Die letzte Generation - Mit dem Rücken zur Kunst

Von Florenz über Dresden bis Berlin kleben sich derzeit Aktivisten von „Letzte Generation“ an Gemälden namhafter Alter Meister fest. Auffällig oft wählen sie sakrale Bildmotive aus und erklären ihre Motivation mit religiösen Metaphern. Ihre eigene Motivation ist indes äußerst profan: Alles dreht sich um das irdische Ego.

Klimaaktivisten vor der Sixtinischen Madonna in Dresden / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Kinder, wie die Zeit vergeht! Es ist noch gar nicht lange her, da galt Kunst als „hot shit“ für alle Kraftmeier und Vermögenden. Kunst, das war das letzte Statussymbol der Macht. „Mit dem Rücken zur Kunst“ hieß dementsprechend in jenen längst vergangenen Jahren ein Bestseller des Münchner Kunsthistorikers Wolfgang Ullrich, in dem dieser mit einer interessanten These aufwartete: Je geringer das Verständnis des Publikums für Kunst, desto nachhaltiger die Bewunderung für diejenigen, die sich zum Fototermin vor eben genau dieser Kunst in Szene setzen.

Es war die Zeit der New Economy. Überall wurden damals gewaltige Gewinne aus den neuen Start-ups abgezwackt, die die Entrepreneurs des Neuen Marktes in Werke von Jeff Koons, Damien Hirst oder Andreas Gursky reinvestierten. Den Blue Chips am damals boomenden Kunstmarkt waren schier keine Grenzen mehr gesetzt. Und so kamen immer mehr Wirtschaftsbosse auf die eigentlich sehr naheliegende Idee, die ihnen nachgesagte Potenz vor kostspielige Fine Art Prints oder in Gegenwart von dick aufgetragener Ölfarbe zu inszenieren. Warum auch nicht? Über Generationen hinweg hatten es Kaiser, Könige und Kirchenfürsten ja ganz ähnlich gehalten: mit dem Wams am Buffet, mit dem Rücken zur Kunst.

Doch das alles ist vorbei und längst vergessen. 2022 ist aus dem einstigen Statussymbol von Macht und Stärke der Ausweis einer nach Vollkommenheit strebenden Ohnmacht geworden. Wer heute, zwanzig Jahre nach Wolfgang Ullrichs Bucherfolg, noch mit dem Rücken zur Kunst steht, der weiß sich sonst einfach nicht mehr zu helfen. 

Geistiges Kreislaufversagen

„Endlich die Notbremse ziehen“ wollen denn laut Selbstauskunft auch all diejenigen, die sich dieser Tage vor großformatige Gemälde Poussins, McCullochs, Boticellis, van Goghs oder, wie heute in der Berliner Gemäldegalerie geschehen, vor Lucas Cranachs „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ stellen. Sichtbar für alle Welt lassen sie sich dort fotografisch fixieren. Damit, so meinten etwa gestern zwei junge Bilderstürmer im Frankfurter Museum Städel, werde „der Widerstand gegen den Kurs der Bundesregierung unignorierbar auch an Orte der Kunst und Kultur getragen. Orte, die einem absoluten Kollaps des Weltklimas und einem folgenden Zusammenbruch sozialer Systeme ebenso zum Opfer fallen werden wie unzählige Leben.“ 

Doch bevor diese Orte eben dem vorhergesagten Klimakollaps erliegen, werden sie schnell noch Opfer eines eher geistig zu verortenden Kreislaufversagens. Denn die meistenteils jungen Leute, die sich selbst als Klimaaktivisten bezeichnen, stehen vor den Bildern nicht einfach nur rum. Sie kleben sich für zähe Minuten oder gar Stunden an ihnen fest. Bewaffnet mit Sekundenkleber und dem schier unbeugsamen Willen zur nackten Zerstörung, pappen sie sich an goldenen Ornamenthölzern fest oder haften sich an wertvolle Florentiner Rahmen.

Von Florenz über London bis nach Dresden und Berlin ist es nahezu überall das gleiche Bild: Eine neue Spielart der ursprünglich einmal vollkommen profanen Museums-Selfies, die nun mit politischer, zuweilen gar eschatologischer Bedeutung aufgeladen werden. Mal stehen die Aktivisten der Gruppen „Letzte Generation“ oder „Just Stop Oil“ leicht hilflos vor europäischen Landschaftsmalereien des 19. Jahrhundert herum, dann wieder vor Mariendarstellungen der italienischen oder deutschen Renaissance. 

Auf Augenhöhe mit der Madonna

Ein Hauch von Erlösungshunger jedenfalls wohnt vielen dieser Aktionen inne. Und so nimmt es nicht wunder, dass eine 24-jährige Aktivistin, die sich am heutigen Donnerstag eigenmächtig vor Cranachs Gemälde „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ in der Berliner Gemäldegalerie angeleimt hat, bei der Interpretation des durch sie selbst erzeugten Gesamtbildes einen geradezu frömmlerischen Ton anstimmt: Maria, so sagt sie mit fast pastoralem Timbre, stehe auf dem Gemälde stellvertretend für uns alle, denn wir alle sehnen uns nach einer sicheren Zukunft. 

Es ist wie eine Religion ohne Demut. Auf Augenhöhe mit Madonna und Kind. Ganz offensichtlich wurde das am vergangenen Dienstag, als sich ebenfalls zwei Klimarebellen vor Raffaels berühmter Sixtinischer Madonna in der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister anklebten. Starr wie Lots Weib nisteten sie sich dort für Minuten vor dem gut vier Meter hohen und knapp drei Meter breiten Ölgemälde ein und ergänzten dort die berühmten zwei Putten um zwei weitere verdutzt dreinschauende Flegel.

Eine sinnentleerte Geste

Die Aktivistin Maike Grunst sprach hernach von einem starken Symbol und versuchte sich ebenfalls in religiöser Bildbetrachtung: „Maria und Jesus blicken mit Furcht in die Zukunft“, so Grunst. Und dann, in ähnlich sentimentalem Tonfall weiter: „Sie sehen dem Kreuztod Christi mit Schrecken entgegen. Ein genauso vorhersehbarer Tod wird auch das Resultat des Klimakollaps sein.“

Jesus und der Klima-Tod. Es ist die bis dato wohl gewagteste Interpretation von Raffaels geheimnisvoller Gottesmutter, die dieser ursprünglich einmal für die Klosterkirche San Sisto in Piacenza geschaffen hatte und die dann später durch August II. nach Dresden gelangte. Als wäre der verhangene Wolkenhimmel über Maria und dem Kind eben nicht Zeichen von Epiphanie und Offenbarung des Göttlichen, sondern einfach nur die früheste Niederkunft von Schmauch und Smog der modernen Klimahölle. 

Aber mal ehrlich: Es geht diesen Aktivisten ja auch nicht um konkrete Kunst. Es geht um eine sinnentleerte Geste. Wie die Engel der Sixitna können sich die Selbstklebe-Aktivisten problemlos aus ihren Kontexten herauslösen, um im nächsten Moment auf Kaffeetassen, Postkarten oder eben Botticelli- und Cranach-Gemälden wieder aufzutauchen. Das Religiöse ist hier allenfalls Vehikel für das eigene Ego. Die Heilsbotschaft der letzten Generation ist eben sehr profan. Es geht nicht um Kunst und es geht nicht um Klima. Es geht um das Ich, dass sich mit dem Erlöster in einem Bild vereinigt. 

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