Wissenschaftspolitik der Linken - Die Partei, die Partei, die hat immer recht

Hochschulen werden zu politischen Kampfgebieten. Das hält Linken-Politikerin Petra Sitte für legitim. Denn Politik und Wissenschaft seien ohnehin nicht voneinander zu trennen. Eine Anmaßung mit langer Tradition.

Politik und Wissenschaft seien nicht voneinander zu trennen, sagt Petra Hirte, Bildungspolitikerin der Linken. / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Mit einem Weckruf hat sich der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen, jüngst an die Öffentlichkeit gewandt. Der Verband verzeichne „eine signifikante Häufung von Fällen, in denen sich Wissenschaftler in ihrer Freiheit“ eingeengt fühlten.

Die Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit gehe dabei gar nicht in erster Linie von Akteuren außerhalb der Wissenschaft aus. „Es sind Studenten und Wissenschaftler in allen Stadien ihrer universitären Karrieren, die ihrer eigenen Freiheit ein Grab schaufeln,“ so der Präsident der deutschen Professoren.

Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit

Kempen ist mit seinem Standpunkt nicht allein. Mehr als 500 Hochschullehrer zählt mittlerweile das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“. Auch ihr Blick richtet sich dabei nicht, wie in autoritären politischen Systemen, auf Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit durch den Staat, sondern auf Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit aus dem System der Wissenschaft selbst.

Zum Netzwerk gehört auch Peter Hoeres, Lehrstuhlinhaber für Neueste Geschichte an der Universität Würzburg. Er veranstaltete jüngst eine Podiumsdiskussion mit allen im Bundestag vertretenen Parteien. Konkret sollten die Volksvertreter die Frage beantworten, was sie eigentlich gegen illegitime Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit zu tun gedenken. Denn letztlich ist es in der Tat die Aufgabe des Staates, dieses Grundrecht zu schützen.

Studenten verhindern Vorlesungen

Ob Jörg Barberowski und Herfried Münkler in Berlin oder Susanne Schröter in Frankfurt am Main: Immer wieder versuchen vor allem Studenten, missliebige Forscher an der Ausübung ihrer Grundrechte zu hindern. Zum Beispiel dadurch, dass ihre Ausladung von Vorträgen erzwungen werden soll – oder indem ihre Veranstaltungen einfach torpediert werden. Und immer wieder werden sie dabei sogar von Hochschullehrern unterstützt.


Was das konkret bedeuten kann, bekam im letzten Jahr der Gründer der AfD, Bernd Lucke, ganz handfest zu spüren. Nach einem mehrjährigen Ausflug in die Welt der Politik kehrte er an seine Universität zurück und wollte seine Arbeit als Professor wieder aufnehmen. Einer kraftvoll auftretenden Gruppe von Studenten kam das offenbar ganz gelegen. Mehrfach störten sie Luckes Vorlesungen derart intensiv und lautstark und teils gewaltsam, dass sie nicht gehalten werden konnten. Er sei eben ein „Nazi-Schwein“.

Universitäts-Präsident macht traurige Figur

Der Präsident der Hamburger Universität, Dieter Lenzen, machte seinerzeit eine traurige Figur. Anstatt die Rechte seines Professors rückhaltlos öffentlich zu verteidigen, lavierte er sich über Wochen durch – wohl auch, um nicht selbst als Steigbügelhalter eines angeblichen Nazis ins Fadenkreuz seiner Studenten zu geraten. Die Verteidigung der Freiheit erfordert eben mitunter auch ein wenig Rückgrat.

Solche und ähnliche Fälle hält das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ für besonders problematisch, weil sich das Wissenschaftssystem zunehmend als unfähig erweise, Fehlentwicklungen in den eigenen Reihen zu unterbinden.

In der fraglichen Podiumsdiskussion versuchte denn auch die Moderatorin Heike Schmoll von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein ums andere Mal, die Aufmerksamkeit auf eben diese Frage zu lenken: auf die Pflicht des Staates und seiner Repräsentanten, dessen Regeln unmissverständlich zu verteidigen.

„Protest in Hörsälen aushalten“

Klare Bekenntnisse seitens der Hochschulpolitiker waren an diesem Abend indes Mangelware. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildete die Vertreterin der Linkspartei, Petra Sitte, die ihre Fraktion auch im Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vertritt.

Zwar beklagte sie, wenn es um den Anteil linker Ökonomen in der Wirtschaftswissenschaft geht, einen Mangel an „Perspektivenvielfalt“. Aber ganz so ernst scheint sie es mit der Vielfalt und dem Diskurs am Ende doch nicht zu nehmen. Da Politik und Wissenschaft nämlich ohnehin nicht so recht zu trennen seien, müsste man politische Proteste eben „auch in Hörsälen aushalten“.

Sie jedenfalls könne es „nachvollziehen“, dass es in Hamburg einen „sehr vehementen Protest“ gegen Lucke gegeben habe – und damit einen fundamentalen Eingriff in dessen Wissenschaftsfreiheit. Schließlich habe er ja das „Monster AfD“ zur Welt gebracht. 

Logik der Macht

„Selber schuld“ – soll das wohl heißen. Dass Lucke gerade in dem Moment aus der AfD ausgetreten war, als sich dieses zum „Monster“ entwickelt hatte und auch genau aus diesem Grund, erwähnt Sitte dabei nicht. Ihre wortreichen Ausführungen reduzieren sich damit auf nur einen einzigen Gedanken: Die Freiheit der Wissenschaft ist nur dort zu verteidigen, wo ihre Ergebnisse den politischen Ansichten der Linken nicht widersprechen.

Anders kann es, wenn man Politik und Wissenschaft für im Grunde ununterscheidbar hält, auch kaum sein. Die Logik der Macht, die dem politischen Feld eigen ist, wird so in das Feld der Wissenschaft überführt und die Suche nach der Wahrheit zum Kampf um den politischen Sieg umgedeutet.

Außerordentliche Anmaßung

Im Osten Deutschlands hat diese Logik eine lange Tradition. Das „Lied der Partei“, zu Papier gebracht im Jahre 1949 vom Kommunisten Louis Fürnberg, wurde in Kreisen der SED oft und gerne gesungen, um sich der eigenen welthistorischen Mission zu versichern. Seine berühmteste Zeile: „Die Partei, die Partei, die hat immer recht“.

Die theoretische Grundlage für diese außerordentliche Anmaßung besorgte in Fortsetzung des Leninismus der marxistische Philosoph Georg Lukács mit seinem Buch „Geschichte und Klassenbewusstsein“ bereits im Jahre 1923. Das Revolutionäre an Marx sei es nämlich in Anlehnung an Hegel gerade gewesen, dass er die Welt als „Totalität“ begriffen hätte. Alles hänge mit allem so zusammen, dass man jeden einzelnen Teil nur verstehen könne, wenn er aus einer Gesamtschau, quasi einem Weltgesetz abgeleitet würde.

Zur Wahrheit ohne Argumente vordringen

Wenn aber alles mit allem zusammenhängt und letztlich im Weltgesetz in eines zusammen fällt, hat das handfeste Konsequenzen: Denken und Sein, Theorie und Praxis, Wahrheit und Macht können dann nicht mehr sinnvoll voneinander unterschieden werden.

Das hat immerhin den Vorteil, dass man zur Wahrheit dann nicht mehr mühsam mit Hilfe von Argumenten vordringen muss, sondern sie auch durch bloßen politischen Aktivismus fabrizieren kann, zum Beispiel durch die Besetzung eines Hörsaales. 

Und da die Welt eine Totalität ist, muss nach Lukács auch das „Subjekt der Erkenntnis“ eine Totalität darstellen, da nur das Ganze auch das Ganze erkennen könne. Und so schließt sich der Kreis: Da das Proletariat im Marxismus die Befreiung der gesamten Menschheit verkörpern soll, ist es auch jenes angeblich totale Subjekt, das historisch, egal was es tut, stets auf der Seite der Wahrheit steht. Lukács meint das dabei ganz wörtlich: Das Klassenbewusstsein des Proletariats sei „die Wahrheit des Prozesses ‚als Subjekt‘“.

Denkender und lenkender Kopf der Massen

Von hier ist es dann nur noch ein Katzensprung zur letzten Schlussfolgerung, nämlich dass die Partei des Proletariats als denkender und lenkender Kopf der Massen die „Objektivation ihres eigensten, ihnen selbst jedoch noch nicht ganz klaren Willens“ sei. Oder mit anderen Worten: Die Partei hat deshalb immer recht, weil sie auf der richtigen Seite der Geschichte steht, auch wenn die noch nicht erleuchteten Massen das anders sehen sollten.

Gewiss, die Zeiten, in denen die Linke noch versuchte, mit derartigen theoretischen Schwurbeleien das eigene Handeln zu legitimieren, sind vorbei. Schon mit der Umwandelung der SED in die PDS kurz nach der Wende wurde der führende Anspruch der Partei zumindest offiziell aufgegeben. Und auch vom guten alten „Klassenkampf“ hört man heute nur wenige Linke reden.

Geblieben allerdings ist die Anmaßung, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen und deshalb über das moralische Recht zu verfügen, in die Rechte politisch missliebiger Personen einzugreifen.

Transgender-Personen statt Malocher

Das neue Subjekt der Linken ging dabei aus einem Jahrzehnte andauernden Diskurs der Postmoderne hervor. Sie bestreitet, dass es so etwas wie Wahrheit und begründete Kriterien überhaupt geben kann – abgesehen natürlich von dieser absoluten Wahrheit selbst. Die Postmodernisten entpuppen sich damit bloß als „Avantgarde der Arbeiterklasse“ für Intellektuelle.

Die postmoderne Welt der Beliebigkeit jedoch eröffnete einen weiten Raum. Der Vorrang von Klasseninteressen konnte munter beiseite geschoben werden, um neuen historischen Subjekten Platz zu machen. Heute geht es nicht mehr um Malocher, sondern um Schwule und Lesben, Transgender-Personen und dutzende weitere Geschlechteridentitäten, Postkolonialisierte und strukturellen Rassismus.

Der Monokel und Zylinder tragende, feiste Kapitalist wurde vom heteronormativen alten weißen Mann als Feindbild abgelöst. Und alle Interessengruppen können angesichts des Fehlens aller Maßstäbe und Wahrheiten für sich in Anspruch nehmen, jeweils am bedeutsamsten zu sein und treten darob munter in Wettbewerb miteinander.

Schreiender Widerspruch

Die Anmaßung des Ostens und die postmoderne Beliebigkeit des Westens haben sich in der Form der identitätspolitischen Wokeness zu einem neuen gesamtdeutschen linken Gefühl vereinigt. Der Widerspruch zwischen der offiziellen Preisgabe der Wahrheitsfrage und der gleichzeitigen Überzeugung, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, ist schreiend. Er dürfte den Furor erklären, mit dem dieser Tage in der Wissenschaft so mancher Strauß ausgefochten wird.

Auch das Gefühl des Erleuchtetseins setzt schließlich stets einen Wahrheitsanspruch voraus, allerdings sogar einen absoluten. In Sachen Wissenschaftsfreiheit ist daher – jedenfalls von einer solchen Linken – auch künftig nichts Gutes zu erwarten.

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