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(picture alliance) Teile der einzigen Kopie einer 35mm-Filmrolle zu Charlie Chaplins Film "Zapped"

Schluss mit Gerüchten - Charlie Chaplin und die Deutschen

Der Filmhistoriker Norbert Aping räumt mit Gerüchten und Charlie Chaplins Erfolg in Deutschland und sein Verhältnis zu den Deutschen auf

«Kein Parlamentarier ist der berühmteste Mann der Welt», schrieb Kurt Tucholsky 1922, «kein Politiker, weder Wilson noch Poincaré – kein Erfinder ist es, kein Tenor, kein Flugzeugführer. Der berühmteste Mensch ist zweifellos Herr Charlie Chaplin, über den alle einmal gelacht haben: die Pariser und die Londoner, alle Amerikaner und die australischen Matrosen, die Besucher der chinesischen Kinos und neuerdings auch die Deutschen, der alte Kontinent und der neue – und dass der Mars noch nicht über ihn gelacht hat, liegt nur an der mangelhaften Verbindung zu diesem kinolosen Möbel.»

Tatsächlich hatten die Deutschen in puncto Chaplin recht lange auf dem Mars gelebt. Erst 1921, sieben Jahre nach dem kometenhaften Aufstieg des genialen Komikers, erfasste auch ihr Land das Chaplinfieber. Schuld an der Verspätung war freilich keineswegs, wie vielfach in der Chaplin-Literatur zu lesen, Ärger über die Kriegssatire «Gewehr über», sondern schlicht eine Einfuhrbeschränkung für amerikanische Filme. Gerüchte wie dieses widerlegt Norbert Apings akribische Studie «Liberty Shtunk!» gleich reihenweise.

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Alle, so schien es, liebten seit seinem ersten Auftauchen auf deutschen Leinwänden den kleinen Tramp. Nur nicht die Anhänger eines anderen Schnurrbartträgers. Die Nazis hassten Chaplin schon lange bevor er Hitler mit «Der große Diktator» den treffendsten aller Spiegel vorhielt – den der Lächerlichkeit.

Doch wie beharrlich und ausdauernd gegen ihn gehetzt wurde, war völlig unbekannt. Bis ins Jahr 1923 verfolgt der Filmhistoriker Norbert Aping die publizistischen Attacken gegen den philanthropischen Filmschöpfer zurück. Typisch ist eine Hasstirade, die Julius Streicher 1925 in seiner Zeitschrift «Der Stürmer» verfaste: «Charlie Chaplin ist Jude. (…) Ein Mensch, der abnorm gestaltet, sich immer zigeunernd und stehlend durch das Leben schwindelt, ist für den Deutschen etwas unendlich Abstoßendes.» Als der Propagandfilm «Der ewige Jude» 1940 auch gegen den vermeintlichen Juden Chaplin hetzte, waren seine Filme längst verboten.

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Diese Fehlinformation über Chap­lins Judentum kolportierten nicht nur seine Gegner. Einer der interessantesten Funde des Bandes ist Walter Hasenclevers hymnische zeitgenössische «Goldrausch»-Besprechung: «Jeder wirkliche Ruhm hat eine tiefe Berechtigung», erklärt der jüdische Schriftsteller Chaplins Leinwandpersona, «Chaplin kommt aus dem Ghetto. Nirgends verleugnet er diesen Ursprung. Er trägt die Symbole mit sich. Er ist der ewige Jude. Daher seine ungeheure Popularität; er verkörpert einen Typus, den wir alle kennen, weil etwas von ihm in uns allen ist.»

Chaplin selbst hatte das Gerücht über seine Religionszugehörigkeit bereits 1922 in seinem autobiografischen Buch «My Trip Abroad» voller Respekt zurechtgerückt, als er die Begegnung mit einem jüdischen Mädchen schilderte, das ihn fragte, ob er Jude sei. «Nein, ich bin kein Jude, aber ich habe bestimmt einen Tropfen davon in meinem Blut. Ich hoffe es wenigstens.» Später weigerte sich Chaplin aber, öffentlich zu dementieren Jude zu sein, um nicht den Nationalsozialisten in die Hände zu spielen. Stattdessen spielte er die Doppelrolle eines jüdischen Friseurs und des deutschen Führers im erfolgreichsten und wohl großartigsten aller Anti-Nazi-Filme, «Der große Diktator».

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Mit einer umfassenden Würdigung dieses Films und seiner Rezeption in der deutschen Presse beginnt der Autor seine mitreißende Spurensuche. Erstaunlich genug, dass die NS-Filmpresse das amerikanische Kinoereignis nicht einfach totschwieg. Stattdessen ereiferte man sich in Falschmeldungen über dessen angeblichen Misserfolg. Als gegen den Film in den USA eine – letztlich erfolglose – Plagiatsklage erhoben wurde, reagierte die amerikanische Presse nicht: Dann hätte man auch über Adolf Hitler berichten müssen, und das verbot sich in diesem Kontext.Ob Hitler den Film selbst gesehen hat?

Norbert Aping, der eigentlich als Amtsrichter arbeitet, forscht auch hier in alle Richtungen. Tatsächlich besaß das Reichsfilmarchiv eine Kopie, die auch von mehreren ranghohen Nationalsozialisten gesichtet wurde. Doch ob Hitler dazu zählte, und wie er in diesem Fall reagierte, bleibt im Dunkeln. «Er hatte keinen Sinn für Groteskfilme, wie ich sie damals liebte, etwa Charlie Chaplin und Buster Keaton», schrieb später sein Leibarchitekt und Rüstungsminister Albert Speer und fügte an anderer Stelle hinzu: «Er lachte gern, doch immer auf Kosten anderer.».
 

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