Bayer Leverkusen wird Fußballmeister - Es war einmal ein „Vizekusen“

Bayer 04 Leverkusen ist deutscher Fußballmeister. Ein Verein, für den sich außerhalb von Leverkusen lange kaum jemand interessierte, der nun aber Geschichte schreibt mit einer „Werkself“, aus der gerade etwas Großes wächst.

Fans von Bayer 04 Leverkusen feiern im Stadion / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Drei Platzstürme sind besser als einer, dachten sich die Fans von Bayer 04 Leverkusen, als der Verein am Sonntag das erste Mal in seiner Geschichte deutscher Fußballmeister wurde. Spieler und Trainer schafften es zwei Mal kurz vor Abpfiff, die Fans wieder zurück auf die Tribüne zu dirigieren, um einen Spielabbruch zu verhindern. Beim dritten Mal, nach Abpfiff, brachen dann alle Dämme. Fünf Tore gegen Bremen, gefolgt von schwarz-roter Euphorie. Wer hätte das gedacht?! 

Es war einmal der ewige Zweite, der ähnlich häufig den Beinamen „Vizekusen“ verpasst bekam wie der FC Bayern München „Rekordmeister“. Und was will man auch machen als „Werkself“ – noch so ein (eigentlich) wenig schmeichelhafter Begriff – wenn man über Jahrzehnte hinweg einer jener Vereine ist, die zwar einerseits fester Bestandteil der Fußballbundesliga sind, die man andererseits aber auch schonmal vergessen konnte, wenn man außerhalb von Leverkusen räsonierte und philosophierte in den Fußballkneipen dieses Landes.

Nur eine These

Bayer Leverkusen ist ein Verein, für den sich außerhalb von Leverkusen eigentlich niemand interessierte in den vergangenen Jahren. Leverkusen hat kein Büro in Asien oder Nordamerika – jedenfalls keines, von dem man wüsste – und es gibt wohl auch keine oder, sagen wir, vermutlich keine Leverkusen-Kneipe außerhalb von Leverkusen. In Fußballdeutschland werden meist andere Vereine unterstützt. Jene, die in den vergangenen Jahrzehnten die großen Erfolge feierten, Bayern eh, aber auch Borussia Dortmund oder Borussia Mönchengladbach. 

Kein Wunder also, dass es im Bayer-Lied „Wir stehen zu dir“ nicht heißt, der Verein sei die beste Mannschaft der Welt, sondern, dass sogar die eigenen Fans ein bisschen relativieren, indem noch ein „für uns“ dazukommt, wenn sie ihren Verein besingen. „Vizekusen“, das war bisher gelerntes „auch dabei“. Und plötzlich mischt ausgerechnet Bayer 04 Leverkusen die Fußballbundesliga auf – und liegt nach 29 Spielen bereits 16 Punkte und damit uneinholbar vor dem Zweitplatzierten der Tabelle, dem FC Bayern München. 

Die Rückennummer 10

Victor Boniface, Florian Wirtz, Alex Grimaldo, Jeremie Frimpong, Granit Xhaka, Lukas Hradecky: Das sind die Namen, die neben Trainer Xabi Alonso hauptverantwortlich sind für die erste deutsche Fußballmeisterschaft in der Geschichte des Vereins – und die oft nur kennt, wer sich regelmäßiger mit Fußball beschäftigt. Mindestens bei Wirtz, im Vereinstrikot trägt er die Rückennummer 10, dürfte sich das bei der anstehenden Fußballeuropameisterschaft aber ändern, nachdem er in den Kader der deutschen Nationalmannschaft berufen wurde. 
 

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Wahrscheinlich liegt aber genau hier eine der großen Stärken dieser „Werkself“, die keinen Superstar in ihren Reihen hat. Jedenfalls niemand, der bereits einer ist, aber durchaus solche, die noch welche werden könnten. Von Trainer Alonso freilich abgesehen. Das ist vor allem für den FC Bayern München bitter. Zwar hat Harry Kane, den die Münchner zum Saisonstart für 100 Millionen Euro holten, voll eingeschlagen (39 Tore in 38 Spielen), aber gereicht hat das trotzdem nicht, um Bayer wirklich gefährlich zu werden. Wenn der FC Bayern die meisten Tore schießt, ist das gut für die Münchner. Wenn Bayer im Gegenzug kein einziges Spiel verliert, ist das für Leverkusen noch viel besser. 

Der ewige Vize

Auch so kann man „Werkself“ seit Sonntag jetzt verstehen: als einen Kader, der hart arbeitet, um erfolgreich zu sein – mit Spielern, denen es in der laufenden Saison gelungen ist, immer mindestens einen Punkt zu holen. Zum Vergleich: Der FC Bayern ist in der Vorsaison mit fünf Niederlagen und 71 Punkten deutscher Fußballmeister geworden. Bayer Leverkusen hat jetzt schon 79 Punkte, während die Bayern mit derzeit 63 Punkten im Vergleich zur Vorsaison voll auf Meisterkurs wären – wäre da nicht der ewige Vize, der plötzlich keiner mehr ist. Vom Running Gag zum Fußballmeister. 

Daher mag den Bayern-Fans auch das Herz bluten angesichts der eigenen fußballerischen Fast-Meisterleistung, die überschattet wird von der fußballerischen Meisterleistung aus Leverkusen. Das ist das eine. Das andere ist – und das schreibt der Autor dieser Zeilen als Bayern-Fan: So ein Wachwechsel an der Spitze der Fußballbundesliga kann nur ein Gewinn sein für einen Sport, der in den vergangenen Jahren auf nationaler Ebene allzu oft allzu einseitig war. Am 25. Mai soll dann für Leverkusen noch der DFB-Pokal hinzukommen. Und eventuell reicht es sogar für den Europa Pokal. Das wäre dann das historisches Triple für den Verein. 

Da darf man sich – obwohl man den Verein beim Räsonieren und Philosophieren in der Fußballkneipe in den vergangenen Jahren oft vergessen hat – vielleicht auch ein bisschen freuen für diese Mannschaft, diese Fans und diesen Verein. Für die „Werkself“ und für Xabi Alonso, den man noch von früher kennt, als er für den FC Bayern spielte. Guter Typ, dieser Alonso. Erfolgreich obendrein. Und ein bisschen ein Zauberer auch, der den ewigen Fluch von Bayer Leverkusen gebrochen hat. „Vizekusen“ war einmal. 

Geld ist nicht alles

Spannend dürfte sein, wohin die weitere Reise für den Verein bald geht. Bleiben die Leistungsträger? Das ist die zentrale Frage. Oder wird aus Spanien oder England bereits zu fleißig mit ganz viel Geld gewunken? Erfolgstrainer Alonso scheint hier mit gutem Beispiel voranzugehen. Er hat, Stand heute, ausgeschlossen, den Verein zu verlassen, obwohl es mehr als genug Vereine gibt, die ihn gerne verpflichten würden. Man kann für Bayer 04 Leverkusen also nur hoffen, dass alle Beteiligten sehen, dass da gerade etwas ganz Großes wächst zwischen Köln und Düsseldorf. Aus sportlicher Sicht, versteht sich. Und dass man auch in Leverkusen weiß, dass Geld eben nicht alles ist. Selbst im Fußball. 
 

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