Doppelagent beim BND - „Dieser Spionagefall ist desaströs“

Der BND-Mitarbeiter Carsten L. soll für Russland spioniert haben. Im Interview erklärt der Militärexperte Oberst a.D. Ralph Thiele, welcher Schaden durch den mutmaßlichen Doppelagenten entstanden sein könnte.

Ein Ohr zur Welt: BND-Außenstelle Schöningen / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Oberst a.D. Ralph Thiele ist Vorsitzender der Politisch-Militärischen Gesellschaft in Berlin. Er diente unter anderem im Planungsstab des Verteidi­gungsministers, im Private Office des Nato-Oberbefehlshabers sowie als Direktor an der Führungsakademie der Bundeswehr.

Herr Thiele, auf Anordnung des Generalbundesanwalts ist gestern ein Mitarbeiter des BND wegen Verdachts der Spionagetätigkeit für Russland festgenommen worden. Die Ermittlungsbehörden arbeiten äußerst diskret. Was kann man zum jetzigen Zeitpunkt über den Fall Carsten L. sagen?

Ich weiß natürlich auch nicht mehr als die Öffentlichkeit. Das liegt in der Natur der Sache. Für mich ist es dennoch eine Art Déjà-vu. Man erinnere sich nur mal an die Gründung des BND und an die sogenannte Organisation Gehlen. Damals hat man mit Reinhard Gehlen jemanden aus dem Dritten Reich übernommen, um mit ihm einen neuen Nachrichtendienst aufzubauen. Unter anderem auch, weil Gehlen gute Kontakte zu Russland hatte. Die Russen aber haben den neuen Dienst dann relativ rasch zerstört. Und das ist natürlich auch im aktuellen Fall das große Risiko. 

Wie meinen Sie das?

Natürlich kann Carsten L., sollte er denn tatsächlich für Russland gearbeitet haben, Staatsgeheimnisse verraten haben. Dazu zählt zum Beispiel, welche Technologie der BND verwendet. Der deutsche Nachrichtendienst hat sich schon während des Kalten Krieges sehr auf technologische Aufklärung spezialisiert. Da waren wir weltweit Spitze. Zudem waren wir an der innerdeutschen Grenze bestens mit Radar-Aufklärung positioniert. Und das Wissen, das wir dort abgeschöpft haben, haben wir dann an andere Dienste – etwa in den USA – weitergegeben. Man hat sich ausgetauscht. Ein Geben und Nehmen. Und das ist heute im Zeitalter der hybriden Kriegsführung nicht anders. Mit dem einzigen Unterschied, dass die Dienste vielleicht noch wichtiger geworden sind. Die Vize-Verteidigungsministerin der USA, Kathleen Hicks, sieht den Schlüssel für die hybride Kriegsführung in der Ermächtigung der Geheimdienste. 

Kehren wir zum aktuellen Fall zurück. Welche Informationen könnte Carsten L. konkret weitergegeben haben?

Wie man hört, war der festgenommene leitende Mitarbeiter als Analytiker in der streng geheimen technischen Auslandsaufklärung eingesetzt. Hier entsteht die entscheidende Wertschöpfung des BND durch Auswertung von Erkenntnissen aus Kommunikation, also dem Abhören von Funksprüchen, Telefongesprächen und E-Mails. Zudem werden Radarwellen ausgewertet, Geodaten wie Satellitenbilder und Vermessungsergebnisse bestimmt oder die Folgen von Waffentests wissenschaftlich ausgewertet. Auch Open-Source- und Social-Media-Daten werden gesammelt. Und wie gesagt: Die gewonnenen Informationen werden unter den Nachrichtendiensten geteilt. Von daher ist dieser Spionagefall desaströs.

Weil wir andere Dienste mit hineinziehen?

Ja. Russland hätte ja durch den Agenten erfahren, wo und wie wir unsere wichtigsten Erkenntnisse gewinnen. Auch unsere Verbündeten dürften sich in Zukunft dreimal überlegen, was sie uns noch weitergeben können und ob wir als Tauschpartner nicht disqualifiziert sind.

Man hatte ja eigentlich den Eindruck, Doppelagenten seien ein Berufsbild aus dem Kalten Krieg. Welche Rolle spielen sie in der Ära von Hacker-Angriffen und digitaler Wissensabschöpfung?

Ich denke, die Bedeutung solcher Doppelagenten wächst sogar noch. Denn wenn man es schafft, in einen Dienst hineinzukommen, dann kann man auch viel darüber lernen, wie der jeweilige Dienst sein Wissen gewinnt. Wenn Sie nur eine simple Information wollen, dann gehen Sie, wie einst Günter Guillaume, in das Büro des Kanzlers. Dafür können Sie den BND außen vor lassen. Aber wenn Sie direkt in die Nachrichtendienste hineinkommen, dann bekommen Sie einen besseren Einblick in die Organisation selbst und Sie erfahren, welche Leute dort arbeiten und welche technischen Möglichkeiten die jeweiligen Dienste zur Verfügung haben. Zudem bekommen Sie auch viel leichter Falschinformationen in die Wissens- und Informationskanäle der wichtigen Entscheidungsträger. Wir leben in der Ära der Fake News. Da geht es primär um die Frage, wie ich Kanzler und Minister in ihren Entscheidungen beeinflussen kann. Für diesen Prozess sind Doppelagenten optimal. Sie gaukeln vor, dass sie etwas über ein anderes Land wüssten – in dem Fall also über Russland –,  haben es in Wahrheit aber nur auf das eigene Nachrichtensystem abgesehen. Dieses können sie im schlimmsten Fall sogar komplett zerstören.

Was bewegt Mitarbeiter von Nachrichtendiensten eigentlich dazu, auf diese destruktive Weise für die andere Seite zu spionieren? Gibt es Psychogramme von Doppelagenten?

Mitarbeiter bei den Geheimdiensten sind in der Regel ganz bodenständige Leute. Oft ist es einfach nur fehlende Wertschätzung, die dann dazu führen kann, dass man irgendwann eine Doppeltätigkeit aufnimmt. 

Es gab 2014 einen Doppelagenten beim BND, der hat nach seiner Enttarnung angegeben, er habe schlicht aus Langeweile gehandelt. Sind es also in der Regel gar nicht die großen ideologischen Motive, die zum Seitenwechsel führen?

Wissen Sie, die Arbeit beim Geheimdienst besteht oft aus profaner Büroarbeit. Da geht es, wie ja auch in unserem kleinen Privatleben, sehr viel um Technologie und um die Auswertung von Informationen. Das geschieht in der Regel vom Schreibtisch aus. Und dann gibt es natürlich auch noch diejenigen, die in fremde Länder gehen und die dann dort das Leben aus den Filmen und Romanen führen. Die können verhaftet und mit unterschiedlichsten Mitteln gequält werden. Aber in der Regel ist das Leben bei einem Auslandsgeheimdienst kein Stoff für James Bond.

Nun hat aber der Präsident des BND, Bruno Kahl, gestern davor gewarnt, dass man bei Russland durchaus mit Skrupellosigkeit und Gewaltbereitschaft als Reaktion auf die Enttarnung rechnen müsse. Was bedeutet das konkret?

Ich denke, das ist eher ein schönes Narrativ, aber inhaltlich ist das nicht erhellend. Natürlich kommt es in Russland vor, dass plötzlich Großindustrielle oder Botschaftsangehörige aus dem Fenster fallen. Aber da sind die Russen auch nicht wesentlich brutaler als etwa die Israelis im Umgang mit iranischen Atomwissenschaftlern oder die Chinesen in der Mongolei. Mit der gestrigen Geschichte lenkt man eher davon ab, dass es mit dem Doppelagenten zu einer Grundschädigung des BND gekommen sein könnte. 

Es kommt relativ selten vor, dass Doppelagenten beim BND enttarnt werden. Muss man aber nicht von einer Dunkelziffer ausgehen?

Ich denke nicht, dass es sich da um große Mengen handelt. Die Spionage wird ja immer technischer. Und gefährdet sind am Ende eh eher die Landsleute. Wenn wir etwa in Russland spionieren, dann sind es in der Regel ja die Russen selbst, die uns mögliche Geheimnisse verraten. Und die sind es auch, die durch Doppelagenten in Gefahr geraten.

Geheimnisverrat gibt es nicht nur bei den Diensten, sondern etwa auch beim Militär. Erst jüngst ging ein Fall durch die Medien, wo in Düsseldorf ein ehemaliger Reserveoffizier verurteilt wurde, weil er über Jahre hinweg Informationen an Russland weitergegeben hat. Als Motiv nannte das Gericht „eine extreme russlandfreundliche Gesinnung“. Nun sind ja gerade auch bei der Bundeswehr viele sogenannte Spätaussiedler bzw. Soldaten mit deutsch-russischem Familienhintergrund beschäftigt. Besteht da nicht ein erhöhtes Risiko der Spionage?

Grundsätzlich ist das natürlich immer ein Problem. Das betrifft aber vor allem Führungskräfte, denn in den niederen Dienstgraden kommen sie ja nicht an Staatsgeheimnisse heran. Interessant sind also eher die höheren Dienstgrade, und die werden vom MAD ordentlich durchleuchtet. Ich sehe aber bei dieser besonderen Gruppe der sogenannten Russlanddeutschen eigentlich keine besondere Gefährdung. Das mag so in den neunziger Jahren gewesen sein, als zum Teil ganze Kasernen russischsprachig waren. Aber das hat sich längst gesetzt.  

Zurück zu Carten L. Gehen Sie davon aus, dass wir bald mehr Informationen über den Fall erhalten werden?

Das wird ausgehen wie das Hornberger Schießen. Da wird wohl nicht mehr viel Information nach außen dringen. Generell müssen BND und Bundesrepublik ihr Nachrichtenwesen schützen und können von daher nicht alle Anklagepunkte öffentlich machen. Von einer solchen Veröffentlichung würden am Ende die Russen profitieren, aber auch alle anderen Dienste. Insider aber werden natürlich ganz genau verfolgen, welche strukturellen und personellen Veränderungen sich in Kürze aus dem Fall ergeben werden.

Das Interview führte Ralf Hanselle.

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