Ursula von der Leyen - Europas First Lady

Ursula von der Leyen ist zur ersten Frau an die Spitze der EU-Kommission gewählt worden. Das ist ein wichtiges Signal. Noch wichtiger aber könnte ihre Herkunft sein. Obwohl ihre Nationalität qua Amt egal sein muss, die EU und die ganze Welt werden darauf achten, wie die Deutsche sich fortan verhält

Gesten einer Gewählten: Ursula von der Leyen ist neue EU-Kommissionspräsidentin / picture alliance
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Es waren gerade die Gegner von Ursula von der Leyen, die vor ihrer Wahl zur Kommissionspräsidentin mit der „Stunde des Parlaments“ gedroht hatten. Gemeint war damit, dass die EU-Abgeordneten auf Konfrontationskurs zum Europäischen Rat hätten gehen können, indem sie die bisherige deutsche Verteidigungsministerin als dessen Vorschlag ablehnen. Dies hätte ein Zeichen dafür sein sollen, dass sich das Ergebnis der Europawahlen von Ende Mai auch wirklich niederschlägt – und zwar als Votum gegen eine Nicht-Spitzenkandidatin. Aber wäre es wirklich eine Stärke des Parlaments gewesen, wenn von der Leyen abgelehnt worden wäre? Noch einmal hätte der Rat sich mit dem kompromissintensiven Finden eines Kandidaten oder einer Kandidatin befassen müssen. Möglicherweise hätte man sich dann auf eine Kandidatin einigen können, die keiner der beiden größeren, aber bedeutend geschrumpften Parteien von Sozialdemokraten und Konservativen angehört: Margrethe Vestager von der liberalen Alde-Fraktion.

Aber bis es dazu gekommen wäre, hätten die Schlagzeilen auf der ganzen Welt wohl so oder so ähnlich gelautet: „Die EU rutscht ab in ihre nächste große Krise“. Selbst wenn man versucht hätte, diese Krise als Chance zu begreifen, um dringend notwendige strukturelle Reformen durchzuführen – das Bild, das die Europäische Union nach außen abgegeben hätte, wäre jenes gewesen, das uns von anderen Staaten seit jeher entnervt gespiegelt wird: das einer uneinigen Union. Die Europäische Union, als ewiger EUphemismus.

Ein Scheitern hätte zur Krise geführt

Das wäre zunächst nicht weiter schlimm gewesen, denn die Gemeinschaft der Europäischen Staaten bleibt mit ihren rund 500 Millionen Menschen eine bedeutende Wirtschaftsmacht auf diesem Planeten, mit allen daraus folgenden für uns positiven Konsequenzen. Doch die Zeiten könnten sich schneller ändern, als es derzeit scheinen mag. Noch sind Folgen der Bankenkrise und der Eurokrise, wie etwa die hohe Jugendarbeitslosigkeit in vielen EU-Staaten, nicht behoben. Noch steckt die EU mitten in der Flüchtlingskrise, bislang ohne Einigung und ohne Aussicht auf Besserung der Situation in den Herkunftsländern der Geflüchteten. Noch stehen die EU und Großbritannien vor einem heißen Brexit-HerbstAusgang ungewiss.

Ein weltwirtschaftlicher konjunktureller Abschwung bedroht auch die EU. Denn hinzugekommen sind derweil all die drastischen weltweiten Veränderungen wie Handelskonflikte und Schwächungen von bislang als beständig geglaubten Institutionen wie der Welthandelsorganisation (WTO). Es erwachsen neue und alte Wirtschaftsmächte. Und erst recht fordern uns die Globalisierung, die Digitalisierung und die Bewältigung des Klimawandels mehr heraus, als vieles bisher Dagewesene. Die EU muss also mehr denn je und schneller denn je handeln können und dies auch ausstrahlen.

Es mag eine schöne Idee für einige sein, von einem demokratischeren Europa zu träumen, in dem die Bürger direkteren Einfluss auf die Wahl eines Kommissionspräsidenten oder einer Kommissionspräsidentin haben. Aber ist angesichts dieser Weltlage jetzt die richtige Zeit, diesen Traum zu träumen? Die „Stunde das Parlaments“ hat tatsächlich geschlagen, die Abgeordneten haben den Wecker nicht überhört. Das Parlament hat mehrheitlich, in geheimer Wahl, entschieden, aufzuwachen. Für Ursula von der Leyen stimmten 383 Parlamentarier, 327 lehnten sie ab. Das ist kein gutes Ergebnis. Es sind nur 9 Stimmen mehr als die notwendige absolute Mehrheit. Ob die Stimmen für sie nun von rechts, von links oder doch vor allem aus der Mitte kamen, lässt sich kaum verlässlich erfahren.

Endlich eine echte First Lady

Doch das ist gut so, denn so kann dies zumindest für ihre künftige Rolle guten Gewissens unerheblich sein. Diese Form der Selbstbeschäftigung würde zu nichts führen. Die EU hat es trotz aller Schwierigkeiten zunächst geschafft, mit einem klaren Votum ein klares Signal in die Welt zu senden. Ob dies so bleibt, wird von der Leyen beweisen müssen, gerade in ihrem Verhältnis zu den Fraktionen im Parlament. Aber auch im Austarieren der Macht-Balance zwischen dem Parlament und dem Rat der EU-Regierungschefs.

Dass nun erstmals eine Frau die höchste Europäische Behörde leitet, sollte uns egal sein. Doch auch diese eigentliche Selbstverständlichkeit ist oftmals noch ein Traum, aus dem man erwachen sollte. Denn die Symbolik einer solchen Wahl ist nach wie vor von großer Bedeutung. Noch vor den USA, haben die EU-Staaten damit bewiesen, dass sie in der Lage sind, Standards zu setzen, auch in Sachen Gleichberechtigung. Ursula von der Leyen ist nun Europas First Lady – aber mit einer ganz anderen Bedeutung als nach wie vor in vielen anderen Teilen der Welt. Erstmals sitzt nun eine Deutsche seit 1967 wieder an der Spitze der EU-Kommission. Auch das müsste eigentlich egal sein, qua Amt muss es sogar egal sein. Doch das ist es im Grunde nur auf dem Papier. Denn natürlich werden die Welt und vor allem unsere EU-Partner darauf achten, wie sich die Deutsche in diesem Amt machen wird und vor allem was sie machen wird. Wie sehr wird sie wirklich europäisch handeln und nicht nur sprechen?

Sie kann Familie, doch es locken Wahlverwandtschaften

Ursula von der Leyen kann und muss nun beweisen, dass Deutschland bereit ist und in der Lage ist, Verantwortung zu übernehmen, aber eben ohne vor allem die eigenen Interessen im Blick zu haben. Das wird keine einfache Angelegenheit, denn die gebürtige Brüsselerin und Wahl-Niedersächsin wird von Deutschland aus mit ebenso wachen Augen beobachtet werden. Sie wird kaum ernsthaft gegen deutsche Interessen Politik machen können.

In ihrer Rede im Europaparlament vor ihrer Wahl bemühte Ursula von der Leyen in Bezug auf die Europäische Union das Bild einer großen Familie, von Ehe und von Liebe, die über die Jahrzehnte vielleicht nicht größer, dafür aber tiefer würde. Man mag ihr glauben – analog zur ihrer Lebensgeschichte – dass sie tatsächlich in der Lage ist, auch diese EU-Familie zu managen.

Lieber Club statt Familie

Doch Familie, das kann immer auch unerbittlichen und sogar unversöhnlichen Streit bedeuten. Ursula von der Leyen hat es bei den Staaten teils mit Kindern zu tun, die flügge werden, mit renitenten Teenagern, mit unliebsamen Tanten und mit nervigen Onkeln samt fragwürdiger Ansichten. Die Union strebt auseinander. Denn nicht erst seit Goethe ist bekannt, auch Wahlverwandtschaften haben ihren Reiz. Es locken Russland, China und die USA. Das Familiensilber droht, verscherbelt zu werden.

Aus oftmals unliebsamen EU-Familientreffen sollte Ursula von der Leyen deshalb versuchen, vielmehr einen Club zu machen, in den wieder jeder unbedingt reinkommen möchte. Womöglich schafft man das am ehesten mit einer „harten Tür“ – sowohl in Bezug auf Mitgliedskandidaten und den von ihnen zu erfüllenden Kriterien, als auch hinsichtlich der Rechtsstaatsverletzungen von Mitgliedsländern, als auch bei den Brexit-Verhandlungen, als auch beim Schutz der EU-Außengrenzen.

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