Dramatische Wirtschaftslage - Kein Wachstumschancengesetz, sondern eine Sozialreform ist nötig

Bundesregierung und Union streiten um das „Wachstumschancengesetz“. Das ist der dramatischen Lage nicht angemessen. Nur eine Sozialreform kann den ausufernden Staat begrenzen, die Wirtschaft befreien und den Fachkräftemangel bekämpfen.

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, spricht bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts 2024 im Haus der Bundespressekonferenz, 21.02.2024 / dpa
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Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Wirtschaftsminister Robert Habeck hat sich verabschiedet. Nicht von seinem Amt oder politischen Vorhaben, aber von der eigentlich für Regierungsmitglieder erwartbaren Praxis, die aktuelle Lage besonders positiv darzustellen. Nachdem er vor einigen Tagen die wirtschaftliche Lage Deutschlands als „dramatisch schlecht“ bezeichnete, legt sein Ministerium nun den Jahreswirtschaftsbericht mit dem bürokratisch-sperrigen Titel „Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig stärken“ vor. Der soll offenkundig eine Art Begleitmusik sein für das geplante Gegenmittel der Bundesregierung, nämlich das „Wachstumschancengesetz“, das heute im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat beraten wird. Da es zustimmungspflichtig ist, braucht die Ampel dafür die Unterstützung von unions(mit)regierten Länderregierungen. 

Die im Wirtschaftsbericht und im „Wachstumschancengesetz“ geplanten Maßnahmen bestätigen zwei fatale Trends der Politik, die die Ampel auf die Spitze treibt. Erstens, vergleichsweise harmlos: den grässlichen Trend zur verschleiernd-propagandistischen Namensgebung von Gesetzen. Zweitens, sehr viel schlimmer: den Trend zur Scheinbekämpfung von Krisen durch Verstärkung oder jedenfalls Nicht-Reduzierung staatlicher Aktivität. Angebracht wäre aber das Gegenteil.

 

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Zunächst: Der Streit, über den im Vermittlungsausschuss verhandelt wird, ist ebenso kleinlich wie die im Gesetzentwurf angedachten Maßnahmen. Die verkürzten Genehmigungsverfahren und steuerlichen Erleichterungen, im Kern geht es um die degressive Abschreibungsmöglichkeit für Investitionen vor allem in der Bauwirtschaft, werden den betroffenen Unternehmen natürlich willkommen sein, aber sie genügen gerade nicht dem, was Habeck mit seiner „dramatischen“ Wortwahl eigentlich nahelegt: eine radikale Verbesserung der Standortbedingungen. 

Die Union verharmlost das Problem eher noch, wenn sie nun einen Kuhhandel durchsetzen will, von dem sie sich wohl einen Sieg in der öffentlichen Wahrnehmung verspricht: Die Bundesregierung soll für ihre Zustimmung zum Wachstumschancengesetz das Steuerprivileg für Agrardiesel doch bitte unangetastet lassen. Das war schließlich der Tropfen, der das Fass der Unzufriedenheit der Bauern mit der Ampel zum Überfließen brachte. 

Mehr statt weniger Bürokratie

Das von der Bundesregierung nun mal wieder ebenso wie von der Vorgängerregierung und allen am wirtschaftspolitischen Diskurs Beteiligten stets im Munde geführte Schlagwort „Bürokratieabbau“ ist dabei längst zu einem Wieselwort verkommen. Man tut da so, als ginge es nur darum, ein paar Antragsformulare zu vereinfachen. Aber das eigentliche Maß der Bürokratie ist eben die Zahl der Bürokraten, also der in den Büros „herrschenden“ (griechisch „kratein“) Beamten. Und diese Zahl steigt gerade unter der Ampel in besonderem Maße  – auf Kosten der Steuerzahler (also auch der deutschen Wirtschaft) und zum Nutzen der politischen Klasse, die dadurch ihre Klientel bequem versorgt und ihre Machtbasis stärkt. 

Wahrscheinlich wird auch das jetzige Wachstumschancengesetz in manch einem Ministerium und vor allem den angeschlossenen Behörden wieder Anlass bieten, neue Stellen zu schaffen. Es ist die absurde Zirkelschlusspseudologik der Staatsgläubigen: Die Wirtschaft braucht mehr Staatsunterstützung zum Wachsen und darum braucht der Staat mehr Beamte, weil seine Aufgaben schließlich mehr würden. Wofür der Staat wiederum mehr Steuern und Staatsschulden braucht.

Unionspolitiker wie Julia Klöckner fordern nun zwar großsprecherisch eine „Wirtschaftswende“ oder, des Kanzlers sprachlichen Infantilismus imitierend, einen „Mehrfachwumms“, der nötig sei. Die Union will noch in dieser Woche ihre Vorschläge im Bundestag einbringen. Laut Klöckner gehört dazu unter anderem eine „Belastungs- und Bürokratiebremse“, flexiblere Arbeitszeiten, Deckelung der Lohnnebenkosten auf 40 Prozent, Lohnsteuer senken. Alles nicht falsch, aber die umgreifende Richtungsvorgabe fehlt, nämlich die Maßnahme, die all das erst möglich macht. 

Was wirklich nottäte, wäre ein großes Reformprogramm vom Kaliber der Agendareformen der Schröder-Ära. Also eine radikale Kehrtwende in der Sozialpolitik, mit der man mehrere der entscheidenden Schwächen des Wirtschaftsstandortes Deutschland und die größte Krankheit des deutschen Staates (nämlich sein Wachstum) kurierte. 

Reduzierung der Sozialquote ist geboten

Angesichts des Überhangs der Arbeitskräftenachfrage in einem Land, in dem an fast jeder Kneipentüre, in jedem Supermarkt und in den Werbepausen der Radiosender nach Arbeitswilligen jedes Qualifikationsniveaus gesucht wird, ist es nicht nur volkswirtschaftlich notwendig, sondern auch sozialethisch geboten, die Sozialausgaben des Staates radikal zu senken und auf die unbedingt Hilfsbedürftigen zu beschränken, die sich nicht selbst helfen können. Man muss sich klar machen, dass unter diesen Umständen das viel zitierte Wort „Solidarität“ bedeutet, dass Kassiererinnen und Dachdeckergesellen mit ihren Steuern und Abgaben die Nicht-Arbeit von Menschen bezahlen, die auf solche Jobs keine Lust haben – und natürlich auch das Wachstum der staatlichen Umverteilungsbürokratie. Sie ist die größte Nutznießerin dieser aus dem Ruder gelaufenen Pseudosolidarität. 

Dass in einer solchen Situation die Sozialleistungsquote Deutschlands bei über 30 Prozent liegt, also jeder dritte erarbeitete Euro vom Staat für (vermeintlich) soziale Zwecke umverteilt wird, ist der eigentliche Knackpunkt der deutschen Misere. Diese Quote war sogar um die Jahrtausendwende eher niedriger, als tatsächlich noch Massenarbeitslosigkeit herrschte. Von dem damals bei den Regierenden und Meinungsmachern vorhandenen Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Reform ist leider heute wenig zu merken. Das ist umso fataler, als der genannte Fachkräftemangel das Schrumpfen des Sozialstaates heute eigentlich mit viel geringeren Skrupeln möglich machen sollte.

Die radikale Senkung der Sozialstaatsquote – erste Sofortmaßnahme müsste natürlich die Rückabwicklung des erhöhten Bürgergeldes sein – würde ermöglichen, was die Union fordert: eine Deckelung der Sozialabgaben und Steuern für Betriebe und Arbeitnehmer. Gerade die unteren Einkommensbezieher, zum Beispiel erwähnte Kassiererinnen und Dachdecker, aber zum Beispiel auch Bauern könnten davon besonders profitieren. Die Folge wäre also nicht nur eine Schonung der ausufernden Staatsausgaben. Die Folge wäre eine wachsende Attraktivität Deutschlands für Arbeitswillige und Leistungsfähige bei sinkender Attraktivität des Sozialstaates für einheimische aber nicht zuletzt auch für einwandernde Versorgungssuchende. Für „Fachkräfte“ wäre es deutlich attraktiver, als heute nach Deutschland einzuwandern oder jedenfalls nicht in (steuerlich) attraktivere andere Länder auszuwandern.

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