Cochrane-Studie - Masken, Corona und Wahrscheinlichkeiten

Die Cochrane-Studie ergibt, dass der Nutzen von Gesichtsmasken unter Alltagsbedingungen gering bis nicht nachweisbar ist. Trotz des methodischen Niveaus der Publikation überwiegen in Deutschland die ablehnenden, relativierenden Kommentare. Und die wissenschaftliche Community reagiert mit keinem Wort.

Masken-Installation der Künsterlin Gabriele Zanoncelli beim Licht-Festival Murten, Schweiz / dpa
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Autoreninfo

Professor Dr. med. Matthias Schrappe ist Internist und war Vorstandvorsitzender der Universitäts-Klinik Marburg, Dekan und wiss. Geschäftsführer der Univ. Witten/Herdecke, Generalbevollmächtigter der Frankfurter Universitäts-Klinik, Dir. Institut Patientensicherheit Universität Bonn (in den Jahren 2002 bis 2011).

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Auch in diesem Jahr machen sich wieder Karnevals-Flüchtlinge trotz Kerosin-Scham in der verrückten Jahreszeit aus dem Staub. Trotz der Tatsache, dass die Fluglinie Take-Away-Bay (TAB) vor zwei Tagen einen schweren Unfall zu melden hatte, und dies obwohl die sicherste Fluglinie der Welt noch nie einen Crash zu verzeichnen hatte. Luftlöcher schon, deshalb lag das Risiko für einen Unfalltod für einen Flugpassagier nicht bei 0, sondern bei 1:2.000.000 Fluggästen. Unfassbar, erhöhte sich das Risiko, bei einem TAB-Flug ums Leben zu kommen, nach dem Unfall doch um das Doppelte, nämlich auf 1:1.000.000 Fluggäste!

Diese Erhöhung um 100% machte es vielen Fluggästen schwer, sich nochmals für einen Flug mit dieser Linie zu entscheiden. Aber nicht so Ihnen, lieber Leser, liebe Leserin, denn Sie können ganz kühl abschätzen: Das Risiko ist in jedem Fall so gering, dass Sie getrost nach Away-Bay fliegen können.

Ihnen gebührt im übrigen auch die Bescheinigung für das erfolgreiche Bestehen der ersten Stunde des universitären Kurses in Infektionsepidemiologie, denn Sie haben verstanden (intuitiv, das ist besonders wertvoll), welchen Unterschied es macht, ob Sie relative Risiken beschreiben (doppelt so hoch!) oder ob Sie sich überlegen, welches Risiko Sie in absoluten Größen zu vergegenwärtigen haben: ein Todesfall auf eine Millionen Flüge. Nun ja.

Da wären wir beim Cochrane-Review zur Wirksamkeit von Masken im Alltagsgebrauch, also auf der Straße, beim Joggen, beim Einkaufen, überhaupt im alltäglichen Leben. Der Witz dabei ist nämlich: Masken sind durchaus nicht wirkungslos. Sonst hätte der Autor dieser (etwas ironischen) Zeilen nicht bei der Behandlung von HIV-Patienten oft eine Maske getragen. Und bei Patienten mit offener Tuberkulose, etc.

Nur in Hochrisiko-Bereichen sind Masken sinnvoll

Kleines Zahlenbeispiel? Wenn ich in einem Hochrisiko-Bereich, also z.B. während der Corona-Epidemie, auf einer Intensivstation mit häufiger Intubation von Sars-CoV2-infizierten Patienten das Risiko hätte, mich ohne Maske an einem Arbeitstag mit einem Risiko von 10% anzustecken, dann würde nach einem Tag von zehn Kollegen ein Kollege infiziert worden sein. Mit Maske würden es aber nur „0,2 Kollegen“ sein; bisschen schwierig, sich vorzustellen, weil niemand mit einem „0,2 Kollegen“ gerne zusammenarbeitet.

Interessant ist aber die Reduktion des Risikos, nämlich um „0,8 Kollegen“, oder weil auch das schwer vorstellbar erscheint: 12,5 von uns müssten einen Tag arbeiten, dann wäre durch die Maske „ein ganzer“ Kollege vor einer Infektion bewahrt. Das ist ein guter Grund für die Maske, klare Sache, bei einem solchen Verhältnis von 12,5:1 nimmt jeder eine Maske, und das gehört ja auch ohne Zweifel zum professionellen Selbstverständnis.

Nun aber zum einstündigen Supermarktbesuch, oder zur vierstündigen ICE-Fahrt Köln-Berlin (gab ja mal Zeiten, wo das in vier Stunden klappte). Wir haben im Verlauf der Pandemie keine Supermarkt-Cluster (Herde) gesehen, und untersucht haben wir es auch nicht, denn wir waren ja mit „Maßnahmen“ beschäftigt. Vor-Ort-Studien – dazu hatten wir keine Zeit, und die Politiker kein Interesse. ICE-Cluster haben wir auch nicht gehabt, hat aber auch keiner hingeschaut, vor lauter Pressekonferenzen hatten wir auch hierzu keine Zeit. Jetzt bedienen wir uns also einer Schätzung: Eine Stunde Supermarkt und vier Stunden ICE Köln-Berlin ohne Maske bringen ein Risiko von 1:1000 für eine Infektion mit sich. Ohne Maske!

 

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Protest! Woher wissen Sie das? Stimmt, der Autor weiß es nicht, darum haben wir uns nämlich nicht gekümmert – aber er wagt eine Schätzung. Es ist nämlich eine Überschlagsrechnung, die der Beantwortung der Frage dient, warum vielleicht in dem Cochrane-Review (das sind Spitzen-Professionals) keine Wirksamkeit des Maskentragens im Alltag herausgekommen ist.

Wenn also in unserem Supermarkt oder ICE das Risiko bei 1:1000 liegt, dann käme bei 1000 „Besuchen“ genau eine Infektion zustande. Nähmen wir allerdings eine Maske mit einer Wirksamkeit von 80% in Gebrauch, dann sähen wir nur 0,2 Infektionen, 0,8 Infektionen wären verhindert. Da das wiederum schlecht vorstellbar erscheint, ist es sinnvoller, von 1250 „Besuchern“ zu sprechen, die durch das Maskentragen eine Infektion verhindern würden.

1.250.000 Besucher müssten eine Maske tragen

Allerdings würde diese „eine Person“ ja nun nicht sofort tot umfallen, sondern würde vielleicht gar nicht krank werden, nur ein bisschen krank werden, richtig krank werden, ins Krankenhaus gehen müssen oder – furchtbar – sogar sterben. Unter den derzeitigen Verhältnissen wären die Zahlen: 1% Krankenhaus, 0,1% tödlicher Verlauf. Von unseren 1250 „Besuchern“ würden also 0,001 (1 Promille von 1) sterben, oder anders gesagt: 1.250.000 „Besucher“ müssten eine Maske tragen, um einen Todesfall an Corona zu verhindern (125.000, um eine Krankenhausaufnahme zu verhindern).

Unter den Vor-Omikron-Varianten lagen die Werte maximal um den Faktor 5 höher, sicher. Aber der entscheidende Punkt besteht darin, und bitte nochmal am Schluss des Artikels alle Aufmerksamkeit darauf richten: Um eine Studie zu machen, die signifikant nachweisen würde, dass bei solch geringen Unterschieden wirklich eine Differenz zwischen „ohne Maske“ und „mit Maske“ vorhanden ist, bräuchte man Millionen von Studienteilnehmern.

Das donnernde Schweigen der Community

Nehmen wir die verhinderte Krankenhausaufnahme: Ein Krankenhausfall auf 125.000 Maskenträger gegenüber zwei oder drei oder vier bei Nicht-Maskenträgern? Das wird schwierig bis unmöglich, die Signifikanzprüfung in Studien ist unerbittlich, solche Unterschiede sind vom Zufall nicht abzugrenzen. Der Autor schätzt, man würde mehrere Millionen von „Besuchern“ untersuchen müssen, um einen relevanten Unterschied feststellen zu können (falls er denn da ist).

Das ist des Rätsels Lösung des Cochrane-Reviews, das ist alles. Unter Alltagsbedingungen (Supermarkt oder ICE) kann eine Studie unter normalen Bedingungen und mit normalen Teilnehmerzahlen kaum einen Unterschied zeigen, obwohl dieser vielleicht da ist. Aber das heißt auch: Solche geringen Unterschiede sind weitgehend irrelevant.

Steigen Sie also ruhig ins Flugzeug, steigen Sie ruhig ein bei Take-Away-Bay. Ihnen wird mit aller Wahrscheinlichkeit (sic) ein guter Urlaub in Away-Bay gegönnt sein. Nochmals: Sie haben kein Null-Risiko, Sie haben aber ein sehr geringes Risiko, aber das wissen Sie selbst. Fahren Sie zu, aber das geht natürlich nur ohne Kerosin-Scham. Was allerdings das donnernde Schweigen der Scientific Community bei der Interpretation des Cochrane-Reviews angeht, darüber unterhalten wir uns ein anderes Mal.

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