30 Jahre Mülltrennung - „Wir müssen aus der Entsorgungs- eine Kreislaufwirtschaft machen“

Die Mülltrennung wird heute 30 Jahre alt – ein guter Grund zum Feiern? Im Interview erklärt der Geschäftsführende Präsident des Bundesverbands der Abfallwirtschaft, Peter Kurth, inwieweit die Mülltrennung reformiert werden muss und wie Verbraucher da mitwirken können.

Überfüllte Müllcontainer / dpa
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Autoreninfo

Sina Schiffer studiert an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn Politik und Gesellschaft und English Studies. Derzeit hospitiert sie bei Cicero. 

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Seit Oktober 2009 ist Peter Kurth geschäftsführender Präsident des Bundesverbands der Deutschen Abfall-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft e. V. Von Juni 2014 bis Dezember 2019 war er Vizepräsident der FEAD. Seit November 2012 ist er Mitglied des Lenkungsausschusses des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI).

Herr Kurth, die Festlegung einer bundesweit einheitlichen Regelung zur Mülltrennung wird 30 Jahre alt. Wie kam die zustande? 

Sie sprechen die Verpackungsverordnung aus dem Jahre 1991 von Klaus Töpfer an. Er hat die Herstellung von Verpackungen in die Pflicht genommen, die Entsorgung von Verpackungen organisatorisch und finanziell zu verantworten. Er hat erkannt, dass die Verbraucher im Supermarkt nicht mehr über Verpackungsart und den Umfang von Produkten entscheiden können, sondern allein der Hersteller bei der Planung von Verpackungen. Somit haben diese ein finanzielles Interesse daran, das Volumen zu verkleinern. 

Wie haben sich die Verbraucher geschlagen? 

In den letzten 30 Jahren haben sich die Verbraucher sehr gut geschlagen. Die  Bereitschaft der Bürger, an der Mülltrennung mitzuwirken, ist sehr groß. Über 90 Prozent der Menschen geben an, dass sie mit der Mülltrennung einen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz leisten. Die hohen Zustimmungswerte zeigen, dass die Menschen das System verstanden haben. 

Nun fordert die Entsorgungsbranche aber eine dringende Reform der Mülltrennung. Was sind die Gründe dafür?

Wir fordern, dass das Thema Herstellungsverantwortung noch konsequenter weitergedacht wird. Ob Recycling funktioniert, entscheidet sich nicht in dem Moment, in dem ein Verbraucher seinen Müll trennt, sondern bereits beim Design des Produktes. Diese Produktverantwortung gilt es zu stärken. 

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ein gutes Beispiel dafür sind die sogenannten E-Roller. Die Batterien waren bei vielen Rollern untrennbar mit dem Gerät verbunden. Die Batterien müssen aber anders entsorgt werden als das Gerät. Man muss also so produzieren, dass das Recycling von Produkten erleichtert und nicht unmöglich wird. 

Auch bei der Erfassung von organischen Abfällen sind wir noch nicht weit genug. Die Biotonne steht zwar im Gesetz, aber noch lange nicht bei jedem auf dem Hof – dafür zu sorgen, ist aber Aufgabe der Kommunen. In den organischen Abfällen steckt nämlich sehr viel Potenzial an Energiegewinnung und Recyclingmöglichkeiten. In den letzten 30 Jahren haben wir viel gelernt – wir müssen es jetzt schaffen, aus einer hervorragenden Entsorgungssituation auch eine echte Kreislaufwirtschaft zu schaffen. Dafür brauchen wir die Produzenten noch stärker in der Mitverantwortung. 

Peter Kurth / BDE

Ist deshalb jetzt wieder die Politik gefragt?

Ja, weil wir glauben, dass es den großen Wurf für die Kreislaufwirtschaft ohne gesetzliche Instrumente nicht geben wird. Das hat auch die Europäische Kommission erkannt. Der Weg Europas zum klimaneutralen Kontinent beruht im Wesentlichen auf dem „Aktionsplan Kreislaufwirtschaft“. Und da reden wir jetzt über viele Dinge, zum Beispiel über Mindesteinsatzquoten bei bestimmten Produkten.

Wir würden gerne mit der Industrie gemeinsam überlegen, wie ein vernünftiger Mindesteinsatz an Rezyklaten aussehen kann –bei der Produktion von neuen Kunststoffartikeln, aber auch im Elektronikbereich. Wir müssen also das Ziel verfolgen, aus einer Entsorgungswirtschaft eine Kreislaufwirtschaft zu machen. 

Aus dem aktuellen „Plastikatlas“, den der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland veröffentlicht hat, geht jetzt hervor, dass nur 16 Prozent des Plastikmülls wiederverwertet wird. Was passiert mit den übrigen 84 Prozent?

Die 16 Prozent beziehen sich auf den stofflichen Einsatz in Deutschland. Etwa die gleiche Menge wird außerdem in andere Länder exportiert, um dort recycelt zu werden. Die Recyclingindustrie ist auch eine arbeitsteilige Industrie. Sehr kleine Länder in Europa, wie zum Beispiel Malta oder Lichtenstein, haben keine eigene Glas- oder Papierindustrie und sind deshalb auf eine solche Arbeitsteilung besonders angewiesen. Man darf nicht nur das Verarbeiten im eigenen Land sehen, sondern man muss auch sehen, was insgesamt von den Kunststoffen in einem Produkt verarbeitet wird. 

Reicht das denn aus?

Nein, der Recyclingsprozess ist noch nicht optimal ausgefeilt, denn Kunststoffverpackungen sind sehr kompliziert aufgebaut. Bei Käseverpackungen etwa liegen bis zu sieben Folien und mehr übereinander. Das Recycling von Mischkunststoffen ist technisch oft möglich, aber viel zu teuer. Saubere Monomaterialien sind daher viel recyclingfreundlicher. 

Nicht alle Länder und Städte gehen einheitlich bei der Mülltrennung vor. Die Stadt Karlsruhe trennt zum Beispiel keinen Müll. Die haben eine „Wertstofftonne“ – keinen Gelben Sack. Wie soll man da noch durchsteigen?

Ja, das ist eine gute Frage. Sie sprechen berechtigte Punkte an. Der sogenannte Gelbe Sack ist für Kunststoffverpackungen gedacht. Verpackungen haben den angenehmen Effekt, dass sie sehr leicht sind und somit auch das Einsammeln erleichtern. Wir wollen diese Sammlung aber erweitern und die Gelbe Tonne zur Wertstofftonne weiterentwickeln.

Wie soll das funktionieren? 

Wir wollen das bestmögliche Sammelergebnis aus den Privathaushalten und Schritt für Schritt vom gelben Sack zur Wertstofftonne kommen – aber diese Entscheidung treffen bei uns in Deutschland nun mal die Kommunen. Mehr Harmonisierung bei der Kunststofferfassung in Deutschland wäre also für das Recycling sehr schön. 

Was heißt das für eine zielführende Mülltrennung?

Dies bedeutet, dass in Privathaushalten wirklich nur der Restmüll als Gemisch, also ohne alle Wertstoffe, gesammelt wird. Das sind zum Beispiel hygienisch problematische Abfälle, also gebrauchte Babywindeln – diese müssen wir weiter als Restmüll erfassen. Wir können aber die getrennte Sammlung der Wertstoffe quantitativ noch erheblich ausbauen und damit für die Umwelt und den Klimaschutz viel erreichen – der Restmüll sollte dann wirklich nur ein kleiner Rest bleiben. 

Die Fragen stellte Sina Schiffer

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