Desaströse Spargelsaison - Deutschen Spargel essen – gerade jetzt

Auch unser Genusskolumnist muss abwägen, was er sich angesichts der galoppierenden Inflation noch leisten kann und was nicht. Aber er hält es für den falschen Weg, gerade auf saisonale Genüsse wie Spargel und Erdbeeren aus Deutschland komplett zu verzichten.

Auch die Beelitzer Spargelkönigin Joelina Jakobs, Tochter des Spargelvereinsvorsitzenden Jürgen Jakobs, kann die Umsatzeinbrüche nicht verhindern / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Stell dir vor, es ist Spargelzeit – und keiner kauft das saisonale Edelgemüse. Ganz so schlimm ist es nicht, aber schon jetzt zeichnen sich für diese Saison, die Mitte April begann und traditionell am Johannistag, dem 24. Juni, endet, teilweise dramatische Umsatzeinbrüche ab. In einigen Regionen ist bereits von einer „katastrophalen Saison“ die Rede. Viele Spargelbauern haben die Bewirtschaftung von Teilen ihrer Felder für dieses Jahr bereits eingestellt, in einigen Betrieben betrifft das bis zu 50 Prozent der Anbaufläche.

Das Pfingstwochenende, seit jeher ein Höhepunkt der Spargelsaison, ist zum letzten Hoffnungsschimmer geworden, die Verluste wenigstens etwas minimieren zu können. Doch bereits jetzt ist absehbar, dass der diesjährige Einbruch für eine nachhaltige Zäsur in der Branche sorgen könnte. Spargelbauer Jürgen Jakobs, Vorsitzender des Beelitzer Spargelvereins, rechnet damit, dass von den in Brandenburg bislang mit Spargel bewirtschafteten 3900 Hektar mittelfristig nur 2500 Hektar übrig bleiben könnten. Eine Reihe von Betrieben plant nach seinen Angaben den Umstieg auf andere Kulturen wie Getreide oder erwägt den Bau von Solaranlagen auf den Flächen, schreibt das Agrarmagazin Proplanta. Aus anderen Bundesländern kommen ähnliche Berichte.

Erst die Corona-Krise, jetzt Krieg und Inflation

Aber wie konnte das passieren? Denn die Erwartungen an diese Saison waren sehr groß. Die beiden vergangenen Jahre waren von der Corona-Pandemie geprägt, die dramatische Auswirkungen auch auf die Spargelwirtschaft hatte. Zum einen gab es zeitweise Probleme mit den Corona-Restriktionen bei der Einreise ost- und südosteuropäischer Erntehelfer, und alle Versuche, dies durch deutsche Erntehelfer zu kompensieren, scheiterten kläglich. Aber auch die Lockdownphasen in der Gastronomie drückten den Absatz. Alles deutete für dieses Jahr auf einen „Nachholeffekt“ hin. Nach den Corona-Jahren sei man „entsprechend optimistisch gestartet“, sagt Jakobs. Und man hatte auch gehofft, das Preisniveau zumindest halten zu können. In den ersten Wochen der Saison wurde auch versucht, moderate Preiserhöhungen durchzusetzen, denn die Kosten der Betriebe sind deutlich gestiegen. Das betrifft zum einen die Lohnkosten und dabei vor allem die höheren gesetzlichen Mindestlöhne. Aber durch die schnell steigenden Energiepreise sind auch die Kosten für Lagerlogistik und Transport nahezu explodiert.

Spargel zu Schleuderpreisen

Doch das funktionierte in den meisten Fällen überhaupt nicht. Doch auch als sich die Spargelpreise bei den Direktvermarktern nach zwei bis drei Wochen wieder auf das Normalmaß von 12 bis 13 Euro pro Kilo für die besten Qualitäten einpendelten und die Basisqualitäten für unter 10 Euro erhältlich waren, wurde es kaum besser. Denn viele große Spargelbauern, auch der Beelitzer Jakobs, mussten ihre im Direktvertrieb unverkäuflichen Übermengen zu Schleuderpreisen an Großhändler und Lebensmittelketten abgeben, wo deutscher Spargel der beiden besten Güteklassen inzwischen mitunter für 5 bis 7 Euro pro Kilo erhältlich ist, so billig wie lange nicht mehr. Der ist dann allerdings nicht mehr so frisch wie die direkt vermarkteten Stangen. Doch selbst bei diesen Preisen läuft es nicht wirklich rund. Denn die Importe von Billigspargel, vor allem aus Griechenland und Spanien, sind deutlich gestiegen. Diese Produkte können zwar in puncto Qualität mit frischem deutschem Spargel in keiner Weise mithalten, aber sie sind noch billiger. Und das läuft gut, daher haben viele Einzelhändler ihr Spargelangebot neu sortiert und ordern weniger deutschen Spargel. Das ist ein neues Phänomen, denn bislang trat die südeuropäische Konkurrenz vor allem vor und nach der deutschen Spargelsaison auf den Plan. Auch – qualitativ oftmals recht guter – polnischer Spargel drängt besonders in grenznahen Regionen verstärkt auf den Markt.

Verbraucher sind nicht in Kauflaune   

Bei der Suche nach den Gründen für diese Entwicklungen sind sich alle Beobachter einig: Es sind die rasant steigenden Lebenshaltungskosten, besonders für Energie und Kraftstoffe, aber auch für Lebensmittel, bis weit in die Grundversorgung. Wenn die Preise für Brot, Butter, Käse, Obst, Speiseöl u.a. explodieren, muss eben am „Luxus“ gespart werden, auch wenn dieser wie beim Spargel gar nicht teurer geworden ist oder die Preise sogar sinken. „Die Verbraucherstimmung ist momentan auf einem Rekordtief“, berichtet Phillip Haverkamp vom Handelsverband Berlin Brandenburg in den ARD-Tagesthemen. „Das liegt einfach daran, dass wir nicht nur Krise an Krise haben, sondern mehrere parallel laufende Krisen.“

Und die nächste Absatzkrise für die saisonale Landwirtschaft ist bereits im Anmarsch. Die Erdbeersaison hat gerade erst begonnen, doch auch hier deuten sich bereits deutliche Umsatzrückgänge bei gleichzeitig steigenden Kosten und eine verstärkte Hinwendung der Verbraucher zu billiger Importware an.

Ein bisschen Genuss in harten Zeiten

Guter Rat ist teuer. Die nicht nur, aber in starkem Maße kriegs- und sanktionsgetriebene Inflation frisst sich massiv durch alle Teile der Wirtschaft und tief in die private Haushaltsführung hinein. Ausmaß und Folgen sind noch gar nicht absehbar, und zu Optimismus besteht leider sehr wenig Anlass. Aber gerade in solchen Zeiten gilt: Genuss ist Notwehr! Gönnen Sie sich auch in diesem Jahr mal frischen deutschen Spargel der besten Güteklasse, am besten mit der in dieser Kolumne vor gut zwei Jahren empfohlenen Zubereitungsweise. Vielleicht seltener als sonst in der Saison, aber wenigstens ein- bis zweimal. Gönnen Sie sich auch mal frische deutsche Erdbeeren. Gönnen Sie sich in diesen trüben Zeiten einfach mal ein paar genussreiche Stunden – denn die sind wichtiger und kostbarer denn je.

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