Wolfgang Schäubles Rolle in der CDU - Tragisches Kontinuum

Beim Parteitag der CDU hat nicht nur Friedrich Merz endgültig verloren, sondern auch Wolfgang Schäuble. Schließlich war er es, der Merz zu dessen Comeback ermutigt hatte. Die Niederlage offenbart die größte Schwachstelle des Mannes, der selber gern Kanzler geworden wäre

Sicheres Gespür für den falschen Moment: Die Niederlage von Friedrich Merz ist auch eine Niederlage für seinen Mentor / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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„Niederlage verhinderte sicheren Sieg“, lautete einmal vor vielen, vielen Jahren eine Schlagzeile der Lokalzeitung, bei der ich als freier Mitarbeiter angefangen habe. Sie war so schön, dass sie es bis in den Hohlspiegel eines großen Nachrichtenmagazins schaffte. 

Dabei stimmte sie sogar: Es ging um ein Schachturnier, bei der die eine Mannschaft mit der Niederlage in einer Partie den Gesamtsieg verspielte.

An diese unfreiwillig komische Zeile musste ich vergangene Woche beim CDU-Parteitag wieder denken. Friedrich Merz vergeigte mit seiner Rede vor den Delegierten einen greifbaren Sieg. In Herrenreiter-Attitüde sprach er über Köpfe und Herzen der Delegierten hinweg und ward ansonsten wenig gesehen. Insofern ist es richtig und verdient, dass sich Annegret Kramp-Karrenbauer den Parteivorsitz sicherte.

Sicheres Gespür für den falschen Moment

Diese Niederlage von Friedrich Merz ist auch eine Schmach für Wolfgang Schäuble. Der Grandseigneur der CDU hatte Merz hinter den Kulissen zu seinem Comeback ermuntert und zeitgleich in einigen Interviews Säure auf die Kanzlerin und Parteivorsitzende geträufelt. Bis hin zu einer feinsinnigen Anspielung am 9. November, als er in einem Essay für die Welt am Sonntag die Rolle Prinz Max von Badens beschrieb, wie jener seinerzeit den widerborstigen Kaiser Wilhelm II. zum Abdanken zwang. So jedenfalls nahm Schäuble das wahr. Der Prinz hatte den richtigen Zeitpunkt abgewartet. „Sein Zögern erhöhte den Druck“, schrieb Schäuble und setzte maliziös hinzu: So sei Max von Badens Kanzlerschaft „auch ein Lehrstück über den richtigen Moment in der Politik, den wir meist nur rückblickend zu erkennen glauben.“ 

Nach der Merziade muss man festhalten: Wolfgang Schäuble ist eben kein Max von Baden, sondern ein grübelnder Zauderer mit dem sicheren Gespür für den falschen Moment. In einer guten ARD-Doku über die drei Kandidaten hatte vor einigen Tagen Friedrich Merz offenbart, was in Berlin alle Kundigen wussten: Dass Schäuble in der Schwächephase der Kanzlerin nach ihrem unseligen Flüchtlings-Solo tatsächlich damit geliebäugelt hat, gegen Merkel zu putschen und selbst Kanzler zu werden.

„Der beste Kanzler, den wir nie hatten“

Das wäre in der Tat auch der richtige Zeitpunkt gewesen. Das Gefühl fürs Momentum hat Schäuble damit zum zweiten Mal in seiner einzigartigen politischen Laufbahn vermissen lassen. Ein tragisches Kontinuum: Schon bei Helmut Kohl hatte er zu lange gezaudert, weshalb ihm auch nurmehr ein Intermezzo als Parteivorsitzender von Kohls Gnaden vergönnt war. Damit ist doppelt bewiesen, dass Schäuble bei all seiner politischen Weisheit und Brillanz das letzte Quantum Mut und ja: auch Brutalität fehlt. Deshalb ist er, wie jüngst Michael Stürmer schrieb, „der beste Kanzler, den wir nie hatten“ geblieben. Und er ist eben nicht nur als Opfer Merkels oder anderer nicht Bundeskanzler oder Bundespräsident geworden. Sondern wegen der fehlenden Gabe, zu handeln, wenn es genug ist mit Loyalität. Und dann kühl und mit offenem Visier die Nummer Eins herauszufordern und zu stürzen. Wenn er überhaupt Opfer ist, dann ein Opfer seiner selbst.

Sein derzeitiges Amt als Bundestagspräsident sichert ihm auch nach seinem Merz-Debakel einen überparteilichen Ort, von dem aus er seinen Rekord als längstgedienter deutscher Parlamentarier genießen kann (er hat inzwischen August Bebel eingeholt). Das sei ihm gegönnt. Aber zugleich wäre ihm zu wünschen, dass er seinerseits das Kunststück noch würdig hinbekommt, bei dem er Angela Merkel behilflich sein wollte: einen Abschied zum spätest-richtigen Moment.      

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