Umfrage-Hochlauf der AfD - Ein Donnerwetter steht bevor

Die AfD legt ein „Sofortprogramm“ für Deutschland vor. Doch die „zehn Punkte“ sind allein auf den propagandistischen Effekt aus und nicht auf Umsetzbarkeit. Schaden tut dies der Partei indes nicht, denn ihre Gegner haben noch kein Mittel gegen die Rechtspartei gefunden. Vielleicht braucht es das Erdbeben.

Noch gute Stimmung bei der AfD: Die Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla bei einer Pressekonferenz. /dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Vor wenigen Tagen hat die AfD ein „Sofortprogramm“ für eine von ihre geführte Bundesregierung vorgelegt. Der Zeitpunkt indes ist ungewöhnlich. Erst in rund zwei Jahren steht ein neuer Bundestag zur Wahl. 

Viel eher dürfte es daher mit der Aktion um die Unterstützung der anstehenden Landtagswahlen am 8. Oktober in Hessen und Bayern gehen. Und vor allem um die Landtagswahlen von Brandenburg, Thüringen und Sachsen im Jahr 2024. Sollte es der Rechtspartei gelingen, ihre derzeitigen Umfragewerte bis dahin zu halten, droht im nächsten Jahr ein politisches Erdbeben.

AfD im Osten auf Platz 1

Nach aktuellen Umfragen führt die AfD das politische Stimmungsbild in Mecklenburg-Vorpommern mit rund 30 Prozent an, in Brandenburg mit 28 Prozent, in Thüringen mit 32 Prozent und in Sachsen mit 35 Prozent. In Sachsen-Anhalt liegt die AfD mit 29 Prozent knapp hinter der CDU, allerdings stammt die Umfrage noch aus dem Juni 2023. Die Realität dürfte längst eine andere sein. 

Wie intensiv der Eroberungssturm der AfD derzeit im Osten Deutschlands wütet, zeigt ein Blick auf die Wahlkreisprognosen für die Bundestagswahl 2025. Demnach gibt es nur noch zwei ländliche Wahlkreise, in denen die Chancen für andere Parteien besser stehen als für die AfD: Dessau-Wittenberg in Sachsen-Anhalt und Potsdam Mittelmark II in Brandenburg, also im Kanzlerwahlkreis. Der Rest Ostdeutschlands ist in fester Hand der AfD. Lediglich das hauptstädtische Berlin spielt die Rolle des widerspenstigen Galliens. Hier streiten sich CDU, SPD, Linke und Grüne um die Mandate

Wer dabei die Nase über den Osten rümpft, kann Ähnliches auch im Westen bestaunen. In Bayern kommen in den Umfragen AfD und eher rechtsgerichtete Freie Wähler derzeit zusammen auf 26 Prozent. In Baden-Württemberg erreicht die AfD allein 19 Prozent an Zustimmung. Insofern entpuppt sich zumindest der Südwesten Deutschlands politisch betrachtet zunehmend auch bloß als der kleine Osten.

Es geht um Propaganda, nicht Programmatik

Es ist diese Gesamtstimmung, in die die AfD ihr aktuelles „Sofortprogramm“ hinein platziert hat. Es geht dabei nicht um Umsetzbarkeit, sondern weitere Mobilisierung der eigenen Wähler.

Das aus insgesamt zehn Punkten bestehende Programm der AfD wartet denn auch nicht mit allzu differenzierten Veränderungsvorschlägen auf und verliert sich nicht in Details. Es passt auf rund zwei DIN-A4-Seiten und spult instinktsicher die aktuellen Streitthemen der Republik ab: Deindustrialisierung stoppen, billiger Strom für alle, weniger Steuern, Elemente direkter Demokratie, Reduzierung der Migrationsströme durch effektiven Grenzschutz, Sozialleistungen stärker leistungsorientiert ausrichten, mehr Polizei auf die Straßen, eine starke Bundeswehr, bessere Förderung von Familien mit Kindern und Stärkung der Bildung zum Beispiel durch gebührenfreie Meisterprüfungen.

Wie sehr das Kurzprogramm auf propagandistische Effekte und nicht auf Umsetzbarkeit hin angelegt ist, zeigt besonders der Programmpunkt „Gesundheit“. Mit keinem einzigen Satz erfährt man dort, wie die Partei sich eigentlich ein funktionierendes Gesundheitssystem vorstellt. Man erfährt nur eines: Dass sie viele Maßnahmen der Bundesregierung während der Corona-Pandemie radikal ablehnt und „das geschehene Unrecht juristisch aufarbeiten“ lassen wolle. Dass Gerichtsprozesse die Qualität der medizinischen Versorgung in Deutschland erhöhen würden, darf indes bezweifelt werden.

Der Populismus-Vorwurf läuft leer

Für die Gegner der AfD sind das beste Bedingungen, um deren Kurz- und Sofortprogramm als blanken Populismus abzutun. Dabei gehört es zur Wahrheit, dass auch die Wahlprogramme aller anderen Parteien für gewöhnlich selbst in erster Linie auf propagandistische Effekte abzielen. Die AfD geht dabei derzeit aber sehr viel geschickter vor als ihre politische Konkurrenz. 

Sie verzichtet auf dutzende oder gar hunderte Seiten verschwurbelter Programmatik und legt stattdessen mit wenigen Sätzen die Finger mitunter in tatsächlich klaffende politische Wunden. Ihre Fähigkeit, damit in erheblichem Umfang auch Nichtwähler an die Urnen zu treiben, ist ungleich größer als bei allen anderen Parteien.

 

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Stoppen könnte man den Hochlauf der AfD mutmaßlich nur dann, wenn man zumindest einige der von ihr mit Recht thematisierten gesellschaftlichen Probleme beherzt in Angriff nähme. Dazu müsste man sich dann aber eingestehen, dass ausgerechnet jene Partei hier und da im Recht sei, die man seit nunmehr zehn Jahren zum Wiedergänger von Oberlippenbart und Seitenscheitel stilisiert. Und das geht natürlich gar nicht: dem Verrückten aus Braunau am Inn recht zu geben.

Derzeit sieht daher alles danach aus, als bliebe vorerst alles beim Alten. Die etablierte Politik hat sich selbst in ein dilemmatisches Narrativ verstrickt, aus dem sie sich glaubwürdig nicht selbst befreien kann. Es wird wohl ein politisches Erdbeben brauchen, um die etablierte Politik zum Umdenken zu bewegen. Und für die Landtagswahlen 2024 im Osten Deutschlands sieht derzeit alles genau danach aus.

Letzte Rettung Wagenknecht?

Aber eine Lösung für das Problem gibt es vielleicht doch. Während die AfD in Sachsen derzeit Umfragewerte von 35 Prozent erreicht, ist die Linke auf 9 Prozent abgestürzt. Früher reichten deren Umfragewerte dort noch bis an 30 Prozent heran, Wahlergebnisse fast an 25 Prozent. Erhebliche Teile ihrer Wähler sind längst zur neuen Arbeiterpartei von rechts abgewandert.

Stoppen könnte den Hochlauf der Rechtspartei nach Lage der Dinge wohl nur noch die Gründung einer Wagenknecht-Partei. Die Entscheidung darüber soll noch im Oktober dieses Jahres fallen. Aber auch das wäre dann nur eine Verschnaufpause bei der Bewältigung der Krise der parlamentarischen Demokratie. Und auch sie wäre bloß ein weiterer Ausdruck der Tatsache, dass die Etablierten derzeit ratlos auf die Erfolge der AfD blicken. Damit wäre dann das politische Donnerwetter vielleicht vertagt, aber nicht aus der Welt geschafft.

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