Die SPD und die neue Wehrbeauftragte Högl - „Ich verstehe meine Partei und ihre Spitze nur noch begrenzt“

Mit der Diskussion um die nukleare Teilhabe und die Ablöse von Hans-Peter Bartels durch Eva Högl als neue Wehrbeauftragte tut sich die SPD keinen Gefallen. Im Interview kritisiert der ehemalige Wehrbeauftragte Reinhold Robbe den Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich scharf.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich gratuliert Eva Högl zum neuen Amt / dpa
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Reinhold Robbe ist SPD-Mitglied, ehemaliger Wehrbeauftragter und früherer Sprecher des Seeheimer Kreises. 

Herr Robbe, ich habe immer gedacht, ein bisschen was von der SPD zu verstehen. Ich verstehe sie nicht mehr. Können Sie sie mir erklären?
Ich verstehe meine Partei und das Agieren ihrer Spitze in letzter Zeit auch nur noch begrenzt und kann derzeit keinen klaren Kurs erkennen.

Wie meinen Sie das konkret?
Es fokussiert sich alles auf die ebenso schlichte wie komplizierte Frage: Will die SPD in Zukunft noch Volkspartei sein? Und wenn sie diese Frage bejaht, was ja auch von der Spitze dann immer wieder zu hören ist, dann kann ich nicht verstehen, warum man Fässer ohne Not aufmacht, bei denen man nur verlieren kann. Beispiel nukleare Teilhabe. Der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich suggeriert, wenn er diese in Frage stellt, es könne einen deutschen Alleingang geben. Nichts ist schlimmer, als wenn die SPD, die auf 15 Prozent abgesackt ist, jetzt so tut, als könne sie mal eben mit links eine Debatte über die Sinnhaftigkeit der in Deutschland gelagerten Atomwaffen lostreten und dabei auch noch gewinnen. Das Gegenteil ist der Fall.

Der außen- und sicherheitspolitische Kurs des Fraktionsvorsitzenden hat sich ja auch an einer Personalfrage festgemacht, nämlich der Position des Wehrbeauftragten. Warum musste Hans-Peter Bartels gehen?
Das müssen Sie Rolf Mützenich fragen und diejenigen, die in der Fraktionsspitze dafür Verantwortung haben. Ich werde mich aus nachvollziehbaren Gründen überhaupt nicht zu einzelnen Personalentscheidungen, erst recht nicht zur Bewertung von einzelnen Personen äußern. Zumal ich zu denen gehöre, die mit allen drei in Rede Stehenden, sowohl mit Hans-Peter Bartels wie auch mit Johannes Kahrs und auch mit Eva Högl, ein freundschaftliches Verhältnis pflege. Daraus mache ich auch überhaupt kein Geheimnis: Ich halte alle drei für fähig, dieses Amt wahrzunehmen.

Reinhold Robbe / Foto: dpa

Wenn am Ende einer sagt, dann lege er alle Ämter nieder, kann etwas nicht ganz optimal gelaufen sein.

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Das ist vollkommen schiefgelaufen. Ursache hierfür ist aus meiner Sicht eine vollkommen misslungene Kommunikation zwischen den beteiligten Personen und dem Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich. Und das sage ich als jemand, der Mützenich für einen talentierten und fähigen Fraktionsvorsitzenden hält. Allerdings muss ich sagen, was Außen- und Sicherheitspolitik und was überhaupt die Themen angeht, die mit militärischen Fragen im Zusammenhang stehen, ist er seit jeher und leider bis heute ideologisch einseitig ausgerichtet. Als Fraktionsvorsitzender muss er jedoch alle nur denkbaren Aspekte im Auge haben. Er darf sich also nicht in erster Linie von seinen persönlichen, pazifistischen Positionen leiten lassen, wenn es um diese wichtigen Fragen geht.

 

Hat also hier ein Friedenspolitiker als Fraktionsvorsitzender einen sicherheitspolitischen Realo wie Hans-Peter Bartels mit großem Kollateralschaden beiseite geräumt?
Das weiß ich nicht. Ich sehe nur, dass hier etwas gewaltig schief gelaufen ist und ein so talentierter und außergewöhnlich erfolgreicher Abgeordneter, wie Johannes Kahrs, dabei Schaden genommen und die persönlichen Konsequenzen gezogen hat.

Kahrs ist aber kein Heiliger, sondern ein Mann mit Ecken und Kanten, der, sagen wir mal, das scharfe Wort nicht scheut und sich möglicherweise auch bei Manchen unbeliebt gemacht hat, so dass er nicht durchsetzbar war.
Das ist die eine Version, die man hören kann. Es gibt jedoch eine andere Version, die besagt, dass die Fraktions- und Parteiführung sich letzten Endes nicht intensiv genug für Kahrs eingesetzt hat. Ich kann nicht beurteilen, welche Version stimmt. Ja, ich kenne die Ecken und Kanten von Johannes Kahrs, ich kenne aber ebenso sein außergewöhnliches politisches Talent als Vollblut-Politiker. Er war 22 Jahre Mitglied des Bundestages, hat seinen Hamburger Wahlkreis immer direkt gewonnen. Er hat viel bewirkt als haushaltspolitischer Sprecher und hat sich kraftvoll eingesetzt für die Reform des Bundestages. Woran andere mehrmals gescheitert sind, hat er oft Erfolge erzielt. Er ist einer unserer besten, fleißigsten und erfolgreichsten Parlamentarier gewesen. Die SPD hat ihm viel zu verdanken.

Die Eignung von Frau Högl als Wehrbeauftragte wird in Frage gestellt, weil sie auf dem Gebiet bisher nicht tätig war. Sie hatten das Amt inne. Was muss man dafür können?
Es ist natürlich ein großer Vorteil, wenn man seine Laufbahn in der Außen- und Sicherheitspolitik gemacht hat und weiß, wie die Bundeswehr funktioniert. Und wenn man vor allen Dingen das komplizierte Innenleben der Bundeswehr versteht. Aber das ist nicht alles. Ich bin der erste Kriegsdienstverweigerer, der Vorsitzender des Verteidigungsausschusses war und dann anschließend auch der erste Kriegsdienstverweigerer, der Wehrbeauftragter wurde. Sogar altgediente Soldaten haben mir oftmals von sich aus gestanden: Eigentlich sind Sie, Herr Robbe, viel unabhängiger, weil sie kein Reserveoffizier sind und somit auch nicht in mentale Loyalitäten verwickelt sind, wie es ein Ex-Soldat naturgemäß ist.

Was ist die wichtigste Eigenschaft eines Wehrbeauftragten?
Zuhören zu können. Dass Politiker reden können und dass sie rhetorisch geschult sind, ist kein Geheimnis. Aber nicht jeder kann wirklich gut zuhören. Und für die Soldatinnen und Soldaten ist es von enormer Bedeutung, dass sie „auf Augenhöhe“ mit dem Wehrbeauftragten kommunizieren können. Genau zuhören, die richtigen Schlüsse ziehen und die Erkenntnisse konsequent umsetzen. Das schafft Vertrauen und hat Erfolg.

Kommen wir nochmal zum großen Bild. Die Regierungen, die Bundesregierung oder auch die Landesregierungen und die Ministerpräsidenten punkten in der Corona-Krise enorm in der öffentlichen Wahrnehmung. Warum punktet die SPD nicht?
Weil sie offensichtlich nicht die richtigen Themen besetzt. Die sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder leisten hervorragende Arbeit. Das wird aber leider nicht so wahrgenommen, weil die SPD-Führung eine eigene Agenda hat. Es hat mal jemand gesagt, die SPD müsse mehr sein als eine Holding von Minderheiten.

Das war Franz Müntefering.
Ja, das passt gut zu Münte. Die existenzielle Frage für die SPD ist: Will sie in Zukunft noch Volkspartei sein? Wir brauchen innerhalb der Sozialdemokratie jetzt eine offene und ehrliche Debatte darüber, ob wir dieses Ziel weiterhin verfolgen. Wenn es so sein sollte, dass wir nur als Sprachrohr von Minderheiten wahrgenommen werden, dann geht das schief. Diese Felder sind schon von anderen Parteien besetzt und werden dort auch glaubwürdiger wahrgenommen. Für die SPD besteht gerade in diesen schwierigen Zeiten eine große Chance darin, dass wir die Frage beantworten, wie soll unser Land in vierzig, fünfzig Jahren aussehen.

Zum Beispiel?
Zum Beispiel die Frage, wie es um die elementaren Freiheitsrechte in einer spätkapitalistischen Welt bestellt ist. Dann die Frage der Modernisierung unserer sozialen Marktwirtschaft und die Nutzung der Künstlichen Intelligenz, um international konkurrenzfähig zu sein. Das Bedürfnis der Menschen nach umfassender Sicherheit, muss zu den Kernaufgaben der Sozialdemokraten zählen. Auch die Frage der globalen Gerechtigkeit. Wenn selbst der Entwicklungshilfeminister Gerd Müller von der CSU mit Blick auf die Probleme in den unterentwickelten Staaten den Kapitalismus in Frage stellt, dann müssen doch wir als Sozialdemokraten die Vorreiter für konkrete Visionen sein. Ebenso sollte die SPD als Sprachrohr der Kultur- und Medienschaffenden wahrgenommen werden.

Warum passiert das nicht?
Da fehlt es mir, das muss ich in aller Deutlichkeit sagen, insbesondere an Impulsen der beiden Parteivorsitzenden. Parteivorsitzende müssen Generalisten sein und dürfen nicht fokussiert sein auf wenige Themen, die sie persönlich für die wichtigsten halten. Und die Vorsitzenden müssen in der Lage sein, diese Dinge nach außen so kompetent, glaubwürdig und überzeugend zu vertreten, dass sie - wenn es erforderlich sein sollte - damit auch als Kanzlerkandidat zur Verfügung stehen. Diese Fragen sind ungelöst in der Partei und bedürfen dringend einer Antwort.

Wer wäre Ihrer Meinung nach der richtige Kanzlerkandidat?
Für mich zählen auf jeden Fall Olaf Scholz, Hubertus Heil und Franziska Giffey dazu. Sie leisten eine ausgezeichnete Arbeit und bekommen dafür auch den Respekt der Bevölkerung und Wählerschaft. Für die SPD insgesamt gilt das in Außenwahrnehmung leider nicht. Sonst lägen wir nicht bei 15 Prozent in den Umfragen.

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