90 Jahre Absetzung von Konrad Adenauer als Oberbürgermeister von Köln - Kein „angebräunter“ Adenauer!

Am 13. März vor genau 90 Jahren wurde Konrad Adenauer von den Nationalsozialisten als Oberbürgermeister von Köln abgesetzt. Zeit für einen Rückblick auf einen Mann, der Deutschland geprägt und dem NS-Regime Zeit seines Lebens Paroli geboten hat.

Konrad Adenauer lehnte die NS-Ideologie strikt ab /dpa
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Autoreninfo

Michael Borchard wurde 1967 geboren und ist Leiter der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-demokratische Politik in der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin.

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Als Konrad Adenauer vor genau 20 Jahren in der ZDF-Sendung „Unsere Besten“ zum bedeutendsten Deutschen aller Zeiten gewählt worden ist, war das angesichts von „Mitbewerbern“ von Luther über Bach bis Thomas Mann nicht unbedingt erwartbar. Mit dem Blick auf den dritten Platz (Karl Marx) mag man zwar wenigstens ein klein wenig an der Repräsentativität der „Umfrage“ zweifeln, aber bemerkenswert war das Ergebnis dennoch – 40 Jahre nach dem Ende seiner Kanzlerschaft.

Wo so viel Licht scheint, da ist auch heute – 60 Jahre nach seiner Regierungszeit – die Lust stark ausgeprägt, die Schatten, die er ohne jeden Zweifel auch geworfen hat, besonders deutlich zu konturieren. Damit kein Missverständnis entsteht: Problematisches Verhalten klar zu benennen, ist alles andere als falsch. Es ist die Aufgabe der Historiker (auch der Journalisten) – ja sogar ihre Pflicht und Schuldigkeit –, bei entsprechender Aktenbewertungen Fehlverhalten ungeschönt zu benennen.

Problematisch wird es dann, wenn in geschichtspolitischer Absicht gehandelt wird und wenn die von der Mehrheit der Wissenschaftler längst ad acta gelegte These, die Ära-Adenauer sei eine Zeit der Restauration gewesen, wieder aufgewärmt wird, ja, Adenauer unterstellt wird, er habe gar wie ein autoritärer „Diktator light“ gehandelt, er sei vor allem am Ende, weil er frühere NS-Anhänger in seinen Regierungsreihen geduldet habe, selbst nicht frei von „braunen Spurenelementen“.

Man kann sehr besorgt sein

Dass er nicht nur die NS-Ideologie abgelehnt hat, sondern auch der Verfolgung durch die Schergen der Partei ausgesetzt war, das sollte gerade in diesen Tagen nicht vergessen werden: Am 13. März vor 90 Jahren haben die Nationalsozialisten Adenauer als Bürgermeister von Köln abgesetzt. Hatte Adenauer wie viele Persönlichkeiten seiner Zeit kurzzeitig auch der Illusion nachgehangen, Hitler könnte durch eine gewisse Beteiligung an der Macht eingehegt werden, was sein Biograph Hans-Peter Schwarz „die allgemeine Verwirrung der Geister“ genannt hat, die auch an dem doch so „eindeutig anti-nazistischen Adenauer“ nicht spurlos vorüber gegangen sei, so änderte sich mit der Machtergreifung sein Blick drastisch: An Ella Schmittmann, eine Verwandte seiner ersten Frau, schrieb er ohne viel Hoffnung: „Wir sind mitten in einem Umsturz, Recht und Verfassung gelten nicht mehr, es ist wie 1918, nur auf andere Weise. Wohin das führt? Ich weiß es nicht, aber man kann sehr besorgt sein.“

Adenauer selbst ging zunehmend auf Konfrontation mit den Nationalsozialisten, deren Propaganda ihn bereits lange zuvor in den Blick genommen hatte. Als Präsident des Preußischen Staatsrates war Adenauer Teil des sogenannten Dreimänner-Kollegiums, das über die Auflösung des Landtages entscheiden konnte. Sehr zum Ärger der Nationalsozialisten verweigerte er zu diesem Schritt seine Zustimmung. Als der frisch zum Reichskanzler ernannte NSDAP-Chef Adolf Hitler am 17. Februar für eine große Wahlkampfveranstaltung nach Köln reiste, lehnte er es nicht nur ab, Hitler persönlich am Flughafen zu empfangen, sondern untersagte auch eine „Rheinbeleuchtung“ zu dessen Ehren mit dem Argument, Hitler sei als Parteiführer und nicht als Reichskanzler in Köln. Besonders deutlich machte Adenauer seinen Unmut, indem er die bereits angebrachten Hakenkreuzfahnen an der Deutzer Hängebrücke wieder entfernen ließ.

Die vorher schon vernehmlich hetzerischen Töne gegen Adenauer nahmen nun bedrohliche Ausmaße für ihn an. Anspielend auf seine guten Kontakte zum Judentum und seine Mitgliedschaft im zionistischen Pro-Palästina-Komitee wird Adenauer als „Judenknecht“, gar als „Blutjude“ und jüdischer Großprotz von Köln bezeichnet. Vor allem Gauleiter Josef Grohé und die SA wurden zum Träger der zahlreichen Warnungen, die nun auch reale Todesdrohungen beinhalteten: „Adenauer an die Mauer“. In den Straßen wurde zur Parole „Jeder Groschen ein Schuß gegen Adenauer“ gesammelt.

 

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Angeblich zu seinem Schutz wurden SA-Wachen in sein Haus in Köln geschickt. Am 12 März erhält er durch den Beigeordneten Eberhard Bönner, der zur NSDAP tendierte, zugleich aber noch immer Sympathien für Adenauer hegte, den Warnhinweis, dass die SA plane, ihn aus dem Rathausfenster zu werfen oder ihn einer anderen Art von Lynchjustiz auszuliefern. Alles andere als eine leere Drohung: Kurz zuvor war der Kölner Sozialdemokrat Wilhelm Sollmann von SA-Leuten schwer misshandelt worden. Adenauer beweist eiserne Nerven, geht am Wahlsonntag noch einmal ins Rathaus, schließt die Rathaustür ab und lässt den Rathausschlüssel „mitgehen“, den er bis an sein Lebensende in seinem Besitz halten wird.

Zu dem Zeitpunkt am 13. März 1933, zu dem Adenauer durch Josef Grohé, einen NS-Funktionär ohne jede staatliche Legitimation, abgesetzt und durch Günter Riesen von der NSDAP ersetzt wird, befindet er sich bereits auf der Flucht. Sein Haus hatte er – unbemerkt von den SA-„Wachleuten“ – verlassen und in einer Nebenstraße das Auto seines Freundes Robert Pferdmenges bestiegen, das ihn nach Dortmund brachte, wo er einen Zug nach Berlin bestieg, was absurd erscheint, aber logisch war: Seine Dienstwohnung als Staatsratspräsident lag in der Wilhelmstraße. Dort in der „Bannmeile“ hatten selbst die SA-Schläger nichts zu suchen.

„Es ist so wirklich nicht lebenswert“

In Berlin beschwert er sich, mit der Hoffnung, dort auf einen letzten Rest an Rechtsstaatlichkeit zu treffen, bei Herrmann Göring, der nicht daran denkt, ihn zu unterstützen, sondern im vorwirft, fünf Millionen Reichsmark aus der Kölner Stadtkasse entnommen zu haben. Neben den existentiellen Sorgen – mit der Einleitung eines Dienststrafverfahrens, das er selbst beantragt, um seine Unschuld zu beweisen, empfand er durch die Kürzung seiner Bezüge die finanzielle Situation der Familie als bedrohlich – sah er auch sein Leben nach wie vor in Gefahr. Vor allem setzt ihm die Situation auch psychisch zu.

Im Oktober 1933 schreibt er an seinen jüdischen Freund Dannie Heinemann: „Wenn nicht meine Familie und meine religiösen Grundsätze wären, hätte ich meinem Leben ein Ende gemacht, es ist so wirklich nicht lebenswert.“

Auch wenn im Juni 1934 das Verfahren gegen den ehemaligen OB eingestellt worden war, freilich mit der Bemerkung, dass damit seine Unschuld keinesfalls erwiesen sei, so geriet Adenauer am Tag des sogenannten Röhm-Putsches erneut ins Fadenkreuz. In Neubabelsberg, wo Adenauer nach dem „Auszug“ aus seinem zwischenzeitlichen Versteck im Kloster Maria Laach inzwischen wohnte, wurde er verhaftet und in einer leerstehenden Potsdamer Villa für zwei Tage festgehalten. Auch nach dem Umzug nach Rhöndorf blieb er Ziel von Schikanen, wie der zwischenzeitlichen „Ausweisung“ aus dem Regierungsbezirk Köln.

Die unüberlegte Flucht und die Folgen für Gussie Adenauer

Nach dem Attentatsversuch gegen Hitler wird die Situation – nach einer zwischenzeitlichen Phase, in der er relativ unbehelligt blieb – wieder kritisch. Trotz aller politischen Zurückhaltung und trotz aller geübten Distanz zu den Widerstandskämpfern, die ihn bei einem gelungenen Staatsstreich gleichwohl zum Oberpräsidenten der Rheinprovinz gemacht hätten, gerät er im Rahmen der Gestapo-Aktion „Gitter“ in die Fänge der NS-Schergen. Mit der Rheinuferbahn wird er ins Internierungslager auf dem Kölner Messegelände gebracht. Sein Biograph Weymar berichtet, dass hier der frühere Kölner Stadtgärtner und Kommunist Eugen Zander zu Adenauers Schutzengel wird, der herausfindet, dass Adenauers Eintrag in der Gefangenenkartei den Zusatz „Rückkehr unerwünscht“ enthält, was im Klartext den Transport in ein Konzentrationslager bedeutet, und rät Adenauer, sich krank zu stellen. Tatsächlich bescheinigen ihm Ärzte eine „perniziöse Anämie“, und Adenauer wird in das Krankenhaus Hohenlind überstellt. Aus Angst vor einer erneuten Verhaftungswelle fasst er den fatalen Entschluss, zu fliehen.

Henning Köhler bezweifelt den Wahrheitsgehalt des Berichtes von Eugen Zander und behauptet, die Geschichte solle die schweren Folgen rechtfertigen, die Adenauers unüberlegte Flucht für seine Frau gehabt habe. Tatsächlich wird die Situation für seine Frau außerordentlich schwierig. Sie wird verhaftet und im berüchtigten Gefängnis Brauweiler unter massiven Druck gesetzt. Lange bleibt sie standhaft und tapfer und verrät den Aufenthaltsort ihres Mannes nicht. Erst die Androhung der Sippenhaft für die jungen Töchter zermürbt sie, und sie gibt das Versteck preis.

Mit diesem „Verrat“ wird sie nicht fertig, schluckt Schlaftabletten und öffnet sich die Pulsadern. Der Selbstmord scheitert, aber von einer damit verbundenen Blutvergiftung wird sie sich nicht mehr wirklich erholen, was ihren Tod im Alter von nur 52 Jahren wenige Jahre später mitverursacht. Adenauer wird in der Niestermühle aufgegriffen und nach Brauweiler gebracht, wo ihn der örtliche Gestapo-Kommissar mit den Worten empfängt, er möge keinen Selbstmord begehen. Wie er darauf komme, will Adenauer wissen. „Sie sind jetzt 68 Jahre alt, und Ihr Leben ist ohnehin zu Ende.“ Mehrfach wird man ihm im Gefängnis androhen, ihn an die Wand zu stellen, und tatsächlich wird er, dessen Zelle oberhalb des Raumes ist, in dem die Gestapo Misshandlungen vornimmt, immer wieder wenigstens Ohrenzeuge von Folterungen. Ende November wird er dank der mutigen Intervention seines Sohnes Max, seit 1943 Leutnant bei der „Abwehr“, aus der Haft entlassen.

Unsicherheiten und Härten?

Die Behauptung des Adenauer-Biographen Henning Köhler, dass Adenauer nach der Machtergreifung nur einige „Unsicherheiten und Härten“ zu ertragen hatte und ihm der Staat ansonsten als „weitgehend normales Gemeinwesen“ begegnet sei, ist unhaltbar, ja unhistorisch: Allein die Tatsache, dass die Ehefrau Adenauers so massiv unter Druck gesetzt worden ist, widerspricht dem Eindruck Köhlers. Wenn Adenauer so unproblematisch und „ungefährlich“ für das NS-Regime war, warum wurden dann solche massiven Maßnahmen ergriffen, nur um seiner habhaft zu werden? Jeder Häftling eines Gestapo-Gefängnisses war im Übrigen fast naturgemäß mit der Angst konfrontiert, Opfer von willkürlicher Gewalt zu werden. In nicht wenigen Gefängnissen, wie z.B. dem Kölner „Klingelpütz“, sind in den letzten Kriegsmonaten viele Dutzende Häftlinge hingerichtet worden, und auch der frühere Oberbürgermeister vernimmt diese Drohungen. Am Kriegsende haben die Nationalsozialisten zwar Konrad Adenauer nicht physisch, aber als Vertreter des von ihnen gehassten „Weimarer Systems“ doch gesellschaftlich und politisch „ausgeschaltet“.

Unmittelbar nach dem Krieg 1946 wird Adenauer in einem Brief an einen katholischen Geistlichen sehr deutlich: „Nach meiner Meinung trägt das deutsche Volk und tragen auch die Bischöfe und der Klerus eine große Schuld an den Vorgängen in den Konzentrationslagern. Richtig ist, daß nachher vielleicht nicht viel mehr zu machen war. Die Schuld liegt früher. Das deutsche Volk, auch Bischöfe und Klerus zum großen Teil, sind auf die nationalsozialistische Agitation eingegangen. Es hat sich fast widerstandslos, ja zum Teil mit Begeisterung gleichschalten lassen. Darin liegt seine Schuld.“

Bei anderer Gelegenheit sagt er: „Ich habe mich seit 1933 oft geschämt, ein Deutscher zu sein, in tiefster Seele geschämt: vielleicht wusste ich mehr als manche andere von den Schandtaten, die von Deutschen an Deutschen begangen wurden, von den Verbrechen, die an der Menschheit geplant wurden.“ Ein durchaus bemerkenswertes Bekenntnis, weil man diesem Eingeständnis auch mit der berechtigten Frage begegnen könnte, warum er, wenn ihn sein Wissen so geplagt habe, zwischen 1933 und 1945 nicht deutlicher hörbar gegen diese Taten vorgegangen oder wenigstens hinter den Kulissen aktiv geworden war.

Ohne Illusionen

Adenauer hat sich, das wird aus solchen Äußerungen allerdings überdeutlich, niemals Illusionen über die Verstrickung des deutschen Volkes in die NS-Verbrechen gemacht, und er war der festen Überzeugung, dass Menschen, die sich Verbrechen schuldig gemacht hatten, einer Bestrafung zugeführt werden müssen. Er hat sich aber als Bundeskanzler der jungen Bundesrepublik in der Pflicht gesehen, „Opportunisten, Mitläufer, ja sogar ehemals überzeugte Nationalsozialisten zu integrieren“. Dieses Dilemma hatte der Berliner CDU-Mitgründer, Buchenwald-Häftling und Historiker Eugen Kogon, der sehr früh mit der historischen Betrachtung der Verbrechen begonnen hatte, unmissverständlich mit Blick auf Mitläufer und NS-Belastete zum Ausdruck gebracht: „Man kann sie nur töten oder gewinnen. (…) Töten kommt (…) nicht in Frage. Also muss man sie gewinnen. (…) Man muss beweisen, dass Demokratie besser ist.“ Dass sich Adenauer zugleich sehr eingesetzt hat für die Wiedergutmachung gegenüber den Juden, hatte neben pragmatischen immer auch moralische Gründe. Immer wieder hat sich Adenauer eindeutig zur Schoa geäußert.  

Keine Verharmlosung

Der Historiker und Holocaust-Forscher Alexander Brakel hat eingestanden, dass der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in den Adenauer-Jahren nicht frei gewesen sei von Schattenseiten, zu der nicht zuletzt auch die weitgehende Amnestierung von NS-Tätern und auch das Maß an personeller Kontinuität im Öffentlichen Dienst gehört habe. Zugleich beschreibt Brakel aber auch zutreffend zu diesen Entscheidungen:

„Für den im Dritten Reich verfolgten Adenauer waren sie notwendige Zugeständnisse, um einem Wiedererstarken des Rechtsradikalismus von Anfang an den Boden zu entziehen und die Demokratie der jungen Bundesrepublik zu stärken. Dieser Kompromiss war die Kehrseite der Medaille, auf die in großen Lettern die oberste Maxime geprägt war: ,Nie wieder!‘. Diese andere Seite war die konsequente Bekämpfung jeglichen politischen Radikalismus, die Versöhnungs-, Wiedergutmachungs- und Entschädigungspolitik. Jede Verherrlichung des Dritten Reiches wurde unterbunden. Auch in den 1950er Jahren wurde über den Nationalsozialismus und seine Verbrechen nicht geschwiegen. Allerdings fand der Diskurs ohne die Thematisierung der Schuldfrage statt. Das Ergebnis hat dem (…) Kanzler (…) Recht gegeben. Am Ende seiner Regierungszeit war die Demokratie in Deutschland gefestigt und die Einsicht in den verbrecherischen Charakter des NS-Systems unumstrittenes Allgemeingut geworden“.

Diese Leistungen Adenauers sind nicht nur beachtlich, weil es bis heute kaum andere „postdiktatorische Staaten“ gibt, in denen trotz eines solchen Ausmaßes an Verstrickung und Schuld so schnell und so grundlegend eine profunde Demokratisierung gelungen ist, sondern sie machen zugleich deutlich, dass Adenauer – auch mit der Duldung von ehemaligen Nationalsozialisten in öffentlichen Ämtern – weder den NS-Staat noch den Antisemitismus verharmlost hat und dass die bisweilen verkürzten Darstellungen zu seiner Rolle als Bundeskanzler weder den hohen politischen Komplexitäten der Nachkriegszeit noch den historischen Tatsachen wirklich gerecht werden.

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