Vermögensverteilung - Die Armen sind nicht so arm, wie gerne behauptet wird

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin hat erstmals das „Rentenvermögen“ bei der Berechnung der Vermögensverteilung berücksichtigt. Und siehe da: Die Armen sind gar nicht so arm, wie sie von den Umverteilungspredigern gerne gemacht werden.

Ein älterer Mann vor der Dresdner Frauenkirche / picture alliance
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Sie taucht nicht in Wirtschaftsstatistiken auf, aber es gibt sie – die Sozialindustrie. Vertreter von Sozialverbänden, linksgrüne Politiker und Gewerkschafter, Armutsforscher und andere Wissenschaftler beschwören ständig die Verarmung der Massen.

Ein beliebter Maßstab für Reichtum und Armut ist die Vermögensverteilung. Dass diese ungleich ist, liegt auf der Hand. Die einen haben mehr geleistet als die anderen, haben geerbt oder schlichtweg Glück gehabt. Andere haben nicht geerbt und – aus welchen Gründen auch immer – in ihrem Leben kein nennenswertes Vermögen angehäuft, weder Aktien noch Immobilien.

Bei höheren Pensionen wird man schnell zum Alters-Millionär

Das Ergebnis ist bekannt und wird von den Akteuren der Sozialindustrie gerne zitiert: Das reichste Prozent der Bevölkerung hält 30 Prozent am privaten Gesamtvermögen (Finanzvermögen, Unternehmensanteile plus Immobilien minus Schulden), die untere Hälfte bringt es dagegen nur auf magere 2 Prozent.

Diese Berechnungen leiden freilich unter einem Manko: Die Ansprüche aus privaten Rentenversicherungen werden bei den „Reichen“ berücksichtigt, die Ansprüche an die gesetzliche Rentenversicherung dagegen nicht, ebenso wenig der Barwert der Pensionsansprüche von Beamten. Barwert heißt: So viel müsste man auf dem Konto haben, um bis zum Ende der statistischen Lebenserwartung jeden Monat einen bestimmten Betrag abheben zu können. Bei höheren Pensionen wird man da schnell zum Alters-Millionär.

Untere Hälfte der Haushalte: Rentenvermögen von rund 67.000 Euro

Jetzt hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin erstmals das „Rentenvermögen“ bei der Berechnung der Vermögensverteilung berücksichtigt. Das betrifft den Gegenwartswert (Barwert) der Ansprüche an die gesetzliche Rentenversicherung, betriebliche Altersvorsorge und Beamtenpensionen. Und siehe da: Die Armen sind gar nicht so arm, wie sie von dem Heer der Armutsforscher und Umverteilungsprediger gerne gemacht werden.

Nach Berechnungen des DIW beläuft sich das Vermögen der unteren Hälfte der Haushalte auf 95.000 Euro, wenn man das Rentenvermögen von rund 67.000 Euro miteinbezieht. Das steigert den Anteil der „armen Hälfte“ am Gesamtvermögen von 2 auf 9,2 Prozent.

 

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Dadurch ändert sich natürlich nichts an der ungleichen Verteilung der Vermögen. Da aber die Rentenansprüche bei den „Reichen“ keine große Rolle spielen, reduziert sich der Anteil des reichsten Prozents von 30,1 auf 20,4 Prozent. Die Mittelschicht steht dagegen bei Einbeziehung des Rentenvermögens besser da. Ihr Anteil am Gesamtvermögen steigt von 34,5 auf 41 Prozent. Der Vermögensanteil der oberen 10 Prozent, also einschließlich der Top-Vermögenden, fällt von 63,5 Prozent auf 50 Prozent.

Zweifellos kann man ein Rentenvermögen von 67.000 Euro nicht gleichsetzen mit einem Wertpapierdepot in derselben Höhe. Denn Rentenansprüche kann man nicht in Bargeld umwandeln, beleihen und nur bedingt vererben in Form einer Witwen- oder Witwerrente. Aber sie bei der Berechnung des Gesamtvermögens mit null anzusetzen, ergibt auch keinen Sinn.

Nehmen wir einen hochrangigen Beamten oder Politiker, dem im Ruhestand 6000 Euro im Monat zustehen. Das entspricht beim Eintritt in den Ruhestand einem Barwert von rund einer Million Euro. Bei einem Selbständigen, der denselben Betrag als Altersvorsorge gespart hat, schlägt diese Million in der Vermögensverteilung zu Buch. Der Beamte oder Politiker gilt in den gängigen Berechnungen der Vermögensverteilung dagegen als mittellos.

Groteske Logik der Sozialindustrie

Dabei können hohe Staatsdiener oder Politiker dank ihrer Pensionsansprüche sehr reich sein. Als die SPD-Ministerinnen Heidemarie Wiezcorek-Zeul und Ulla Schmidt 2009 aus dem Kabinett ausschieden, standen ihnen monatlich 9.430 bzw. 8.410 Euro an Minister-Pension zu. Wie der Finanzanalytiker Volker Looman damals errechnete, hatten diese Rentenansprüche einen Barwert von 2,3 bzw. 2,1 Millionen Euro.

Was die Sache besonders grotesk erscheinen lässt: Der Selbständige hat seine private Altersvorsorge aus versteuertem Einkommen angespart und gilt als reich. Beamte und Politiker müssen dagegen keinen einzigen Euro dafür aufwenden und gelten statistisch als arm. Das mag den Armutsforschern und anderen Akteuren der Sozialindustrie logisch erscheinen – aber nur denen.

DIW: Denkfabrik für alle, die mehr Umverteilung fordern

Die DIW-Forscher kommen jedenfalls zu dem Schluss, dass „die Einbeziehung des Rentenvermögens in die Vermögensbetrachtung äußerst relevant (ist), um bestehende Ungleichheiten und vor allem um die implizite Wirkung von Rentenreformen auf die Vermögenssituation zu bewerten und international aussagekräftige Vergleiche zu ermöglichen“.

Dass ausgerechnet das DIW das Rentenvermögen bei der Vermögensbetrachtung berücksichtigt, kommt überraschend. Zum einen ist das Institut eine inoffizielle Denkfabrik für alle, die mehr Umverteilung fordern. Zum anderen hat DIW-Chef Marcel Fratzscher, selbst häufig Stichwortgeber für die Sozialindustrie, sich bisher entschieden gegen die Berücksichtigung von Forderungen an die Sozialversicherungssysteme gewandt. In seinem Buch „Verteilungskampf“ schreibt er, die Einbeziehung der Ansprüche der Bürger an den Staat würde „nichts an der Vermögensarmut der meisten Deutschen ändern“.  

Nun spricht es ja nicht gegen das DIW, dass einzelne Forscher zu anderen Ergebnissen kommen als ihr Chef. Mal sehen, ob Fratzscher in seinen zahllosen Aufsätzen über die ungleiche Vermögensverteilung die neuesten Zahlen aus dem eigenen Institut berücksichtigt. Auf eines dürfte er aber kaum verzichten: auf seine ständigen Forderungen nach höheren und neuen Steuern für „die Reichen“. 

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