Antisemitismus an Universitäten - „Man vermeidet ein klares Bekenntnis gegen Antisemitismus“

Über Jahre haben sich israelfeindliche Strukturen auch an deutschen Universitäten etabliert. Im Interview kritisiert Constantin Ganß von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, dass die Hochschulen zu lange weggesehen hätten.

Leerer Hörsaal der Humboldt-Universität (Symbolbild) / dpa
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Autoreninfo

Alexandre Kintzinger studiert im Master Wissenschafts- philosophie an der WWU Münster und arbeitet nebenbei als freier Journalist. Er ist Stipendiat der Journalistischen Nachwuchsförderung (JONA) der Konrad-Adenauer-Stiftung. 

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Constantin Ganß ist Bundesvorsitzender des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.

Herr Ganß, an vielen deutschen Universitäten gibt es Gruppierungen, die mit dem israelfeindlichen Netzwerk Samidoun in Verbindung stehen. Israelfeindliche Diskurse, die weit weg sind von einem differenzierten kritischen Austausch, finden also seit Jahren schon statt. Warum haben die Universitäten das bisher so hingenommen?

Vor vier Jahren, 2019, hat die Hochschulrektorenkonferenz die Resolution der deutsch-israelischen Studierendenkonferenz angenommen und sich damit auch die Antisemitismus-Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) gegeben. Danach dachte man, dass sich etwas im Umgang mit Antisemitismus verändern würde, Antisemitismus tatsächlich erkannt und benannt und folglich konsequent bekämpft würde. Es hat sich aber herausgestellt, dass sich dadurch sehr wenig geändert hat. Die Strukturen, die wir seit Jahren kennen, sind eigentlich immer noch dieselben. Denn die IHRA-Definition anzunehmen ist zwar richtig, es muss aber auch entsprechend gehandelt werden.

Warum haben die Hochschulen denn bisher so zurückhaltend agiert?

Einerseits ist es so, dass wir auch in akademischen Kreisen an Universitäten Antisemitismus haben. Universitäten existieren nicht losgelöst vom Rest der Gesellschaft, sondern sind darin eingebettet. Unis sind also auch nicht frei von Antisemitismus, den wir aus verschiedenen Richtungen und Spektren kennen. Man sollte meinen, die Debatte sei mittlerweile gesellschaftlich angekommen, dass Antisemitismus nicht nur von rechts kommt, sondern eben auch von links oder von Islamisten und auch in der Mitte der Gesellschaft verankert ist. 

 

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Diese Debatte findet teilweise auch an den Universitäten statt, aber offensichtlich zu wenig und in falscher Art und Weise. Man muss sich da sehr unangenehmen Wahrheiten stellen. Wenn wir uns anschauen, wie der akademische Bereich sich teilweise gegenüber Israel verhält, wie viele offene Briefe es gibt, in denen Israel einseitig die Schuld an der Situation im Nahen Osten gegeben wird, da müssten Hochschulen schon bei sich selbst anfangen und Antisemitismus nicht nur bei den anderen sehen. 

An Universitäten kommt Antisemitismus aus verschiedenen Richtungen. Zwar auch von rechts – denken wir an so manche Burschenschaft – aber eben aktuell besonders von links und aus der eigenen akademischen Wohlfühlblase, in der Jüdinnen und Juden oft keinen Platz zu haben scheinen. Der doppelte Standard gegenüber Israel ist an einigen Unis immer mehr zum Standard geworden.

An vielen Universitäten gibt es ASten, die von großen linken Mehrheiten verwaltet werden. Da spielt auch der SDS, welcher der Linkspartei nahesteht, eine Rolle, wenn es um anti-israelische Positionierungen geht. Es gibt auch Teile der politischen Linken, die sich dagegen positionieren. Gibt es ein Antisemitismus-Problem bei linken ASten?

Es stimmt, dass der SDS offensichtlich ein Antisemitismus-Problem hat. Aber ich finde, wir dürfen hier die Diskussion nicht verengen. Wir haben in der Hochschulpolitik auf Bundesebene viel gewichtigere Äußerungen von Hochschulgruppen gesehen, die sich ganz klar an die Seite Israels gestellt haben, wie die Bundesvorstände der Juso-Hochschulgruppen, der Liberalen Hochschulgruppen und des RCDS. Alle drei Bundesorganisationen haben einen Brief an den Bundeskanzler mit-unterschrieben, den wir als Junges Forum gemeinsam mit der Jüdischen Studierenden Union, dem fzs, den Parteijugenden und weiteren jüdischen Verbänden verfasst haben. 

Das heißt, es gab hier ganz klare Positionierungen an der Seite Israels und gegen Antisemitismus. Das möchte ich an dieser Stelle nochmal betonen. Es stimmt gleichzeitig, dass es Probleme in einzelnen ASten gibt, wie in Düsseldorf, wo Plakate von Entführten nicht zugelassen wurden, weil sie angeblich triggern könnten. Wie man so wenig Empathie mit den Angehörigen und den Menschen in Israel haben kann, nachdem am 7. Oktober an einem Tag so viele Jüdinnen und Juden ermordet wurden wie seit der Schoa nicht mehr, ist mir absolut unverständlich. 

Aber man kann nicht sagen, dass deswegen jetzt alle ASten ein Antisemitismus-Problem haben. Es gibt auch gewachsene Strukturen, die sich klar und konsequent gegen Antisemitismus positionieren. Als Junges Forum konnten wir beispielsweise letztes Wochenende ein Bildungsseminar zu Antisemitismus in den Räumlichkeiten des AStA der Goethe Uni in Frankfurt abhalten, nur um ein Beispiel zu nennen. Es kommt immer auf die lokalen Gegebenheiten an. Nichtsdestotrotz ist der SDS ein problematischer Akteur. Das ist aber auch schon länger so und nicht erst seit dem 7. Oktober.

Einige Universitäten scheinen auf die Ereignisse eher planlos zu reagieren. Die Universität Münster zum Beispiel hatte ein generelles Veranstaltungsverbot zum Thema Israel und Palästina ausgesprochen, ohne sich dabei die Option offen zu lassen, jeweils einzeln die Inhalte der Veranstaltung zu prüfen. Als Grund nennt man Sicherheitsbedenken.

Ich finde, dieses Statement der Universität Münster ist ein Skandal. Denn es ging hier ursprünglich darum, dass Palästina Antikolonial die Räume haben wollte, eine Gruppe, die seit Jahren offen blanken Hass gegen Israel propagiert. Dass man, obwohl es zu dem Zeitpunkt noch gar keine konkreten Anfragen gab, im Voraus Veranstaltungen verbot, die sich gegen Antisemitismus und für die Solidarität mit Israel aussprechen, ist unfassbar. Insbesondere vor dem Hintergrund des Hamas-Massakers an 1400 Zivilisten in Israel. 

Es ist scheinheilig von deutschen Universitäten, zu behaupten, es sei wegen der Sicherheit nicht möglich, Veranstaltungen gegen Antisemitismus und solchen, die sich solidarisch an die Seite Israels stellen, Räumlichkeiten zu geben. Man vermeidet schlicht ein klares Bekenntnis gegen Antisemitismus und sendet damit eine fatale Botschaft, insbesondere an jüdische Studierende aus.

Universitäten äußern sich gerne zu gesellschaftlichen Debatten. Die aktuelle Ereignislage scheint jedoch mit ihrer Komplexität einige Universitäten zu überfordern.

Ich glaube, dass man an den Unis, im Fall von Antisemitismus und aktueller Debatten über Israel, den Ernst der Lage nicht erkannt hat. Wenn wir uns anschauen, dass laut RIAS antisemitische Vorfälle deutschlandweit am ersten Wochenende seit dem 7. Oktober im Vergleichszeitraum zum letzten Jahr um 240 Prozent zugenommen haben, dann ist auch der Campus davon nicht ausgenommen. Wir kennen Berichte von jüdischen Studierenden, die von antisemitischen Vorfällen am Campus berichten, die von Studierenden, aber genauso auch von Lehrpersonal und anderen Universitätsangestellten ausgehen. 

Constantin Ganß / Foto: Maurice Weiss

Universitäten müssen das endlich ernst nehmen. Wir brauchen Antisemitismus-Beauftragte an den Universitäten und an den Hochschulen. Denn die aktuelle Lage überfordert die klassische Arbeit von Antidiskriminierungsstellen. Die sind entweder schlicht überfordert, weil sie nicht für den Umgang mit Antisemitismus geschult sind, oder sie sind Teil des Problems. Antisemitismusbeauftragte müssen Anlaufstation für jüdische und israelische Studierende sein und bei Antisemitismus anhand der von den Unis beschlossenen IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus Mittel in die Hand bekommen, Antisemitismus zu sanktionieren. 

Daneben braucht es die Möglichkeit für psychische Betreuung von jüdischen Studierenden und auch von Israelis, die gerade ihr Auslandssemester in Deutschland machen. Die European Union of Jewish Students hat dies bereits kurz nach dem 7. Oktober gefordert. Es muss für jüdische Studierende in Deutschland möglich sein, in einem sicheren Umfeld am Campus studieren zu können. Das darf gar keine Frage sein. Dass ich das hier betonen muss, ist eigentlich eine Schande.

Und wo müssten die Hochschulen jetzt konkret reagieren?

Ich glaube, die Hochschulen müssen jetzt vor allem auf die Belange von jüdischen Studierenden hören. Es gibt lokale jüdische Hochschulverbände, aber es gibt auch die Jüdische Studierendenunion Deutschland, als Vertretung aller jüdischer Studierenden in Deutschland. Es müssen durch die Universitäten im Gespräch mit den jüdischen Studierenden schnell Strukturen etabliert werden, die den Campus für Jüdinnen und Juden wieder zu einem sicheren Ort machen.

Das Gespräch führte Alexandre Kintzinger.

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