Ein Loblied auf die Lehrerinnen - Frauen machen Schule

Weibliche Lehrkräfte sind inzwischen an allen Schulformen in der Mehrheit. Sie haben ihre Vormachtstellung aus eigener Leistung erreicht. Eine Quote hatten sie nicht nötig. Weibliche Fähigkeiten wie kommunikative Kompetenz und Empathie sind in der modernen Unterrichtskultur von Vorteil.

Nicht selten sind Frauen die einfühlsameren und sensibleren Lehrer / picture alliance
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Autoreninfo

Rainer Werner unterrichtete an einem Berliner Gymnasium Deutsch und Geschichte. Er verfasste das Buch „Fluch des Erfolgs. Wie das Gymnasium zur ,Gesamtschule light‘ mutiert“.

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In Deutschland wird die Gleichheit von Mann und Frau im Grundgesetz garantiert. Benachteiligungen gibt es noch im Alltag, z.B. in der beruflichen Entlohnung und bei der Besetzung von Führungspositionen in Staat und Wirtschaft. In den letzten Jahren haben die Frauen auch hier aufgeholt. 

Einige Parteien haben für die Besetzung von Parteiämtern Frauenquoten erlassen. Initiativen, die Frauen auch bei der Mandatsvergabe für die deutschen Parlamente den Männern gleichstellen sollen, sind bislang an Gerichten gescheitert. Bei Frauen sind Quoten nicht unumstritten. Selbstbewusste Frauen verbinden die Quote mit einem Makel, weil er den Frauen, die es „nach oben schaffen“, das Etikett anhängt, sie seien ja nur eine Quotenfrau. 

Längst in der Mehrheit

Frauen, die den Lehrberuf ergreifen wollten, hatten eine Frauenquote noch nie nötig. Sie sind auch so erfolgreich. 2018 eroberten sie aus eigener Leistung die letzte Männerbastion: das Gymnasium. Auch dort bilden sie inzwischen in den Lehrerkollegien mit 61,5 Prozent die Mehrheit, wie es schon in den anderen Schulformen seit längerem der Fall ist.

Die Zahlen des Statistischen Bundesamts sprechen für sich: Fast drei Viertel der deutschen Lehrkräfte (73,4 Prozent) waren im Schuljahr 2021/2020 weiblich – deutlich mehr als fünfzehn Jahre zuvor (67 Prozent). In den Grundschulen bilden die Männer eine seltene Spezies, weil die Frauen mit 88,5 Prozent Anteil dominieren. Zum Vergleich der Frauenanteil in Politik und Wirtschaft: Im aktuellen Deutschen Bundestag sitzen 34,8 Prozent Frauen, in den Vorständen der 100 größten Unternehmen gerade einmal 16,4 Prozent. 

Wie muss man sich den hohen Frauenanteil im Lehrberuf erklären? Die landläufige Meinung dazu lautet: Frauen erziehen in der Regel ihre eigenen Kinder, dann kann der Umgang mit fremden Kindern auch nicht so schwer sein. Auch beamtenrechtliche Gründe werden bemüht: Das flexible Dienstrecht für Lehrkräfte mache es viel leichter als die starren Tarifverträge in Industrie und Verwaltung, die Arbeitszeit zu reduzieren, ja für einige Jahre den Dienst ganz zu unterbrechen, ohne Gefahr zu laufen, anschließend nicht mehr an die Arbeitsstelle zurückkehren zu können. All diese Erklärungen blenden, so richtig sie sein mögen, den eigentlichen Grund für die Erfolge von Frauen im Lehrberuf aus: Sie kommen in diesem Beruf einfach gut zurecht.

Weibliche Fähigkeiten in der modernen Unterrichtskultur gefragt

Kernqualifikation einer erfolgreichen Lehrkraft ist die kommunikative Kompetenz. Eine Unterrichtsstunde ist eine fragile Angelegenheit. Der innere Friede im Klassenzimmer   ist stets durch Disziplinlosigkeit und Lernunlust bedroht, er muss immer wieder aufs Neue austariert werden. Die Lehrkraft muss verbal ständig reagieren, muss kommentieren, beschwichtigen, ermahnen, ermuntern, verbieten, erlauben. Dabei soll sie souverän sein, aber auch witzig; durchsetzungsstark, aber auch tolerant; mit natürlicher Autorität ausgestattet, aber auch versöhnlich und milde; gerecht, aber auch in der Lage, „Gnade vor Recht“ ergehen zu lassen. All diese Qualitäten muss sie ständig, auch in brenzligen Situationen „abrufen“. Dieses emotionale „Multitasking" beherrschen Frauen sehr gut. 

Unterricht ist heute nicht mehr nur das problemlose Vermitteln von Lernstoff, wie es frühere Generationen noch erlebt haben. Eine Unterrichtsstunde hat heute etwas von einem Zirkusakt, live. Die Lehrkraft muss sich gerieren wie ein Talkmaster. Sie soll unterhaltsam sein, aber auch „das Heft in der Hand“ haben. Denn Schüler mögen keine schwachen Lehrer, die sich auf der Nase herumtanzen lassen. Eine Schulklasse kann unbarmherzig sein und einem Lehrer, der „sich nicht durchsetzen kann“ – ein Urteil, das Schüler häufig über schwache Lehrer fällen – den Spaß an seinem Beruf verderben.  

Ich habe beobachtet, dass sich männliche Lehrkräfte gerne mit kräftigen Ansagen oder gar Drohungen Respekt verschaffen, während Frauen versuchen, eine emotionale Brücke zu den Schülern zu bauen. Das versöhnliche (weibliche) Vorgehen ist dem konfrontativen (männlichen) überlegen, weil es dazu angetan ist, die Akzeptanz der Klasse auf Dauer zu sichern, während das Auf-die-Pauke-Hauen nur kurzfristig Disziplin erzeugt. 

Mit Einfühlungsvermögen zum Erfolg 

Der Lehrer braucht, um tagein, tagaus erfolgreich seinen Mann oder seine Frau zu stehen, permanente intellektuelle Präsenz und emotionale Ausgeglichenheit. Eine Schulklasse funktioniert ähnlich wie Wikipedia nach dem Prinzip der Schwarm-Intelligenz. Sie fordert den Lehrer ständig dadurch heraus, dass sie sich immer wieder neue Tricks einfallen lässt, um sich das Schülerleben zu erleichtern oder durch die Maschen der schulischen Ordnung zu schlüpfen.

Der Lehrer muss aus seiner Minderheitsposition heraus ständig „nachrüsten“, um den Vorsprung der Mehrheit, der Klasse, auszugleichen. Dies verlangt ein waches Auge. Die Binnenprozesse in einer Klasse zu erkennen und richtig zu bewerten, erfordert ein hohes Maß an emotionaler Intelligenz und ein gutes Einfühlungsvermögen in das Denken und Fühlen von Jugendlichen. 

 

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Frühere Lehrergenerationen haben von der seelischen Befindlichkeit ihrer „Zöglinge“ keine Notiz genommen. Sie haben es als ihre Aufgabe begriffen, Latein zu unterrichten oder Mathematik, nicht aber das Seelenleben ihrer Schüler zu erforschen. Diese hatten zu funktionieren, bei Strafe der Nichtversetzung oder des Abgangs an eine leichtere Schule.

Damals verbargen Schüler ihre Emotionen vor dem Lehrer. Sie zu zeigen galt als Schwäche, die man sich angesichts der Hackordnung in der Klasse nicht eingestehen wollte. Heute hingegen offenbaren Schüler mit großer Offenheit ihre Probleme, demonstrieren ihre Befindlichkeiten, äußern ihren Schmerz, aber auch ihre Freude – allzu oft ungehemmt. 

Dieser Mentalitätswandel stellt den Lehrer vor neue Herausforderungen. Der in der Gesellschaft zu beobachtende Verlust der Intimität hat auch vor den Klassenzimmern der Schulen nicht Halt gemacht. Es kann durchaus passieren, dass eine Schülerin mitten im Mathematikunterricht in Tränen ausbricht, weil sie soeben eine SMS erhalten hat, in der ihr Freund das Ende ihrer Beziehung mitteilt. Die Lehrkraft ist dann den Gefühlen dieser Schülerin direkt ausgesetzt. Sie muss mit Taktgefühl und Einfühlungsvermögen darauf eingehen, ohne sich den Emotionen der Schülerin auszuliefern und die Unterrichtsstunde zur Psychositzung umzufunktionieren. Frauen können das sehr gut, schneiden sie doch gerade bei der Messung der emotionalen Intelligenz (EQ) deutlich besser ab als Männer. 

Unterrichten heißt zugleich Erziehen

Unterrichten heißt heute immer auch Erziehen. Auf verlässlich und dauerhaft verinnerlichte zivilisierte Umgangsformen, die man vom Elternhaus her eigentlich erwarten sollte, kann man sich heute nicht mehr verlassen. Das Grüßen in der Schule ist weitgehend „abgeschafft“ oder wird völlig nachlässig gehandhabt. Der Umgangston untereinander und manchmal auch die Anrede des Lehrers sind rau, mitunter verletzend. Sich in Diskussionen zurückzunehmen, sich in einem Gespräch an Spielregeln zu halten, haben viele Schüler offensichtlich nicht gelernt. 

Viele Eltern geben im Gespräch offen zu, dass sie sich mit der Erziehung ihres Kindes „schwertun“, was oft eine freundliche Umschreibung dessen ist, dass sie vor dieser Aufgabe schon kapituliert haben. Viele Kinder haben heute keine Geschwister, sie wachsen als Einzelkind auf, haben nicht gelernt zu teilen, zurückzustecken und auch mal dem Bruder oder der Schwester den Vortritt zu lassen. In der Klasse glauben sie dann, sie könnten sich mit demselben berstenden Ego unter den 29 Klassenkameraden durchsetzen, wie sie das bei Vater, Mutter und Oma immer geschafft haben

Wenn sie es nicht lernen, sich im Klassenzimmer den Belangen der Gemeinschaft unterzuordnen, ist der Konflikt vorprogrammiert. Manche Eltern können sich mit der Rückmeldung, dass es sich bei ihrem Sprössling keinesfalls um Everybody´s Darling handelt, sondern um ein Ich-bezogenes, quengeliges Wesen, nur sehr schwer anfreunden.  Allzu oft geben sie dann dem Lehrer die Schuld, weil er nicht sensibel genug auf klein Max oder klein Lisa eingegangen ist

Geheimwaffe Humor

Nach meinen langjährigen Erfahrungen, auch in der Ausbildung von Referendaren, besitzen Frauen die hier beschriebenen Fähigkeiten in einem höheren Maße als Männer. Vor allem emotionale Intelligenz scheint ihnen in die Wiege gelegt worden zu sein, während Männer diese Fähigkeit in Ausbildung und Praxis oft mühsam erwerben müssen.

Viele Frauen verfügen zudem über die erzieherische „Geheimwaffe“: Humor. Ich habe einen Referendar erlebt, der einen Schüler, der beim Kippeln vom Stuhl fiel, mit einer deftigen Strafarbeit belegte und obendrein noch seine Eltern anrief. Mit dieser Härte brachte er die ganze Klasse gegen sich auf. Hätte er gesagt: „Na, Ronny, das musst du aber noch ein bisschen üben“, wären ihm die Herzen der Schüler zugeflogen.

Besser machte es eine junge Dame im Referendariat. Als eine Schülerin hysterisch aufkreischte, weil sich ihr eine Biene genähert hatte, fragte sie trocken: „Lea, habt ihr denn keine Haustiere?“ - Es gehört zur Aufgabe des Lehrers, bei solchen Zwischenfällen zu erkennen, ob sie sich mit humorvoller Gelassenheit bewältigen lassen oder ob man zu disziplinarischen Maßnahmen greifen muss. Diese Gradwanderung wird man am besten bewältigen können, wenn man über Einfühlungsvermögen und Taktgefühl verfügt. Deshalb sind diese „weichen“ Faktoren unverzichtbare Voraussetzungen für den Lehrerberuf. Über sie verfügen Frauen offensichtlich in einem hohen Maße, was sie für den Lehrberuf prädestiniert. 

Auch in der Wirtschaft erfolgreich

Wirtschaftsforscher haben herausgefunden, dass die Firmen, die von Frauen geführt werden, weniger oft bankrottgehen und dass sie eine höhere Rendite abwerfen als von Männern geführte Unternehmen. Frauen handeln in Konfliktsituationen nämlich weniger konfrontativ, sondern suchen Auswege, die auch dem Gegner gestatten, das Gesicht zu wahren. Das mindert anscheinend die Schadensbilanz. In der Entwicklungszusammenarbeit mit unterentwickelten Staaten hat sich gezeigt, dass die Vergabe von Mikrokrediten an Frauen ein probates Mittel ist, die Armut in den Elendsregionen zu lindern. Frauen wenden das Geld nützlich an, indem sie kleine Geschäfte gründen oder sich fortbilden, während Männer das Geld gerne verplempern – für Alkohol und Frauen. 

In der Schule habe ich über Jahrzehnte hinweg die pädagogische Arbeit von Lehrerinnen überaus schätzen gelernt. Mit Empathie und Taktgefühl haben sie Situationen entkrampft, in denen männliche Kollegen eher bereit gewesen wären, „den Strauß zu wagen“. Einem menschlichen Klima an der Schule war dies überaus zuträglich.

Wenn man diese Stärken der Frauen kennt, wundert es einen, weshalb die Katholische Kirche immer noch darauf verzichtet, ihnen die Priesterweihe zu gewähren. Sie lässt dadurch das große Potential, das in den Frauen schlummert, ungenutzt. „Frauen tragen die Hälfte des Himmels“ lautet ein chinesisches Sprichwort. Eine Kirche, die den Gläubigen nach dem Tod ein Leben im Himmel verheißt, sollte im Diesseits die „zweite Hälfte des Himmels“ nicht ignorieren. 

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