Das Burkaverbot und die Schweiz als Vorbild - In Demokratiegewittern

Die Schweizer sagen Nein zur Burka und klären damit eine grundsätzliche Frage der Einwanderungsgesellschaft. In Deutschland dagegen drückt man sich bei der Beantwortung grundsätzlicher Fragen.

Auch die Deutschen sollten über ein Burkaverbot abstimmen / dpa
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Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Die Eidgenossen haben beschlossen, die Burka per Grundgesetz zu verbieten. Das Ergebnis der Volksinitiative „Ja zum Verhüllungsverbot“ wurde in Deutschland mit Stirnrunzeln zur Kenntnis genommen. Aber auch mit Kopfschütteln: Weniger als hundert Burkaträgerinnen im Schweizerland – und für so etwas bemüht man die Verfassung? Das passt zum helvetischen Minarettverbot von 2007, das ebenfalls in der Verfassung steht, obschon solche Fragen eigentlich auf der Stufe lokaler Bauordnungen abgehandelt werden könnten. 

Verrückte Schweiz? 

In der Tat, die Stimmbürger der helvetischen Republik verrücken das Verständnis der Integration. Sie sagen, was sie nicht wollen: Religion, die sich dem säkularen, dem liberalen, dem freiheitlichen Staat verweigert. In diesem Fall geht es um den politischen Islam, vor allem um dessen konservative Variante mitsamt ihrer dogmatisierten Frauenunterdrückung vom Kopftuch für Schulmädchen bis zur Vollverschleierung. 

Ja, die Schweizer hegen ein tiefes Misstrauen gegen religiöse Impertinenz: Bis 2001 verbot ihre Verfassung die Errichtung von Bistümern ohne ausdrückliche Genehmigung des Bundes. Das Verbot des Jesuitenordens sowie der Errichtung oder Wiedererrichtung von Klöstern wurde erst 1973 aus dem eidgenössischen Grundgesetz gestrichen. 

Der Kulturkampf, der die Entstehung des freisinnigen Bundesstaats von 1848 begleitete, ist ausgestanden, der säkulare Frieden mit den Katholiken geschlossen. Die republikanische Sensibilität der Bürger allerdings ist geblieben. Sie manifestiert sich heute in kritischer Beobachtung und fordernder Skepsis gegenüber der islamischen Migration. 

Deutsche Unsicherheit

Das alles unterscheidet den frühen und stolzen Schweizer Republikanismus vom späten, schambesetzten Republikverständnis Deutschlands: Das Scheitern der Weimarer Demokratie, vor allem aber die Verbrechensherrschaft des Nationalsozialismus wirken sich noch immer als demokratische Unsicherheit aus: Darf der bundesrepublikanische Bürger dezidiert gegen religiös-dogmatische Intoleranz Stellung beziehen, wie sie in islamischen Parallelgesellschaften zu beobachten ist? 

Helfen Verbote gegen eine Entwicklung, wie sie Frankreich in seinen vom Islamismus beherrschten Vorstädten, den Banlieues, mühselig zu bekämpfen versucht? Minarettverbot? Burkaverbot? Ist das nicht symbolischer Unsinn, zumal in Form eines Verfassungsgrundsatzes? 

Mehr als Symbolpolitik

Ja, die schweizerische Verfassungs-Verrücktheit ist im Wesentlichen symbolischer Natur, doch gerade darum reicht ihre Wirkung über die Grenzen des konkreten Verbots hinaus, sogar über die Landesgrenzen – bis nach Deutschland oder in den Nahen Osten, von wo jährlich Tausende Touristen in die Schweiz strömen, um im sommerlich-kühlen Berner Oberland der Wüstenhitze zu entgehen. Da huschen dann verschleierte Frauen im traditionell vorgeschriebenen Abstand hinter ihren T-Shirt tragenden Patriarchen her. In den Augen von Demokraten – von freien Menschen der freisinnigen Republik Schweiz – ist das ein unerträgliches, weil unwürdiges Bild. 
Das helvetische Burkaverbot gebietet den islamistischen Gebietern nun: Ihr passt nicht in unsere offene Gesellschaft, wenn ihr euch nicht erkennbar anpasst. 

Dass das Volk sagt, was gilt, ist schweizerische Demokratietradition. Dem deutschen Volk bleibt dieses Grundrecht – wie in repräsentativen Demokratien üblich – verwehrt. Also wäre es an den Parlamentariern, für das Volk zu sprechen. 
Diese Pflicht obliegt nicht den Politikern allein. Ganz besonders die Medien hätten dem Bedürfnis der Bürgerschaft nach Widerspruch Rechnung zu tragen: indem sie kontroverse Themen kontrovers zur Debatte stellen. 
Demokratischer Streit ist nicht unschicklich, ist weder Krieg noch Vorstufe zum Volksaufstand; er ist ein reinigendes Gewitter mit gelegentlichem Hagelschlag, das die notwendige Klärung der demokratischen Grundfrage bewirkt, wer wo was warum von wem will. 

Es kann nicht sein, es darf nicht sein, dass Wähler lediglich alle vier Jahre ihre Souveränität praktizieren. Der Souverän ist immer Souverän. Bürgerwille und Bürgerunwille, auch Bürgerquerwille müssen sich im politischen Alltag niederschlagen dürfen – ganz so, als wäre Deutschland im Geist eine direkte Demokratie wie die Schweiz. 

Duckmäusertum in der Debatte

Was aber ist die deutsche Debattenwirklichkeit? Das Migrationsproblem wird mit Duckmäusertum behandelt: Nur nicht darüber reden! Vor allem nicht über das weitverbreitete Volksunbehagen angesichts anmaßender Auftritte muslimischer Fundamentalisten, vom Ausland finanziert und einem politischen Islam verpflichtet, der die Scharia über das Grundgesetz stellt. Wer da mit Blick auf Frankreich „Wehret den Anfängen“ ruft, wird rasch ins rechtsextreme Abseits verwiesen. Also schweigt das Volk. Oder zürnt der offiziellen Politik im digitalen Netzwerk. Was dann reflexartig als „Hass und Hetze“ erklärt wird, also als undiskutierbar. 
Volksinitiative für ein Burkaverbot in Deutschland? Undenkbar! Volks-Ja zu einer religionskritischen Änderung der Verfassung: Denkbar? Um Gottes willen! 

Wer heute – im Rahmen des Grundgesetzes – die Vertreter des politischen Islams mit Forderungen nach Integration und Säkularisierung behelligen möchte, bewegt sich außerhalb der tonangebenden medial-­politischen Berliner Blase. Ein Migrationsgipfel im März offenbarte – nicht zum ersten Mal –, wer sich im Zuwanderungs-Deutschland anzupassen hat: Deutschland. 

Das Land des schlechten Gewissens

120 Verbandsvertreter der Migrationsszene setzten einen multikultibunten Strauß von Wohltaten für die Einwanderer durch. Forderungen an die Neubürger? Keine. Der Integrationsexperte Ahmad Mansour bewertete das als falsches Signal: „Integration ist nicht das Zelebrieren von Unterschieden, sondern das emotionale Ankommen in Deutschland und seinem Wertesystem, also das Verinnerlichen des Grundgesetzes und die Überzeugung, dass diese Werte eine Chance und kein Risiko sind.“

So sieht’s nun mal aus im Land des schlechten Gewissens: Die Gäste bestimmen die Gepflogenheiten, nicht die Gastgeber. 
Was ist die Volksmeinung dazu? Was sind die Gefühle derer, die in ihren Wohnvierteln mit den Problemen der Migration zu leben gezwungen sind? Mit Nachbarn aus einer provozierend illiberalen Kultur, zugewiesen von einer Elite, die nicht daran denkt, ihrerseits den Alltag mit Zuwanderern zu teilen, die sie so großspurig willkommen heißt? 

Eine Volksinitiative zu diesen Fragen brächte die Wahrheit an den Tag – schonungslos, weil nicht gelenkt und gedämpft durch die Meister der Manipulation im Milieu der Meinungsmacher. 

Womöglich erwacht in Deutschland nach dem Abgang der Tabu-Kanzlerin dann doch noch die journalistisch-politische Lust am Streit – am lauten, am krachenden, am befreienden Donnerwetter der Demokraten.
 

Dieser Text stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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