Buß- und Bettag - Nachdenken über Fremdenhass?

Am kommenden Mittwoch ist Buß- und Bettag. Der Feiertag der Saison! Denn eingeführt wurden solche Tage in Zeiten der Krise, um die Menschen zu Einkehr und Besinnung zu rufen. Doch die Evangelische Kirche verbiegt ihre eigene Botschaft.

Am Mittwoch ist Buß- und Bettag. Eigentlich ein Tag der Einkehr und Selbstbesinnung / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Insbesondere die Buße passt so gar nicht in das Selbstbild des modernen Menschen. Denn mit Buße meinte Jesus von Nazareth tatsächlich die Sinnesänderung, die Umkehr. Und die dachte er durchaus radikal. Gemeint war nicht, ein wenig über das eigene Leben nachzudenken, über eigene Verfehlungen oder Möglichkeiten der Selbstoptimierung, sondern eine radikale Neubesinnung.

Buße tun im Sinne Jesu bedeutet, sein Leben in Demut ganz auf Gott auszurichten. In einer Gesellschaft jedoch, in der Narzissmus und Hedonismus zur selbstverständlichen Alltagskultur gehören, ist das eine denkbar sperrige und unangenehme Botschaft. Denn im Angesicht der Krise fordert der Mensch unserer Moderne keine Umkehr, sondern ein Weiter so. Statt Verzicht und stiller Selbstbetrachtung pocht er auf soziale Ausgleichszahlungen und sein Recht auf Spaß und Freizeit. So ändern sich die Zeiten.

Im Kapitalismus wird Buße eliminiert 

Aber warum ändern sich die Zeiten eigentlich? Weshalb büßen wir nicht mehr? Die Antwort finden wir an prominenter Stelle bei Karl Marx: „Die Produktionsweise des materiellen Lebens“, heißt es im Vorwort zur Kritik der Politischen Ökonomie, „bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt. Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“

In einer kapitalistischen Gesellschaft aber ist Buße und Einkehr das Letzte, was gefragt ist. Der Büßer ist ein schlechter Konsument und ein noch schlechterer Marktteilnehmer. Unter den Bedingungen kapitalistischer Produktionsverhältnisse werden religionskulturelle Institutionen wie die Buße daher bedingungslos eliminiert. „Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige entweiht“, heißt es im Kommunistischen Manifest, „und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitige Beziehung mit nüchternen Augen zu sehen.“

Buße ist keine Ablasshandlung: Demut gegen Gnade 

Und nüchtern betrachtet, bringt Buße natürlich wenig. Wer sollte uns hören? Wer unsere Demut belohnen? Doch der Buß- und Bettag ist ein evangelischer Feiertag. Nach lutherischer Vorstellung aber ist die Buße kein Ablasshandel von der Sorte Demut gegen Gnade. Aus protestantischer Perspektive ist die Buße vielmehr der erste Schritt zum Glauben. Deshalb bezieht sich das erste Jesus-Wort im Neuen Testament auf genau diesen Punkt (Mk 1,14).

Aber auch aus einer säkularen Sicht bleibt die Botschaft zentral: Einkehr und Selbstbesinnung sollen keinen Nutzen bringen, nicht verwertbar sein oder die Gesellschaft verbessern. Vielmehr soll der Einzelne sich ganz auf sich selbst besinnen und sich frei machen von den Verstrickungen und Ideologien der Welt. Dass die EKD es schafft, die Idee der Buße zu einem Sinnieren über soziale Fragen umzudeuten, überrascht kaum.

Die Evangelische Kirche verbiegt ihre eigene Botschaft 

Im üblichen Sozialarbeiterjargon heißt es auf der offiziellen Homepage zum Buß- und Bettag: „Der Gedenktag dient dem Nachdenken über individuelle und gesellschaftliche Irrtümer wie beispielsweise Fremdenhass, Umweltzerstörung und die Ausgrenzung von Armen und Obdachlosen.“ Nein, dazu dient der Buß- und Bettag wirklich nicht und dafür war er auch nie gedacht.

Warum aber kommt eine Kirche dazu, ihre eigene Botschaft dermaßen zu verbiegen? Erinnern wir uns an Marx: Die Produktionsweise bestimmt den geistigen Lebensprozess. Und tatsächlich: Es gibt kaum ein Phänomen, an dem man die Stimmigkeit der Marx'schen These besser belegen kann, als an dem Umgang der EKD mit ihrer eigenen Lehre.

Buße ist keine systemkonforme Sozialkritik 

Denn die sozialpolitische Verballhornung der Buße fügt sich ganz ausgezeichnet in die Logik eines globalisierten Kapitalismus. Indem wir brav über Fremdenhass, Ausgrenzung und Umweltzerstörung räsonieren und die Schuld dafür im Netz, bei Populisten und Abgehängten suchen, entlasten wir das wirtschaftliche System, das diese Verwerfungen erst erzeugt.

Doch die revolutionäre Kraft der Buße liegt nicht in systemkonformer Sozialkritik, sondern in der Aufforderung, sich der Verwertungslogik dieser Gesellschaft radikal zu entziehen. Nicht um Wohlfahrt geht es und um gesamtgesellschaftlichen Nutzen, sondern um Selbstbesinnung im ernstesten Sinne des Wortes. Aber das ist der EKD wahrscheinlich zu radikal gedacht.

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