Wahlrechtsreform - Es kommt nicht auf die Größe an

Der Bundestag ist zu groß. Da sind sich alle einig. Doch wie kann man ihn kleiner machen, ohne den Bezug zum Bürger zu verlieren? Schließlich sind Direktwahlkreise das Rückgrat der Demokratie. Stefan Müller (CSU) hat da eine Idee.

Der Bundestag soll kleiner werden, nur wie? Die CSU macht einen Kompromissvorschlag / dpa
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Autoreninfo

Stefan Müller ist seit 2009 Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag. Von Dezember 2013 bis Oktober 2017 war er Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung. Müller ist seit 2002 Mitglied des Bundestages.

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Stefan Müller ist Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag. 

Um eine weitere Vergrößerung des Bundestages zu verhindern, wollen wir das Wahlrecht reformieren. Das wird jedoch nicht einfach. Denn jede Partei hat in diesem Prozess unterschiedliche Interessen. Es gibt zu viele Zielkonflikte, um allen Wünschen gerecht zu werden. Und gerade deshalb ist es wichtig, um das Wahlrecht zu streiten. Darum zu streiten, dass der Bundestag nicht zu groß wird, aber eben auch darum zu streiten, dass nicht nur Parteien entscheiden, wer über die Landeslisten in den Bundestag einzieht.

Das wichtigste Element direkter Demokratie sind die Wahlkreise. Über die Erststimme bestimmt jeder Wähler, welcher Abgeordnete seine Region direkt vertritt. Ein wichtiger Grund, weshalb wir als Union uns so schwer damit tun, die Zahl der direkt gewählten Abgeordneten zu reduzieren.

Wahlkreise bilden das Rückgrat unseres Wahlsystems

Die 299 Wahlkreise bilden das Rückgrat unseres Wahlsystems, jeder der mit einer Erststimme direkt gewählten 299 Abgeordneten ist das Bindeglied zwischen der Region, aus der er kommt und dem politischen Berlin. 

Dieses Wahlrecht nutzt allen – nicht nur der Union. Das zeigte sich zum Beispiel 1994, als die PDS die Sperrklausel von fünf Prozent nicht erreichte und trotzdem mit 60 Abgeordneten in den Bundestag einzog. Denn schon bei drei direkt gewonnenen Mandaten gesteht unser Wahlrecht den Einzug einer Partei ins Parlament zu. Hier zeigt sich der Stellenwert eines Direktmandats im Wahlrecht.

Ein Direktmandat gibt eine andere Legitimation

Zwar ist jedes Mandat gleich viel wert – es gibt keine Abgeordneten erster und zweiter Klasse. Und doch gibt ein Direktmandat eine andere Legitimation als ein Listenmandat. Das lässt sich an zwei konkreten Punkten manifestieren: Beim Direktmandat habe ich die Rückendeckung der Mehrheit in meinem Wahlkreis.

Einen Wahlkreis zu gewinnen ist etwas anderes als über die Liste in den Bundestag einzuziehen. Und zum Zweiten bin ich eben nur diesem Wahlkreis in direkter Weise verpflichtet, was das für mich konkret bedeutet, führe ich noch aus. Das freie Mandat übt sich deutlich einfacher aus, wenn man nicht auf einen aussichtsreichen Listenplatz für die kommende Wahl schielen muss.

Der Wahlkreisabgeordnete sichert Bürgernähe

An wen haben sich die Bürger in der Coronakrise mit ihren Anliegen gewandt? Vornehmlich und zuallererst an ihren Wahlkreis-Abgeordneten. Ich bin direkt gewählt im Wahlkreis Erlangen-Höchstadt, während der Hochphase der Coronakrise liefen bei mir die Anliegen von Bürgern, Unternehmen und kommunaler Politik zusammen.

Als direkt gewählter Abgeordneter, der in seinem Wahlkreis lebt, aufgewachsen und in der Region tief verwurzelt ist, habe ich nicht nur Verständnis für die Anliegen der Menschen in meinem Wahlkreis, sondern auch ein ureigenes Interesse daran, diese Anliegen in Berlin erfolgreich umzusetzen. Ich bezweifle, dass ein Listenabgeordneter, der zwar vergeblich für einen Wahlkreis kandidiert hat, aber dort nicht einmal wohnt, eine ähnliche Bindung und Verpflichtung gegenüber den Bürgern vor Ort hat. Das zeigt: Der Wahlkreisabgeordnete sichert Bürgernähe, der Listenabgeordnete braucht Parteinähe.

Kompromissangebot für 2021

Unser Kompromissangebot für die Wahl 2021 sieht eine Kombination aus ausgleichslosen Überhandmandaten und maßvoller Reduzierung der Wahlkreise auf 280 vor. Uns als Union ist wichtig, diese regionale Komponente nicht ins Leere laufen zu lassen. Noch einmal: Direkt gewählte Abgeordnete sind das Rückgrat unserer Demokratie.

Daher ist es wichtig, darüber zu reden, wie andere mit Wahlkreisen umgehen wollen. Wer, wie die SPD, darüber redet, Wahlkreise mit vergleichsweise schlechtem Erststimmenergebnis einfach nicht zuzuteilen, hat unser Wahlsystem nicht verstanden. Das ist nicht nur verfassungswidrig, sondern auch schlicht falsch. Ich habe meinen Wahlkreis noch nie zugeteilt bekommen, sondern wurde – wie jeder der 299 Wahlkreisabgeordneten – von den Wählern mit der Erststimme direkt in den Bundestag gewählt.

Bundestag bleibt weiter nah beim Wähler vor Ort

Weil die Direktmandate im Wahlrecht einen so hohen Stellenwert haben, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Wahlrecht der Politik Spielraum gegeben, dass Überhangmandate nicht ausgeglichen werden müssen.

Zusammen mit einer moderaten Reduzierung der Wahlkreise, mit der automatisch auch eine Reduzierung möglicher Überhangmandate einhergeht, sorgen die ausgleichslosen Überhangmandate dafür, dass der Bundestag weiter nah beim Wähler vor Ort bleibt und das Reichstagsgebäude in Berlin nicht aus allen Nähten platzt.

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