70-jähriges Thronjubiläum der Queen - Unsere Ersatz-Monarchie

Zum Thronjubiläum der Queen sitzt Deutschland wieder schwärmend vor der Mattscheibe. Wie schaffen es die Inselaristokraten jedes Mal aufs Neue, strahlende Mienen selbst auf die Gesichter der notorischsten Nörgler zu zaubern? Ganz einfach: Weil wir so royal unterversorgt sind.

Die britische Königin Elizabeth II. feiert noch bis Pfingstsonntag ihr 70-jähriges Thronjubiläum / dpa
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Autoreninfo

Reinhard Mohr (*1955) ist Publizist und lebt in Berlin. Vor Kurzem erschien sein Buch „Deutschland zwischen Größenwahn und Selbstverleugnung. Warum es keine Mitte mehr gibt“ (Europa Verlag, München).

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Corona, Klima, Ukraine-Krieg, Inflation und neue Flüchtlingsströme?  Geh her, ach was! Die Queen feiert 70-jähriges Thronjubiläum, das noch bei bestem Wetter, und auf fast allen Kanälen, ob sozial oder unsozial, privat oder öffentlich-rechtlich, lief heute die große Parade „Trooping the Colour“ zu Ehren der 96 Jahre alten Königin quasi in Endlosschleife. 

Schier unentwegt marschierten und paradierten die Rotröcke mit ihren riesigen schwarzen Puschelmützen durch die Gegend, an denen schon Mr. Beans Provokationslust gescheitert ist, und die berittenen Goldhelme nahmen vor Buckingham Palace Aufstellung wie einst zu Zeiten, als James Cook die Südsee durchpflügte – im Auftrag Ihrer Majestät. 

Feierlichkeiten in epischer Ausdehnung

In den offenen Kutschen sitzt derweil die Royal Family unter der strahlenden Sonne Londons, und schon die gemessene Geschwindigkeit der Karossen zeigt an: Die Feierlichkeiten werden sich hinziehen, mehrere Tage dauern und an Pfingsten ihren Höhepunkt und Abschluss finden. Die britischen Rock- und Popstars der vergangenen Jahrzehnte – natürlich dabei: Elton John – machen ebenso mit wie hunderttausende Bürgerinnen und Bürger Großbritanniens, die Spalier stehen und ihr Picknick in kluger Voraussicht gleich mitgebracht haben.

Denn diese Show dauert garantiert länger als der letzte Eurovision Song Contest oder ein Parteitag der SPD Hessen-Süd in Oberursel zum Thema „Wie gestalten wir die Migration?“ – allein die herrliche Hymne „God save the Queen“ wurde gefühlt häufiger gespielt als Peter Maffays „Über sieben Brücken musst Du gehn“ auf Antenne Brandenburg. 

Großbritannien hat das Spektakel, wir haben Olaf Scholz

Doch worin liegt die Faszination, die das Ereignis auch in der republikanischen deutschen Öffentlichkeit auslöst und strahlende Mienen auch auf die Gesichter sonst notorisch streng blickender, missgelaunter, gesellschaftskritischer Moderator*innen zaubert? Die unzähligen, spektakulären Fehltritte und Peinlichkeiten der letzten Jahre, vom skandalumrankten Leben und Tod der engelsgleichen Princess Diana über die mit vielen Millionen Dollar notdürftig abgeräumten Vergewaltigungsvorwürfe gegen Prinz Andrew bis zum antimonarchistischen und proamerikanischen Sofortausstieg von Harry & Meghan können es nicht sein. Oder vielleicht doch?

Hat vielleicht auch daran Olaf Scholz, der Haubitzen-Zögerer und Raketen-Zauderer, das trockene Hamburger Brötchen Schuld, legitimer Nachfolger seiner pommerschen Vorgängerin, die ebenso wenig von Pathos, Überschwänglichkeit und anderen Temperamentsausbrüchen geprägt war? 

Gibt es ein Bedürfnis nach überzeitlicher, historischer, über Jahrhunderte sich erstreckender Größe, ja, nationaler Inszenierung, Glamour, französisch: „Gloire“, und Gemeinschaftserlebnis, das über die Leserschaft des „Goldenen Blatts“ und das Milieu royalistischer Fanclubs in Bielefeld hinausgeht? Es scheint so. Deutschland, jene Bundesrepublik, deren westlicher Teil lange Jahre schlicht „BRD“ gerufen wurde, um jede Assoziation an das alte Germanien zu vermeiden, ist offensichtlich emotional massiv unterversorgt, von monarchistischen Anwandlungen ganz abgesehen. 

Adel mit Tadel 

Die übrig gebliebenen Hohenzollern gelten als anmaßende, selbstgerechte Diebesbande, und nicht nur Jutta von Ditfurth, die ewige Prinzessin des linksgrünen Fundamentalismus, hat ihren Adelsnamen seit Jahrzehnten abgelegt. Kaiser Wilhelm II. gilt als Versager und Kriegstreiber, Friedrich der Große als Repräsentant jener preußischen Großmacht, die praktisch auf direkter Linie zu Hitler führte.

Das ist das Stichwort. Seit seiner zwölfjährigen „Spezialoperation“ zur genozidalen Vernichtung halb Europas sind nationales Pathos, Truppenaufmärsche und Tschingderassabum bei uns passé. Mögen französische Truppen zum Nationalfeiertag am Arc de Triomphe paradieren: Durchs Brandenburger Tor marschiert seit dem 30. Januar 1933 kein deutscher Soldat mehr. Nicht zufällig ist der „Große Zapfenstreich“ im Hinterhof des Verteidigungsministeriums ein Abschiedsgeschenk an Minister, die früher gehen mussten als sie gedacht hatten.

Kaiser gibt es nur im Fußball 

Selbst Ansprachen ans Volk in Krisenzeiten finden jetzt bei Anne Will statt, während der gerade wiedergewählte Bundespräsident das Charisma eines Klassenlehrers in einer integriert-diversen Gesamtschule verströmt, der die antirassistische „Woche der Toleranz“ eröffnet. Bei all dem Warnen & Mahnen, der Lieblingsdisziplin des deutschen Staatsoberhaupts, verliert sich wie von selbst jedes – warum nicht: stolzes – Selbstbewusstsein der demokratischen Republik.

Wie sich jetzt allerdings zeigt, wären größere Truppenaufmärsche auch gar nicht möglich, weil der Bundeswehr ausreichend Unterwäsche und Stiefel fehlen, von Panzerhaubitzen und Gepard-Munition zu schweigen. Selbst die Gorch Fock liegt wieder im Hafen zur Reparatur. Wenn die Nation sich tatsächlich einmal in einem weltumspannenden Schrei vereint, dann lautet er: „Mach ihn, mach ihn!! Er macht ihn!! Mario Götze!!!“ Das war im Fußballweltmeisterschafts-Finale 2014 in Rio de Janeiro. Da war selbst Angela Merkel ganz aus dem Häuschen.

So bleibt den Deutschen nur Pomp, Queen & Circumstances von der Brexit-Insel, der Glitzer einer gefühlten Ersatz-Monarchie. Am Pfingstsonntag treffen sich dann wieder die Sudetendeutschen im oberfränkischen Hof.

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