Krise der Konservativen - Die CDU hat ihren Machtinstinkt verloren

Der Streit über die Zukunft des Konservatismus in der CDU eskaliert. Elmar Brok darf die Werteunion unwidersprochen als Krebsgeschwür bezeichnen, während sich ihre Mitglieder Drohungen ausgesetzt sehen. Höchste Zeit für die Union, darüber nachzudenken, wo sie in Zukunft stehen möchte.

Konservativ bleiben oder liberal werden? Die CDU muss sich entscheiden / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es gehört zur Tragik der Konservatismus, dass er sich laufend neu erfinden muss. Während Linke seit 200 Jahren mehr oder minder das Gleiche erzählen, waren Konservative permanent gezwungen, ihre ideologische Position zu revidieren. Was früher einmal ewige Gewissheit konservativen Denkens galt, war schon gestern fragwürdig und ist heute selbst unter bekennenden Konservativen ein Anachronismus.

Der Erfolg der Unionsparteien in der alten Bundesrepublik gründete darauf, dass man den Konservatismus der 50er Jahre zunehmend aushöhlte und stillschweigend beerdigte. Das machte ihn für Wirtschaftswunderdeutschland massentauglich. Die Union Adenauers und Kohls stand für wirtschaftlichen Erfolg und innere und äußere Sicherheit.

Lebensgefühl zwischen Reihenhaus und Mittelklassewagen

Im Grund beschränkte sich der Konservativismus der Union auf ein kleinbürgerlich-biederes Lebensgefühl zwischen Reihenhaus, Mittelklassewagen und Wohnzimmerschrankwand. Jeden intellektuellen Aufwand scheute man aus gutem Grund. Er hätte unter Umständen zu bösen Ergebnissen geführt. Etwa zu der Einsicht, dass konservativ sein und eine kritiklose Affirmation wohlstandsschaffenden Fortschritts auf Dauer nicht zusammenpassen.

Hier, in diesem verdrängten Konflikt zwischen behauptetem Konservatismus und optimistischer Fortschrittsgläubigkeit, liegt der Grundwiderspruch der Unionsparteien. In den unaufgeregten Zeiten der alten Bundesrepublik konnte man diese innere Spannung noch mit lockeren Sprüchen überdecken – man denke nur an Stoibers Aperçu von Laptop und Lederhose.

Die Sollbruchstelle konservativer Macht  

Doch Laptop und Lederhose lassen sich eben auf Dauer nicht miteinander vereinbaren, da die Globalisierungsprozesse, für die der Laptop hier steht, jede regionale Kultur (Lederhose) langfristig pulverisieren und zum Eventklamauk degradieren – wie man nicht zuletzt im Münchener Umland studieren kann.

Diese Sollbruchstelle in der konservativen Welt der Bundesrepublik begann sich nach dem Machtverlust der Union 1998 zu zeigen. In einer ganzen Reihe konservativer sozialer Mikromilieus schälten sich mit der Zeit zwei Lager heraus: ein national-liberalkonservatives einerseits und ein international-liberales andererseits. Versucht man die Differenzen beider Lager auf einen Begriff zu reduzieren, dann ist es deren Verhältnis zur Globalisierung. Steht das eine Lager den Globalisierungsprozessen im Namen nationaler Kultur und Identität kritisch gegenüber, so begrüßt die andere Fraktion diese als Garanten wirtschaftlichen Wohlstandes und technologischer Entwicklung.

Die AfD, das Produkt der Spaltung 

Ein Produkt dieser Aufspaltung der konservativen Milieus ist das Aufkommen der AfD, die Gründung der Werteunion aber auch – ich nehme einmal bewusst eher periphere Beispiele – die Spaltungen der Deutschen Burschenschaften in drei Dachverbände oder der Bruch in der Hayek-Gesellschaft in einen wirtschaftsliberalen und einen nationalliberalen Flügel. Man könnte die Liste verlängern.

Das Problem, das die Union in diesen Tagen umtreibt, ist also kein parteiinternes, sondern betrifft das gesamte konservative Milieu in all seinen Facetten. Die Wahl, die die Union dabei hat, ist im Grund erschreckend einfach: Will sie politische Leitformation dieses Milieus bleiben, oder sieht sie ihr Heil in der Linksliberalisierung der vergangenen Jahre?

Soll die CDU für eine Liberalisierung kämpfen oder sie beerdigen?  

Strategisch ist die Ausgangslage von bedrückender Schlichtheit: Möchte die Union langfristig nicht-linke Mehrheiten bilden können oder sich dauerhaft von linken Parteien abhängig machen? Möchte sie für das Projekt eines politischen Liberalkonservativismus kämpfen oder es beerdigen? Oder in Zahlen: Sieht die Union ihre Zukunft als liberalkonservative Kraft um die 30 Prozent oder in der überfüllten linke Mitte bei unter 20 Prozent?

Die Gehässigkeit („Krebsgeschwür“), mit der um diese Entscheidung gekämpft wird, zeigt, dass die Union ihre wichtigste Eigenschaft schon verloren hat: ihren Machtinstinkt.

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