Ukraine-Krieg - Was können wir tun?

Der Ukraine-Krieg versetzt viele Menschen in einen Zustand der Verzweiflung. Die bringt uns nicht weiter. Wir müssen dazu bereit sein, mitzuleiden. Nicht nur auf einer abstrakten Ebene. Wir können ganz konkret helfen, indem wir Flüchtlinge aufnehmen, demonstrieren - und vorübergehende Abstriche unseres Wohlstands in Kauf nehmen.

Demonstrieren für die Ukraine ist gut, reicht aber nicht / dpa
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Der Krieg, den Russland gegen die Ukraine entfesselt hat, versetzt hier bei uns viele Menschen in einen Zustand der Verzweiflung. 800 Kilometer Luftlinie von Berlin, denn so weit ist Lemberg entfernt, sterben Menschen unter russischem Raketenbeschuss. Ich sehe Freunde, Kollegen und Verwandte, die fassungslos vor diesem Krieg und seinen Folgen stehen, die Putin verfluchen und für ein schnelles Ende des Krieges beten. Aber können wir etwas gegen diesen Krieg tun? Die Antwort ist eindeutig: Ja.

Da ist zum ersten die ganz praktische Solidarität: Sie besteht darin, in den eigenen Häusern und Wohnungen Menschen aufzunehmen, die aus der Ukraine geflohen sind. Wer keinen Platz hat, kann zu den Bahnhöfen seiner Stadt gehen und dort ganz praktisch helfen. Wer keinen Platz oder keine Zeit hat, kann Geld spenden an Hilfsorganisationen, die über die Logistik verfügen, um in der Ukraine sinnvoll zu helfen. Finanziell kann man über „Reporter ohne Grenzen“ ukrainische Journalisten unterstützen, die weiter im Land arbeiten oder fliehen mussten. Die Organisation unterstützt auch unabhängige russische Journalisten, die das Land verlassen mussten. Ganz konkret kann man Medien wie „Meduza“ unterstützen, eine wichtige journalistische Stimme, die auch auf Englisch berichtet, die aber vor allem auf Russisch ein qualitativ hochwertiges Medium ist, das in Russland selbst ein Gegengewicht zur Staatspropaganda bildet.

Zum zweiten: Demonstrationen. Öffentliche Solidaritätsbekundungen dürfen keine Eintagsfliege sein: Die großen Demonstrationen nach Kriegsbeginn mit hunderttausenden Teilnehmern waren beeindruckend – und die Bilder aus Berlin und aus anderen Städten kommen in der Ukraine über das Fernsehen und die sozialen Netzwerke an: Es macht den Menschen Mut, wenn sie sehen, dass wir hinter ihnen stehen. Und wenn es sich nur darin ausdrückt, in der eigenen Stadt mit der ukrainischen Flagge auf die Straße zu gehen.

Sind wir bereit, mitzuleiden?

Zum dritten ist da die etwas komplexere Frage des Mitleids. Wir alle haben Mitleid mit den Menschen in der Ukraine. Sind wir aber tatsächlich bereit zum Mit-Leid? Sind wir bereit, mitzuleiden?

Wir sollten es sein. Denn die Ukrainer führen einen Kampf, der uns alle betrifft: Setzt Putin sich mit seiner Armee durch, muss die Ukraine kapitulieren, wird der Westen nicht nur moralisch seinen Tiefpunkt erreichen, viele Menschen in anderen Ländern werden auch den Glauben daran verlieren, dass man sich auf die demokratische, freie Staatengemeinschaft verlassen kann, wenn ein Diktator sich entschließt, ihr Land zu unterjochen. Im Südkaukasus, in Zentralasien, in Moldawien wird man Schlüsse ziehen müssen: lieber einen demütigenden Kompromiss mit Russland als ein Einmarsch von Putins Truppen und eine Zerstörung des Landes. Auch ein Land wie Taiwan wird womöglich Schlüsse daraus ziehen: Wenn der Aggressor wirtschaftlich zu wichtig ist für die Weltgemeinschaft, setzt er sich am Ende durch.

Und natürlich wird Putin selbst einen teilweisen Sieg als Signal verstehen, seinen territorialen Machtanspruch noch zu erweitern. Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass der russische Präsident sich auf einer napoleonisch anmutenden historischen Mission sieht – ohne Rücksicht auf Verluste unter den eigenen Bürgern, ohne Rücksicht auf Verluste unter Bürgern anderer Staaten.

 

Moritz Gathmanns Video-Interviews aus der Ukraine:

 

Was bedeutet es also, mitzuleiden: Es bedeutet, dass wir ganz konkret bereit sein müssen, zur Verteidigung der Ukraine, die gleichzeitig eine Verteidigung unseres Selbstverständnisses ist, vorübergehende Abstriche unseres Wohlstands zu akzeptieren. Wem das zu pathetisch klingt: Die Ukraine ist kein perfektes Land, es gibt Korruption, Oligarchen beeinflussen die Politik, und doch: Die Bürger des Landes sind freie Menschen, sie wählen Präsidenten und Regierungen ab, die ihnen nicht in den Kram passen. Und wenn ein Präsident versucht, sie nach Putin-Art zu unterjochen, fegen sie ihn mit einer Revolution aus dem Amt, so geschehen zuletzt 2014. Sie wollen selbst über die Zukunft ihres Landes bestimmen.

Wir müssen uns vergegenwärtigen: Im letzten Jahr überwies allein Deutschland 19,4 Milliarden Euro für Öl und Gas nach Russland, Tag für Tag überweisen die europäischen Staaten laut der Denkfabrik Bruegel 420 Millionen Dollar für Öl, Gas und Kohle nach Moskau. Indirekt finanziert Putin mit diesem Geld seine Soldaten, seine Panzer, seine Raketen, die Tag für Tag in ukrainische Wohnhäuser geschossen werden und Menschen töten.

Was spricht gegen ein Öl-Embargo?

Es ist für uns praktisch nicht umsetzbar, in diesem Moment auf russisches Gas zu verzichten: Besonders unsere chemische Industrie würde zusammenbrechen, daran können wir kein Interesse haben. Wir sollten uns aber bemühen, den russischen Anteil schrittweise zu senken, durch den Ausbau anderer Energiequellen, aber auch durch den Bau von LNG-Terminals. Aber was spricht gegen ein Öl-Embargo? Das russische Öl ist relativ schnell ersetzbar. Natürlich würde das zu höheren Preisen in Deutschland führen, an der Tankstelle und beim Heizen. Denjenigen, die wenig haben, müsste der Staat die Mehrkosten kompensieren. Aber die große deutsche Mittelschicht und die Reichen sollten bereit sein, diesen Preis zu bezahlen.

Ein Öl-Embargo gegen Russland würde wohl keinen direkten Einfluss auf den jetzigen Kriegsverlauf nehmen, Putins finanzielle Reserven sind noch prall gefüllt. Aber es wäre ein klares Zeichen an die Moskauer Eliten und auch die autoritären Herrscher anderer Staaten für die Zukunft: Die allermeisten von uns sind nicht bereit, für unsere Werte zu sterben. Aber wir sind bereit, mit zu leiden.

Wenn wir dazu nicht bereit sind, geben wir am Ende Putin in seiner Vermutung über den „verschwulten“, hedonistischen, konsumgeilen und vom Individualismus zersetzten Westen Recht, dem der eigene Komfort wichtiger ist als alles andere. Dann sollte aber jedem von uns die Zunge verfaulen, der jemals wieder davon spricht, dass er bereit sei, die „westlichen Werte“ zu verteidigen. Man darf sich ruhig mal die Frage stellen dieser Tage: Wieviel ist einem eigentlich die Freiheit der Ukraine wert, die Menschenleben der Ukrainer? Wieviel sind wir bereit zu opfern: ein Urlaub weniger, kein neues Handy dieses Jahr, neue Einbauküche erst übernächstes Jahr? Um es nochmal in dieser Deutlichkeit zu sagen: Wir opfern etwas Geld, das wir früher oder später wieder verdienen können. Die Ukrainer opfern Menschenleben, die nicht ersetzbar sind.

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