Unterricht in der Pandemie - „Wir haben uns noch so viel Unterrichtsstoff selbst beigebracht“

Alle reden davon, dass der Unterrichtsausfall durch Corona Schülern schadet. Bayerns Landesschülersprecher Moritz Meusel findet, dass der Mix aus Digital- und Präsenzunterricht die Klassen auch zum selbständigen Lernen erzogen hat. Die Öffnung der Schulen verknüpft er mit der Forderung nach mehr Sicherheit.

Von wegen: Hängematte. Im Homeschooling müssen sich die Schüler den Stoff selbst erarbeiten / dpa
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Autoreninfo

Sina Schiffer studiert an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn Politik und Gesellschaft und English Studies. Derzeit hospitiert sie bei Cicero. 

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Moritz Meusel ist seit Januar 2021 Landesschülersprecher Bayerns. Er geht in die 11. Klasse des Franz-Ludwig-Gymnasiums in Bamberg und vertritt die Interessen der Gymnasialschüler in ganz Bayern. 

Lieber Herr Meusel, in einem Interview mit dem Fränkischen Tag haben Sie gesagt, „Die Politik spielt mit dem Leben der Schüler“. Wie meinen Sie das? 

Es wurde zum damaligen Zeitpunkt und auch heute viel im Gesundheitsschutz versäumt und viel zu wenig getan. Da gibt es ganz dringenden Nachholbedarf. 

Wo sehen Sie diesen denn genau? 

Wir brauchen zunächst einmal eine regelmäßige und flächendeckende Testung für Schüler und die gesamte Schulfamilie. Das ist momentan noch nicht gewährleistet und dennoch von großer Bedeutung. Ähnlich sieht es auch im ÖPNV aus. Hier muss vielerorts noch nachgebessert werden. Es kann nicht sein, dass sich die Schüler in die vollen Busse und Bahnen setzen. Da hilft auch der beste Infektionsschutzplan nichts. Außerdem brauchen wir eine Pflicht zum Tragen einer OP-Maske. Und wenn es in Richtung weiterer Öffnungen geht, müssen für alle Schüler ausreichende Abstände gesichert werden. 

Haben Sie sich insbesondere zu Beginn des Wechselunterrichtes wie ein „Versuchskaninchen“ gefühlt? 

Absolut! Zum damaligen Zeitpunkt war das ganze Land in einem strikten Lockdown. Fast überall war man im Home-Office. Es war also fahrlässig, dass man dann gerade die Schulen mit diesem Hygienekonzept zurückgeschickt hat. 

Seit Beginn der Pandemie und dem Unterricht auf Distanz wird auch die Kritik lauter, dass viele Schüler abgehängt werden. Machen Sie auch diese Erfahrung? 

Ja, leider können nicht alle Schüler gleichermaßen mitgenommen werden. Vor allem bei sozial und ökonomisch benachteiligten Schülern, aber auch bei strukturschwachen Schülern geht die Schere immer weiter auseinander. Wobei es gerade dabei wichtig ist, dass die Schulen alle Schüler mitnehmen. Wir sehen hier eine Verschiebung der Chancen- und Bildungsgleichheit. 

Können Sie denn schätzen, wieviel Prozent des Unterrichtes durch die Pandemie schon versäumt worden ist? 

Pauschal kann man das nicht sagen. Es hängt stark von dem familiären Hintergrund und Umfeld der Schüler ab. Aber es ist auf jeden Fall eine Menge. Gleichzeitig haben wir uns auch so viel Unterrichtsstoff wie noch nie selber beigebracht. Ich würde dieses Jahr eher als eine Aufwertung für unsere Abschlüsse sehen. 

Was meinen Sie mit Aufwertung? 

Durch die derzeitige Situation erlangen viele Schüler ein hohes Maß an Selbstständigkeit und Eigenverantwortung.
Diese Eigenschaften heben uns nicht nur von den anderen Jahrgängen ab, sondern sind auch sowohl auf dem Arbeitsmarkt als auch an den Universitäten sehr gefragt.

Moritz Meusel / privat 

Seit einigen Wochen stehen nun die Selbsttests im Vordergrund der Corona-Debatte. Was erwarten Sie sich von der neuen Form des Testens? 

Es könnte ein sehr wirksames Instrument sein. Viele andere Länder haben vorgemacht, dass das sehr gut funktioniert. Vor allem wenn man die Tests regelmäßig und unkompliziert durchführt. Es gibt bereits jetzt schon viele vielversprechende Projekte wie zum Beispiel das Pooling. (Anmerkung der Redaktion: Beim Pooling werden mehrere Abstrichproben auf Virus-DNA untersucht. Nur wenn die Gesamtprobe positiv ausfällt, werden die Einzelproben nochmal separat getestet.) Ich bin da sehr optimistisch. Es könnte neben der Impfung ein Schlüssel aus der Pandemie sein. 

Seit diesem Januar sind Sie Landesschulsprecher Bayerns. Man hätte sich einen durchaus besseren Zeitpunkt für die Übernahme Ihres Amtes aussuchen können. Wieso haben Sie sich so bewusst dafür entschieden?

Ja, ein stressigerer Zeitpunkt hätte es nicht sein können, aber gleichzeitig gäbe es auch keinen schöneren. Es gibt nichts Tolleres als sich für die Interessen und Belange der Mitmenschen einzusetzen. Ich investiere dort wahnsinnig gerne meine Kraft und Energie rein. Zudem ist es ein Anreiz sich unmittelbar am bildungspolitischen Geschehen beteiligen zu können. 

Zu guter Letzt, wie sollte der Unterricht in der Pandemie funktionieren?

Der Unterricht in der Pandemie bietet durch die zwangsläufige Digitalisierung riesige Chancen. Diese sollten auch bestmöglich ausgeschöpft werden. Der Distanzunterricht kann Vieles was der Präsenzunterricht nicht kann, aber genauso auch andersrum. Doch wenn man diese Möglichkeiten bewusst umsetzt, die einem das Digitale bietet und jeden Schüler die Option gibt, unabhängig vom sozialen Hintergrund Anschluss zu finden, erst dann haben wir guten Unterricht in der Pandemie ermöglicht. Aber auch mit Blick auf den Sommer sollte der Präsenzunterricht flächendeckend sicher sein. 

Das Interview führte Sina Schiffer. 

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