Ausstellung „Staatsbürgerschaften“ im DHM - Das Museum als politischer Feuilletonist

Das Konzept des Nationalstaats hatte von Anfang an zwei Gesichter: Demokratisierung und Teilhabe auf der einen Seite, Ausschluss und Ausgrenzung auf der anderen. Das Deutsche Historische Museum zeigt in seiner Sonderausstellung „Staatsbürgerschaften“ jedoch vor allem die problematischen Seiten und entwirft für die Zukunft eine Staatsbürgerschaft à la carte, die in Identitäten und Singularitäten zerfällt.

Ein Leben ohne Pass ist vorstellbar, aber ... / DHM/Eric Tschernow
Anzeige

Autoreninfo

Tilman Asmus Fischer studierte Geschichte, Kulturwissenschaft und evangelische Theologie. Er lebt und arbeitet als freier Journalist in Berlin. Die Themen seiner Arbeit verdanken sich einer sozialethischen Perspektive auf Politik und Zeitgeschehen.

So erreichen Sie Tilman Asmus Fischer:

Anzeige

Autoreninfo

Ting-Chia Wu studierte Bildende Kunst und Kunstwissenschaft in Neu Taipeh, Rouen und Paris. Er arbeitet als freischaffender Künstler und Autor in Berlin. Dabei stehen immer wieder Wechselbeziehungen zwischen Kunst und Gesellschaft im Fokus seiner Arbeit.

So erreichen Sie Ting-Chia Wu:

Anzeige

Nicht erst – aber verstärkt – seit der Flüchtlingskrise der Jahre 2015/2016 sind Fragen von Zuwanderung, Integration und gesellschaftlicher wie politischer Teilhabe Themen im öffentlichen Diskurs. Hiervon zeugt auch die neueste Sonderausstellung des Deutschen Historischen Museums, das in den vergangenen Jahren verstärkt Themen des politischen Feuilletons für sich entdeckt: „Staatsbürgerschaften. Frankreich, Polen, Deutschland seit 1789“. Mit der Staatsbürgerschaft nimmt es sich des Kristallisationspunkts unterschiedlichster Aspekte des „Dazugehörens“ an. Dabei freilich gelingt der Spagat zwischen einer historischen Schau und einem Beitrag zu Debatten des Jahres 2022 nur bedingt. Dies hat unterschiedliche Gründe.

Den unspektakulärsten, aber fundamentalsten Grund dürfte eine Schwäche darstellten, die für viele jüngere DHM-Ausstellungen charakteristisch ist: Die Fähigkeit, immer wieder eine Vielzahl spannender Exponate zusammenzutragen, kompensiert leider nur in bescheidenem Umfang die Defizite in deren Präsentation. Womöglich ist es ja auch die materielle Potenz, die zu einer gewissen konzeptionellen Nachlässigkeit verführt? Vieles steht disparat nebeneinander, ohne dass sich einem Besucher ohne spezielleres Vorwissen sämtliche zentralen Zusammenhänge erschließen würden. Oft muss man sich durch den – ursprünglich einmal für fakultative Vertiefungen gedachten – Audioguide lauschen, um Kontexte erschlossen zu bekommen, wie sie in originärer Weise durch Einführungstexte oder Exponat-Beschriftungen zu erhellen wären.

Entscheidender als die handwerklichen Versäumnisse sind jedoch die Konsequenzen, die aus dem Bias folgen, der die Ausstellung prägt. Dieser besteht darin, die Geschichte der Staatsbürgerschaft in vergleichsweise dunklen Farben zu malen, sodass ihre Gegenwart und Zukunft sich hiervon in nicht ungebrochenem, aber dennoch hellem Licht abheben. Wie jedoch der Historiker Dieter Langewiesche – am Beispiel des Zerfalls des Osmanischen und des Habsburgerreiches – gezeigt hatte, standen die Ideen von Nation und Nationalstaat im langen 19. Jahrhundert „für demokratische Selbstbestimmung im Staat und Chancengleichheit in einer möglichst homogenen Gesellschaft“, wobei letztes bereits ein „Intoleranzgebot“ bzw. einen „Aggressionswille[n] als die Kehrseite der Demokratieverheißung“ implizierte. Inklusive und exklusive Elemente halten sich also in der Geschichte des Nationalstaates, der das Konzept der Staatsbürgerschaft – als Instrument der Teilhabe wie der Ausgrenzung – hervorbrachte, die Waage. In der Ausstellung hingegen überwiegen in der historischen Darstellung die exklusiven Elemente, während der Staatsbürgerschaft mit Emphase eine inklusive Zukunft prophezeit wird.

Man vermisst einen Raum zu „Staatsbürgerschaft und demokratischer Teilhabe“

Gewiss: Im historischen Durchgang durch die – miteinander verwobenen – Geschichten der Entstehung, Konzeptionalisierung und Entwicklung von Staatsbürgerschaften in den Staaten des Weimarer Dreiecks kommt das Ineinander von National- und Demokratiebewegung durchaus zur Sprache. Unter den epochenübergeifenden Vertiefungen vermisst man jedoch etwa einen Raum zu „Staatsbürgerschaft und demokratischer Teilhabe“. Fokussiert wird hingegen – und dies für sich völlig sachgemäß – eine Geschichte des Ausschlusses: Präzise zeichnet die Ausstellung etwa nach, wie Frauen in der Teilhabe an staatsbürgerschaftlichen Rechten systematisch benachteiligt wurden und wie die Staatsbürgerschaft als Instrument der politischen – und zuletzt genozidalen – Verfolgung von Juden bedeutsam wurde. Daneben treten die Themenschwerpunkte „Kolonialismus und Rassismus“ sowie „Identifizierung, Aussonderung, Selektion“.

 

Das könnte Sie auch interessieren:

 

Am deutlichsten klingt der emanzipative Impetus, der sich ursprünglich mit der Staatsbürgerschaft verband, noch im Themenschwerpunkt „Staatsbürgerliche Bildung“ an. Jedoch wird dies sogleich dadurch eingeholt, dass die Staatsbürgerschaft als durch das Militär als „Schule der Nation“ in Geiselhaft genommen erscheint. Demgegenüber erstrahlt die Aufhebung bzw. Aussetzung der Wehrpflicht in Polen, Frankreich und Deutschland als Zerschlagung des gordischen Knotens. Die Konsequenzen dieses Narrativs für die Darstellung der Bundeswehr sind heikel: So erscheint das – der freiheitlich-demokratischen Grundordnung wie den Menschenrechten – verpflichtete Konzept der „Inneren Führung“ bzw. des „Staatsbürgers in Uniform“ als Fortsetzung unguter militaristischer Traditionen. Die frühen Jahre werden lediglich durch einen schneidigen Informationsfilm (die Sprecherstimme erinnert dezent an die Wochenschau) und ein Werk militärkritischer Plakatkunst repräsentiert. Dass hingegen die Vermittlung staatsbürgerlicher Werte innerhalb der Streitkräfte erst recht in der Spätphase der Wehrpflicht und in besonderer Weise seit Umstellung auf eine Berufsarmee problematisch wurde, klammert die Ausstellung aus.

Staatsbürgerschaft als Projektionsfläche individueller Bedürfnisse und Wünsche

Nach diesem Durchgang durch die Problemgeschichte der Staatsbürgerschaft tritt der Besucher in ihre Gegenwart ein. Das Licht, in das diese gestellt wird, ist wie gesagt nicht ungebrochen: Die Bürden des Staatsbürgerschaftserwerbs werden ebenso deutlich wie Auseinandersetzungen um die gesellschaftliche Akzeptanz von – vor allem deutschen – Staatsbürgern mit Migrationshintergrund. Dennoch überwiegt hier – in biografischen Interviews wie ausgestelltem Material staatlicher PR-Kampagnen – ein Narrativ, das die Zugehörigkeit in einem interkulturellen Gemeinwesen betont. Hervorzuheben ist die Sensibilität, welche die Kuratoren jenseits der politisch-administrativen Dimension von Staatsbürgerschaft an dieser Stelle für soziokulturelle Aspekte zeigen. Hier proklamiert die Ausstellung nicht nur Inklusivität, sondern erweist sich selbst als gelungen inklusiv. So kommen in erhellender Weise die lebensweltlichen Erfahrungen von Staatsbürgern mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und – abhängig von der jeweiligen Biographie – in sich vielfältigen Identitäten zur Sprache. Dabei wird deutlich, dass „Zugehörigkeit“ mehr als die formale Erteilung der Staatsbürgerschaft bedeutet: Was z.B. heißt es, als Staatsbürger anderer Hautfarbe oder Muttersprache zu leben und immer wieder in Situationen zu kommen, in denen man die Zugehörigkeit zum Staatsvolk begründen und verteidigen muss?

Freilich: Indem die Ausstellung sich abschließend darin versucht, den Blick von Geschichte und Gegenwart in die Zukunft zu weiten, wirft sie Fragen auf, die – abhängig vom Standpunkt – als Verheißung oder Problemanzeige verstanden werden können. Damit sich im Konzept Staatsbürgerschaft auch ja jeder wiederfinden kann, sind die Besucher am Ende eingeladen, auf einer Magnetwand „#meineidealestaatsbürgerschaft“ zusammenzustellen: also aus einem Pool möglicher Optionen, staatsbürgerliche Rechte und Pflichten – wohlgemerkt drei Rechte, aber nur zwei Pflichten – auszuwählen und zusammenzustellen. Die Staatsbürgerschaft – à la carte – scheint so für die Kuratoren gänzlich in der „Gesellschaft der Singularitäten“ angekommen zu sein. Jedoch: Wird eine Staatsbürgerschaft, die zur Projektionsfläche individueller Bedürfnisse und Wünsche geworden ist, jemals wieder eine gesamtgesellschaftliche Prägekraft entwickeln können, wie dies in der Geschichte Europas der Fall war?

„Staatsbürgerschaften. Frankreich, Polen, Deutschland seit 1789“, Deutsches Historisches Museum (dhm.de), Berlin, bis 15. Januar 2023

Anzeige