wird jedenfalls behauptet. Dann sollen sie der absolute Hit für Marmeladen, Gelees, Chutneys und Soßen, aber auch roh sein. Das werde ich nunmehr überprüfen und anschließend entscheiden, ob mich Mispeln auch weiterhin interessieren.
Eine überraschende Aromenbombe
Als wesentlich zugänglicher erwies sich Cherimoya, eine Flaschenbaumfrucht, die es locker auf ein Pfund Gewicht bringen kann. Ursprünglich stammt sie aus den Andenregionen Südamerikas, ist aber auch in südlichen Regionen Spaniens und Italiens heimisch geworden. Die reifen, bereits weichen Früchte halbiert man, entfernt die großen Kerne (was sehr einfach geht) und löffelt sie aus wie eine Kiwi aus der Schale. Noch etwas härtere, grüne Früchte kann man in Papier gewickelt bei Zimmertemperatur nachreifen lassen. Aber NIEMALS in den Kühlschrank legen, dann ist sie schnell hinüber. Schmecken tut das Fruchtmus deutlich nach Banane, Ananas und Zimt – eine tolle Aromenkombination. Und der Plan, daraus mal einen Pudding oder (zusammen mit Limette) ein Sorbet zu fabrizieren, ist fest im Restjahreskalender verankert.
Und die Moral von der Geschichte? Einfach mal mit offenen Augen durch gut sortierte Obst- und Gemüseabteilungen streifen und nach Früchten suchen, die man noch nicht kennt. Schlimmstenfalls hat man ein paar Euro zum Fenster rausgeschmissen, bestenfalls ein spannende Entdeckung gemacht. Und auf alle Fälle seinen Horizont erweitert. Und darum geht es doch, nicht nur beim Essen.