„Verharmlosung" von Kriegsverbrechen - Kriminalisierung des politischen Gegners

Indem der Bundestag am 20. Oktober den Volksverhetzungsparagraphen dahingehend verschärfte, dass nun bestraft werden kann, wer Kriegsverbrechen „billigt, leugnet oder gröblich verharmlost“, hat er der Gesinnungsjustiz Tür und Tor geöffnet. Schon die öffentlich gestellte Frage, ob sich ein Kriegsgeschehen so oder anders abgespielt hat, könnte künftig zu einer Verurteilung führen.

Reif für den Knast? Prorussische Demonstranten in Freankfurt am Main / dpa
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Autoreninfo

Gerhard Strate ist seit bald 40 Jahren als Rechtsanwalt tätig und gilt als einer der bekanntesten deutschen Strafverteidiger. Er vertrat unter anderem Monika Böttcher, resp. Monika Weimar und Gustel Mollath vor Gericht. Er publiziert in juristischen Fachmedien und ist seit 2007 Mitglied des Verfassungsrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer. Für sein wissenschaftliches und didaktisches Engagement wurde er 2003 von der Juristischen Fakultät der Universität Rostock mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet. Foto: picture alliance

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Als der Deutsche Bundestag am 20. Oktober zur namentlichen Abstimmung schritt, lagen viele Bürger mutmaßlich bereits im Bett. Es war etwa 22:30 Uhr, und auch mancher Abgeordnete mag sich einfach gewünscht haben, dieses letzte Votum des Tages noch schnell hinter sich zu bringen. Der betreffende „Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes“ aus der Feder der Bundesregierung liest sich bürokratisch und unspektakulär, sodass der Gegenstand der Abstimmung wohl nur wenige Beobachter interessiert haben mag.

Dies änderte sich am nächsten Morgen schlagartig, als sich herausstellte, dass zeitgleich auch § 130 Strafgesetzbuch (Volksverhetzung) eine bedeutende Verschärfung erfahren hatte. Möglich machte es das umstrittene Omnibusverfahren: Sachfremde Gesetzesvorhaben werden in einem bereits laufenden Gesetzgebungsverfahren versteckt und als Kuckuckseier mit ans Ziel befördert. Die Omnibusmethode eignet sich deshalb hervorragend dazu, fragwürdige Vorhaben ohne größere Diskussionen zur Abstimmung zu bringen.

Die Rolle des Kuckucks übernahm in diesem Fall der Rechtsausschuss: Mit seiner Beschlussempfehlung legte er dem Gesetzesvorhaben nur einen Tag vor der Abstimmung das fremde Ei ins Nest. Da § 130 StGB in der neuen Fassung eine deutliche Einschränkung der Meinungsfreiheit bedeutet, wären im regulären Verfahren erhebliche öffentliche Diskussionen zu erwarten und auch notwendig gewesen. So aber musste eine letzte lustlose Aussprache vor der Abstimmung, von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau mit 26 Minuten veranschlagt, für diese weitreichende Novellierung genügen.

Viel Arbeit für Winston Smith

Die neue Fassung von § 130 StGB stellt künftig „Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe“ demjenigen in Aussicht, der „eine Handlung der in den §§ 6 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art […] öffentlich oder in einer Versammlung in einer Weise billigt, leugnet oder gröblich verharmlost, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt […] aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören“. Das Gesetz in dieser novellierten Form kann nur als gefährlich schwammig bezeichnet werden. Seine Anwendung bedürfte zunächst einer Definition des Unsagbaren. Doch die formale Aburteilung eines Kriegsverbrechens nach dem Völkerstrafgesetzbuch ist nicht Bedingung für eine Verurteilung nach § 130 [5] StGB. Es obliegt somit einer toxischen Mischung aus öffentlicher Meinung und der persönlichen Auffassung von Staatsanwälten und Richtern, welches Kriegsverbrechen als erwiesen betrachtet und dessen „gröbliche Verharmlosung“ somit unter Strafe gestellt werden sollte.

Auch der Bedeutungsinhalt des Wortes „gröblich“ wird in der Praxis zu erheblichen Problemen führen. Das bedeutet im schlimmsten Fall, dass künftig alleine die öffentlich gestellte Frage, ob sich ein Kriegsgeschehen so oder anders abgespielt hat, zu einer Verurteilung wegen Volksverhetzung führen könnte. Anders als im Fall der Holocaustleugnung ist die strafbewehrte Handlung weitgehend undefiniert. Während der Holocaust in seiner grauenhaften Singularität umfassend dokumentiert und unbestritten ist, entziehen sich viele andere Kriegsverbrechen den Bemühungen des neutralen Chronisten.

 

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Diese Tatsache wird sich durch die Gesetzesnovelle noch verschärfen: Auch Historiker und Verfasser von Geschichtsbüchern könnten sich plötzlich als Dorn im Auge des Gesetzes wiederfinden, je nachdem, ob ihre Einordnung eines Kriegsgeschehens gerade en vogue ist oder nicht. Die Neufassung von § 130 StGB kollidiert somit nicht nur mit dem Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit, sondern auch mit der Freiheit der Wissenschaft. Ein wenig erinnert diese Entwicklung an den unglücklichen Winston Smith aus George Orwells Roman „1984“, dessen Berufsleben daraus besteht, die Literatur der Vergangenheit der offiziellen Linie anzupassen und ärgerliche Abweichungen nachträglich auszulöschen.

Die Bundesregierung gibt sich bei alldem völlig ahnungslos. So twitterte das Bundesjustizministerium am 24. Oktober scheinbar blauäugig: „Die Europäische Kommission hat gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Zur Klarstellung der geltenden Rechtslage wurde deshalb das StGB in Paragraf 130 um Art. 5 ergänzt. Wichtig: Eine praxisrelevante Erweiterung der Strafbarkeit ist damit nicht verbunden.“

Ein legalistischer Staatsstreich

Das ist definitiv falsch. Die Verankerung neuer Delikte im Strafgesetzbuch erweitert selbstverständlich die Strafbarkeit, denn worin sollte sonst ihr Sinn bestehen? Vielleicht hilft ja die nächtliche Müdigkeit der Abgeordneten weiter, die in ihrem Bemühen, den Arbeitstag endlich zu beenden, stärker zu Klartext neigen als sonst. So jedenfalls Canan Bayram, Abgeordnete der Grünen und Mitglied des Rechtsausschusses. In ihrem Redebeitrag kurz vor der Abstimmung erklärt sie unverblümt die Abgeordneten auf der rechten Seite des Hauses zu den Adressaten dieses Gesetzes: „Aber wen wundert es, dass die AfD dagegen ist, denn es ist doch Ihr Geschäftsmodell, das Sie durch dieses Gesetz gefährdet sehen, meine Damen und Herren. Ihre Politik besteht doch nur daraus, durch ständige Provokation die Grenze des Sagbaren weiter nach rechts zu verschieben. Sie wollen Menschen zu Hass und Gewalt aufstacheln. Damit machen wir jetzt Schluss, meine Damen und Herren!“

Die Novellierung von § 130 StGB lässt durch ihre fast völlige Unbestimmtheit jede Menge Raum für die Kriminalisierung des politischen Gegners. Darin liegt wohl der eigentliche Grund für den Schweinsgalopp, den die Bundesregierung bei ihrem legalistischen Staatsstreich an den Tag legte. Die Staatsanwaltschaften jedenfalls werden alle Hände voll damit zu tun bekommen, in anderen Teilen der Welt begangene Kriegsverbrechen zu verifizieren und zu bewerten. Inwieweit sich diese über das eigene Staatsgebiet hinausreichenden Ermittlungsbemühungen mit dem Territorialprinzip vereinbaren lassen, ist eine weitere ungeklärte Frage.

Fakt ist: Die gesetzliche Konstruktion möglichst vieler Meinungsdelikte, wie sie in den letzten Jahren in Mode gekommen ist, hat nun einen traurigen Höhepunkt erreicht. Diese Gesinnungsjustiz trägt absolut nichts zum friedlichen Zusammenleben bei: Der Versuch, immer weitere Kreise der Bevölkerung durch immer neue Straftatbestände zu kriminalisieren und sie durch eine schwammige Rechtslage mundtot zu machen, ist ursächlich für die gesellschaftliche Spaltung unserer Zeit.

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