Wahlkampf 2021 - Feigheit vor dem Feind

Wir erleben einen Wahlkampf wie unter einem Narkotikum. Das hat auch historische Gründe. Doch die Hauptverantwortung dafür trägt die CDU. Statt die politischen Gegner hart zu attackieren, kneift man bei zentralen Fragen wie Klima, Verkehr und Migration. Doch mit Feigheit gewinnt man keine Wahl.

Der Besuch im von der Flut getroffenen Stolberg war Pflichtprogramm. Keiner der Kanzlerkandidaten konnte dabei punkten / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

So erreichen Sie Alexander Grau:

Anzeige

Wenn Wahlkampf von kämpfen kommt, dann scheint der Wahlkampf dieses Jahr auszufallen. Vielleicht ist es Sentimentalität. Vielleicht ist es Nostalgie. Aber irgendwie kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass frühere Wahlkämpfe engagierter, leidenschaftlicher und eben kämpferischer waren.

Natürlich ist es so, dass die Bundesrepublik, gemessen an anderen Demokratien, nie eine ausgesprochene Streitkultur hatte. Wahlkämpfe waren hierzulande immer kommod und verträglich. Das hatte verschiedene Gründe. Die Erfahrungen von Weimar gehören dazu. Die Scheu vor politischen Propagandainszenierungen. Aber auch die Sozialpartnerschaft in der alten Bundesrepublik, die allzu klassenkämpferische Töne unpassend erschienen ließ.

Dennoch gelang es CDU und SPD lange Zeit, ihre jeweilige Programmatik zumindest symbolisch zuzuspitzen und polemische Akzente zu setzen. Sei es in Form des ritualisierten Antikommunismus der Union, der bis in die 70er Jahre gepflegt wurde („Freiheit oder Sozialismus“). Sei es in Gestalt einschlägiger Forderungen nach sozialen Reformen, Abrüstung oder gesellschaftlicher Modernisierung seitens der Sozialdemokratie.

Wo bleiben Aktionen wie die Rote-Socken-Kampagne?

Noch die 90er Jahren waren von Wahlkämpfen geprägt, die zumindest teilweise ihren Namen verdienten. Legendär etwa die Rote-Socken-Kampagne des damaligen CDU-Generalsekretärs Peter Hintze 1994. Und auch noch der Wahlkampf 1998, von der sagenumwobenen Kampa vollständig auf Gerhard Schröder zugeschnitten, hatte die Aura des Kämpferischen.

Aus und vorbei. Die Ursachen dafür sind vielfältig.

Eine liegt in dem eben angesprochenen Wahlkampf 1998. Um bürgerliche Wähler einzubinden, hatte die Kampa die Parole von der neuen Mitte ausgegeben. Seitdem ist die imaginäre Mitte der Sehnsuchtsort aller Wahlkämpfer. Wenn aber alle Mitte sein wollen, werden Kontroversen kaum aufkommen. 2005 dann versuchte die CDU den schon schwer angeschlagenen Gerhard Schröder mit aggressiver Rhetorik und einer konturierten Programmatik (der berühmte Leipziger Parteitag 2003) niederzuringen – und scheiterte fast. Es folgte eine stilistische Kehrtwende erster Ordnung. Seitdem kultivierte man im Konrad-Adenauer-Haus die asymmetrische Demobilisierung – also das gezielte Verweigern von Kontroversen, um Wähler des Gegners zu demotivieren. Unterstützt wurde diese Entpolitisierung der Wahlkämpfe durch den zunehmend präsidialen Politikstil der Angela Merkels („... der Partei,der ich nahestehe“).

Allein die Grünen zeigen, wo die Reise hingehen soll

Der sedierte Wahlkampf dieses Sommers hat allerdings auch sehr gegenwärtige Ursachen. Die Oppositionspartei AfD findet medial nicht statt und wird weitgehend boykottiert. Die Linke ist mit sich selbst beschäftigt. Die FDP bemüht sich immerhin mit gewissem Erfolg, dringt aber gegen die alles beherrschenden Schlagzeilen nicht immer durch. Und die SPD ist marginalisiert. Bleiben Grüne und CDU.

Interessanterweise sind es die Grünen, denen man am wenigsten vorwerfen kann, sich einem akzentuierten Wahlkampf zu verweigern. Das grüne Wahlprogramm, das grüne Sofortprogramm, die Pläne für ein Klimaministerium mit weitreichenden Eingriffsrechten: All das zeigt deutlich, wohin die Reise gehen soll, wenn es nach dem Willen der Partei mit der Sonnenblume geht.

Eigentlich eine Steilvorlage für die CDU. Doch die ist scheintot. Nach 16 Jahren Merkel ist der ehemaligen Wahlkampfmaschine jedes Leben abhandengekommen. Die andauernde Demobilisierung hat vor allem nach innen gewirkt. Hinzu kommt schlichte Angst: vor dem umworbenen Neubürgertum, vor den CDU-Zerstörern in den sozialen Netzwerken, vor dem Zeitgeist, vor Greta, Luisa und Co.

Statt sich mutig für ein konservatives Zukunftsmodell einzusetzen, kneift man. Bezeichnend auch, dass ausgerechnet die Union, die sich früher so gut auf Symbolthemen verstand, die rücksichtslos vorangetriebene Genderisierung des Deutschen nicht aufgreift. Wo bleibt die Gegenprogrammatik? Wo die Polemik? Wo ist der Angriff? Fehlanzeige allenthalben.

Themen für einen Wahlkampf der seinen Namen verdient, gäbe es genug. Wir leben in hochpolitischen Zeiten. Solange aber die größte Partei im Bundestag meint, mit dem ideologischen Hauptgegner kuscheln zu müssen und lieber auf das eigene Lager eindrischt, solange man meint, mit Laschheit punkten zu können, werden Wahlkämpfe wie Mehltau auf diesem Land liegen. Keine gute Entwicklung für eine Demokratie.

Anzeige